Nach Szeged (deutsch: Szegedin) baden? Eine Freundin, die Ungarn bestens kennt, war überrascht von meiner Mitteilung, dass wir in der mit ca 170.000 Einwohnern drittgrößten Stadt des Nachbarlandes ein verlängertes Wochenende im Februar in einem Bad verbringen wollen. Die zahlreichen Freibäder, aber auch Thermalbäder Ungarns, sind insbesondere für die Bewohner Westrumäniens längst kein Geheimtipp mehr. Ein paar Tage in einem solchen zu verbringen lohnt allemal, machten wir die Erfahrung: Das Wellness-Angebot ist reichhaltig, die Anlagen blitzsauber, die Leute nett und zuvorkommend und alles zum wesentlich geringeren Preis als in Rumänien.
Das Anna-Bad
Das Anna-Heil-, Thermal- und Erlebnisbad befindet sich in Szeged mitten in der Stadt, zwei Ecken vom Szechenyi-Platz, einem der wichtigsten Plätze, entfernt. Auf dem Weg zum Eingang kommt man am Anna-Brunnen vorbei, wo Tag und Nacht 49 Grad heißes Wasser aus 944 Metern Tiefe fließt. Vormittags war der Brunnen von Leuten umringt, die das alkali- und hydrogenkarbonathaltige Wasser in Flaschen und Kanistern für den Eigengebrauch abfüllten. Das Anna-Bad ist in einem schönen, alten, restaurierten Gebäude untergebracht. Errichtet wurde dieses nach den Plänen der Wiener Architekten Steinhard und Lang 1896 in eklektischem Stil. Das Bad wurde 2004 umfassend renoviert, modernisiert und ausgebaut.
Ursprünglich als Reinigungsbad genutzt, entdeckte man bald die kurativen Eigenschaften des Wassers, sodass es seit 1938 als Heilbad gilt. Zum Heilbaden waren wir zu kurz da, wir nutzten die verschiedenen Becken zum Schwimmen und Entspannen. Zum Behandeln unterschiedlicher Leiden gibt es auch ein breites Angebot an Wannenbädern, Schlamm-, Galvano- und Elektrotherapieanlagen sowie Säle für Heilgymnastik und Massagen.
Das Anna-Bad verfügt über elf kleinere und größere Becken mit Thermal- oder Stadtwasser. Zu Heilzwecken empfohlen ist das 38 Grad warme, grünlich gefärbte Thermalwasser in einem runden Becken, das auch über eine Vorrichtung verfügt, mit der Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen ins Wasser gelangen können. Ausplakatiert steht, man soll nicht länger als 30 Minuten in diesem Wasser verbringen, dennoch sind im Becken zwei Schachbretter aus Kachelsteinchen zum Zeitvertreib vorhanden. Im Thermalbereich gibt es ferner ein Brausebecken (34 Grad), ein Kinderbecken (32 Grad), ein Erlebnisbecken (32 Grad) und ein Schwimmbecken. Im Erlebnisbecken sprudelt das Wasser abwechselnd aus Düsen vom Beckengrund oder von der -seite, und insbesondere letztere tun es mit solchem Druck, dass man Rücken und sonstige Körperteile hervorragend massieren lassen kann. Das Schwimmbecken kann von morgens 6 Uhr bis um Mitternacht genutzt werden.
Im linken Gebäudeteil ist der Fitness- und Wellnessbereich eingerichtet. Vorhanden sind Sportgeräte, finnische Sauna, Dampf- oder Aromakabine, Biosauna, Infrarotkabinen und erneut mehrere Wasserbecken. In den beiden Sinkbecken mit acht bzw. 15 Grad kühlem Wasser erfrischt man sich nach der Sauna, in dem gegenübergelegenen kleinen Brausebecken (38 Grad) kann man kalt-heiße Wechselbäder machen. In einem ovalen und einem runden Erlebnisbecken wird man angesprudelt und verwöhnt.
Der Tageseintritt für Thermal- und Spa-Bereich kostet umgerechnet 25 Lei, nur für den Thermalbereich kostet er ca. 10 Lei. In Salzburg/Ocna Sibiului, wo es im Hallenbad kein Drittel des Angebots gibt, zahlt man 60 Lei ... In Szeged durfte man in den Entspannungsräumen sein Jausenbrot und Obst verzehren und kostenlos vom Anna-Wasser trinken, in Salzburg wird strengstens kontrolliert, ob man seine Wasserflasche dabei hat, statt die überteuerten Wasserflaschen des Lokals zu kaufen. Dass man in das Bad kein Essen mitnehmen darf, steht schon am Eingang! Wieso es in Salzburg nach Schimmel und Mief riecht und in Szeged nicht, brauchen wir nicht zu vertiefen. Und noch ein Unterschied fiel uns auf: Im Anna-Bad gab es keine dröhnende Musik oder Neureiche, die ihre Handys und Tablets beim Fotografieren vorführten.
Die Stadt
In diese Stadt fuhren wir, um nach dem Lümmeln im Wasser mehr Besichtigungsmöglichkeiten zu haben als sie die Corsos der üblichen Badekurorte bieten. Szeged hat auch diesbezüglich nicht enttäuscht. Das Stadtbild und manch prunkvolles Gebäude, aber auch manche Gasse, erinnern an Timişoara/Temeswar. Das durchfließende Gewässer – die Theiß/Tisza – ist jedoch breiter als die Bega. 1879 verursachte die Theiß eine katastrophale Überschwemmung und zerstörte die Stadt angeblich zu 95 Prozent. Mit internationaler Hilfe wurde sie wieder aufgebaut, nach neuen Plänen. Aus diesem Grund ist das Stadtbild relativ einheitlich und verfügt über breit angelegte Straßen sowie großzügige Parks und Plätze und nur wenig mittelalterlich Anmutendes.
