Keine zweite siebenbürgische Operette konnte im In- und Ausland solche Erfolge erzielen, wie das Werk des Komponisten Richard Oschanitzky (1901-1971) „Mädel aus dem Kokeltal“. Vielleicht war es sogar die erfolgreichste Operette überhaupt, die jemals im Rumänien der Zwischenkriegszeit entstanden ist. Allein die politischen Verhältnisse Europas im Jahre 1938, als diese Operette in Hermannstadt zum ersten Mal aufgeführt wurde, der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit all seinen grausamen Folgen, besonders für die deutsche Bevölkerung Rumäniens, und die danach einsetzende kommunistische Diktatur führten dazu, dass dieses Meisterwerk in Vergessenheit geraten ist. Umso spannender ist es für uns heute, mehr als 75 Jahre später, etwas mehr über dieses Werk zu erfahren und auch diese Musik zu hören.
Erst kürzlich konnten Teile der handschriftlich vorhandenen Partitur in Temeswar entdeckt und das Aufführungsmaterial vom Verfasser dieser Zeilen erstellt und im Münchner Verlag EDITION MUSIK SÜDOST veröffentlicht werden. Der Temeswarer Dirigent Peter Oschanitzky, der jüngere Sohn des Komponisten, hat den verlorengegangenen Teil der Partitur anhand des erhaltenen Klavierauszugs vervollständigt und orchestriert. Für das bevorstehende Konzert hat er dieses Material freundlicherweise der Gesellschaft für Deutsche Musikkultur im Südöstlichen Europa (GDMSE) zur Verfügung gestellt. Am Samstag, dem 26. April 2014, um 19 Uhr, werden die wichtigsten Teile dieser Operette im Maybach-Saal der „Harmonie“ in Heilbronn erklingen, dargeboten von den Solisten, dem Chor und Orchester der 29. Musikwoche der GDMSE.
Banater und siebenbürgische Operette
In der Zwischenkriegszeit sind in Rumänien fast gleichzeitig zwei bedeutende deutsche Operetten entstanden, die vom Inhalt her viele Gemeinsamkeiten aufweisen: Der Banater Komponist Emmerich Bartzer schrieb seine Operette „Grüßt mein Banat“ und Richard Oschanitzky schrieb seine siebenbürgische Operette „Mädel aus dem Kokeltal“. Beide Komponisten stellten meisterhaft ihre Heimat in den Mittelpunkt, mit ihren Menschen, ihren Liedern und ihrer Geschichte. Durch diese beiden inhaltlich unpolitischen Werke sollte die Heimat der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen auch im Ausland vorteilhaft präsentiert werden.
Die deutschen Bühnen in Temeswar und Hermannstadt führten neben den gängigen Operetten von Strauß, Millöcker, Zeller, Lehár, Lincke auch Werke aus der engeren Heimat auf. So erklangen in Hermannstadt z. B. Berta Bocks Volksoper „Die Pfingstkrone“, wie auch Fritz Schullers Operette „Das ferne Land“. Doch keines dieser Werke konnte die Erfolge der Operette Oschanitzkys „Mädel aus dem Kokeltal“ übertreffen und kein anderes siebenbürgisches Werk wurde so oft im In- und Ausland aufgeführt.
Als Oschanitzky im Januar 1938 an der Operette mit seinem Ensembles geprobt hat, gab er für die „Bühnenblätter“ des Deutschen Landestheaters in Rumänien ein Interview. Auf die Frage, ob sein Werk nun eine Oper, eine Operette oder ein Singspiel sei, antwortete er: „Das muss das Publikum entscheiden. Eine Oper ist es nicht, denn dazu ist das Ganze doch zu heiter. Ein Singspiel ist es nicht, denn dazu ist die Musik, so glaub ich wenigstens, doch zu gehaltvoll. Eine Operette nach Schema F ist es auch nicht, obwohl natürlich auch Schlager darin vorkommen. Ich habe versucht, etwas Neues zu schaffen.“ Und das Neue ist ihm wohl gelungen, denn die Musik sprüht von Melodienreichtum und die Orchestrierung ist meisterhaft. Nicht nur Emmerich Kálmán steht als Pate, sondern auch Richard Strauss, dessen harmonische Wendungen und Orchestrierungen unverkennbar sind. Trotzdem ist diese Operette etwas Originelles und Neues für diese Zeit und besonders für diesen Entstehungsraum. Ein Chronist schrieb: „Oschanitzky nennt sein Werk eine Operette, obwohl es mehr ist als das. Ein neues Genre, das an die besten Traditionen der klassischen Operette anknüpfend, mehr sein will, als nur platte, seichte Unterhaltung.“
Das Libretto stammt von Hans Kelling, eigentlich der Künstlername von Josef Oschanitzky, einem Bruder des Komponisten. Dieser war als Redakteur in Bukarest tätig und hinterließ u. a. ein unveröffentlichtes fünfbändiges Werk über den Sprachkampf in Siebenbürgen zur Zeit Stephan Ludwig Roths.
Auf die Frage, weshalb Oschanitzky gerade ein siebenbürgisches Motiv für seine Operette gewählt hat, antwortete er: „Ich wollte schon lange einen heimischen Stoff vertonen und wollte beweisen, dass auch in unserem ernsten Siebenbürgenland Frohsinn und Heiterkeit zu Hause ist…“ Und in einem anderen selbstverfassten Beitrag stellte der Komponist fest: „Die Aufführungen in Siebenbürgen, die einen ungewöhnlich großen Presse- und Publikumserfolg brachten, beweisen mir, dass mein Singspiel seine Daseinsberechtigung erwiesen hat. Und obwohl dies ‘Mädel aus dem Kokeltal’ erst einen Versuch bedeutet, der nur der Anfang einer Kunstform ist, die mir innerlich vorschwebt, und an deren Weiterentwicklung ich weiterzuschaffen beabsichtige, glaube ich fest an die Zukunft und Bedeutung des neuen deutschen Singspiels.“
Der erste Akt spielt in Kokelburg (Siebenbürgen, rumänisch Cetatea de Baltă), der zweite in Berlin und der dritte Akt wieder in Siebenbürgen, diesmal in Steindorf.