„Eine griechische Tragödie in japanischem Lokalkolorit“ hat die FAZ Haruki Murakamis Roman „Kafka am Strand“ beschrieben. Diesmal isst Oedip Sushi, ist fünfzehn Jahre alt und nennt sich Kafka Tamura. „Kafka“ bedeutet auf tschechisch „Krähe“ – ein Vogel, der immer wieder in der Phantasie der Hauptgestalt erscheint, wenn er in kritische Situationen gerät.
Dass sich die Phantasie mit der Wirklichkeit überschneidet, ist nichts Neues in den Werken des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, der für den diesjährigen Literaturnobelpreis gehandelt wird. Immer wieder dämpft er die Grenze zwischen dem Mythischen und Geheimnisvollen und der äußeren Wirklichkeit, doch der Schreibstil fließt weiter, ununterbrochen, so, dass der Leser den Wechsel nicht von Anfang an zu spüren vermag.
Der 15-jährige Kafka Tamura geht von zu Hause weg, ohne ein Ziel oder eine genaue Destination zu haben. Er ist mit seinem Vater aufgewachsen, mit dem er nie kommunizieren konnte. Seine Mutter und Schwester hatten die Familie verlassen, als Kafka Tamura vier Jahre alt war. Dabei brockt der Vater seinem Sohn ein tragisches Schicksal ein: Genau wie Ödipus werde der Junge eines Tages seinen Vater töten und mit seiner Mutter schlafen.
Sein Abhauen von zu Hause ist hiermit auch eine Flucht vor dem Fluch, dem er aber nicht entkommen kann. Der Weg führt ihn in die Komura-Bibliothek, wo er den komischen Oshima begegnet. Als Kafka einige Tage später blutüberströmt in einem Gebüsch aufwacht und dann erfährt, dass in derselben Zeit sein Vater ermordet wurde, spitzt sich seine Situation zu.
In den Romankapiteln mit gerader Zahl wird parallel dazu die Geschichte des geistig behinderten Greises Saturo Nakata geschildert. Er verlor bereits als Kind bei einem mysteriösen Unfall während des Zweiten Weltkrieges sein Gedächtnis und kann seitdem weder lesen noch schreiben. Die beiden Handlungen, anfangs ohne Zusammenhang, kommen sich immer näher: Nakata fährt in die gleiche Stadt, in die es auch Kafka verschlagen hat.
Kafka, der bereits die 50-jährige Saeki, Sängerin des Liedes „Kafka am Strand“, kennengelernt hat, verliebt sich in den 15-jährigen Geist dieser Frau, dem er im Traum begegnet. Dadurch scheint er der Erfüllung der Prophezeiung näher zu kommen – denn er vermutet, dass Saeki seine Mutter ist.
Zart und rührend, mystisch und doch einfach beschreibt Murakami die Reise eines Jugendlichen, der die Geheimnisse des Lebens zu verstehen versucht.