Der wohl grandioseste Bau ist der Dom. Die Bischofskirche des römisch-katholischen Bistums Szeged-Csanad ist die drittgrößte (nach anderen Quellen die viertgrößte) Kirche Ungarns. Das Errichten wurde ein Jahr nach dem verhehrenden Hochwasser beschlossen, um Gott gnädig zu stimmen. Der Beginn der Bauarbeiten zog sich jedoch bis 1913 hin und erst 1930 konnte der Dom vollendet werden. Errichtet wurde die neuromanische Backstein-Basilika auf einem ca. 12.000 Quadratmeter großen Platz, wo seit 1931 alljährlich im Sommer die Szegediner Freilichtspiele stattfinden, in deren Rahmen Opern und Dramen aufgeführt, aber auch Folkloreabende veranstaltet werden. Der Platz wird von einer 54 Meter hohen weitgespannten Kuppel überdacht, die Fassade flankieren zwei 91 Meter hohe Türme.
Stets verpasst haben wir den „Auftritt“ der Musikuhr, die jeweils um 12.15 und um 16.15 Uhr für neun Minuten ihr Glocken- und Figurenspiel erklingen lässt. Bei Ausgrabungen zum Bau der Kirche stieß man auf die Überreste der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Kirche des Heiligen Dömötör/Demeter oder Demetrius, die zum achteckigen Demetrius-Turm aufgebaut wurde. Eingerahmt wird der Domplatz von der Nationalen Gedenkhalle, wo durch Statuen, Büsten und Tafeln rund 90 berühmte Persönlichkeiten des öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Lebens Ungarns gewürdigt werden. Gegenüber dem Dom liegen das Bischöfliche Palais und das Gebäude der Universität. Am Nordende des Platzes befindet sich die serbisch-orthodoxe Kirche, die 1773–1778 erbaut wurde.
Weder mit Kirchen noch mit Statuen wurde und wird in Szeged gegeizt. Die Stadt liegt im Drei-Länder-Eck zu Rumänien und Serbien, vorbeigegangen sind wir an weiteren katholischen, aber auch einer evangelischen Kirche, und gegenüber dem Anna-Bad steht eine schmucke kleine reformierte Kirche. Historische Persönlichkeiten aus der Geschichte des Landes sind in den großzügig angelegten Grünflächen am Szechenyi-Platz verewigt, an dem auch das im Jugendstil errichtete Rathaus steht. Sein Turm ähnelt jenem des Kulturpalais in Neumarkt/Tg. Mures, verbunden sind die beiden Gebäude des Bürgermeisteramtes jedoch durch einen Gang, der an südlichere Gefilde erinnert. Zu diesem Platz flanierten wir durch die Fußgänger- und Einkaufsstraße der Stadt, an deren beiden Enden ebenfalls Statuen stehen. Besonders hübsch sind jedoch die Plastiken am Eingang zur Kárász-Straße vom Dugonics-Platz her, die einen Geiger, dem zwei Vögel zugucken bzw. eine Frau und ein Mädchen mit Hund und Puppe darstellen. Von den zahlreichen Skulpturen am besten gefallen hat mir jene vor einer Schule in der Gutenberg-Straße, wo sich ein Junge über vier Wasserspeier beugt.
In die Gutenberg-Straße waren wir gelangt, weil dort die Synagoge steht. An die Synagogen in Rumänien gewöhnt, hat uns der riesige Kuppelbau überrascht, der hinter den im Februar kahlen Bäumen sichtbar wurde. Die Internet-Recherche ergab, dass es sich um das zweitgrößte jüdische Gebetshaus Ungarns nach jenem in Budapest und um eines der größten aktiven der Welt handelt. Besuchen konnten wir die Synagoge leider nicht, sie war geschlossen und wir hatten keine Zeit, um herauszufinden, wie und wann das möglich sei. Errichtet wurde der Bau zwischen 1900 und 1902, in der Blütezeit der jüdischen Gemeinschaft, die um 1927 fast 8000 Mitglieder gezählt hat. Heute sind es (laut eigener Webseite) immerhin noch rund 500, die Gemeinschaft hat einen eigenen Oberrabbiner und in der Synagoge werden von Mai bis Oktober Konzerte veranstaltet. In Szeged gibt es auch eine „alte“ Synagoge, die 1840-1843 im neoklassizistischen Stil erbaut worden war, die „neue“ Synagoge vereint in ihrer Architektur den Jugendstil und andere Strömungen.
Was den Jugendstil angeht, so ist der auch an zahlreichen anderen Bauten anzutreffen. Schön saniert ist der Reök-Palast an der Tisza-Lajos-Ringstraße, an Bauten in Temeswar erinnert der Grof-Palast neben dem Anna-Bad. Beides waren Bürgerhäuser, letztgenanntes wird auch heute als Wohnhaus genutzt. Seine Hauptseite wird von zwei Türmchen flankiert, faszinierend sind die zahlreichen Balkone und das orientalische Ornament am Giebel aus Keramikkacheln.