Der Ostdeutsche Hermann Schein hat seine Karriere als Spielleiter in der DDR begonnen. Nach der Wende arbeitete er bundesweit an verschiedenen deutschen Bühnen. Rumänien hat der Spielleiter Ende Oktober zum ersten Mal besucht. Seine Tochter Judith macht derzeit ein Praktikum bei Radio Temeswar/Timişoara. BZ-Redakteur Robert Tari sprach mit Hermann Schein während seines privaten Besuchs in Temeswar über die Unterschiede zwischen Ost und West im Theater und die Änderungen, die sich gegenwärtig in der deutschen Theaterszene vollziehen.
Sie haben als Spielleiter an vielen deutschen Bühnen gestellt. Wie ist es heute um das Theater in Deutschland bestellt?
Es findet ein Strukturwandel statt. Die Häuser sind sehr teuer und die Länder haben einschneidende finanzielle Probleme. Da ist natürlich der Bereich Theater auch immer mit Kürzungen bedacht. Es ist im Moment eine Strukturkrise und man denkt auch darüber nach, aus den festen Ensembles stärker Projektensembles zu machen. Zum Teil haben sich die Theater auch verkleinern müssen, es werden Einschnitte im Bestand der künstlerischen und natürlich auch der technischen Mitarbeiter vorgenommen, sodass es immer komplizierter wird, einen wöchentlichen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite muss natürlich wieder viel gespielt werden, um der Politik zu zeigen, dass man präsent ist. Also, die Zeiten waren bessere. In den 70-er und 80-er Jahren erlebte die Theaterlandschaft eine göttliche Zeit in Deutschland. Durch die Ökonomisierung der Gesellschaft ist natürlich dieser künstlerische Bereich immer stärker in eine Ecke oder Nische gedrängt worden. Das tut dem Theater natürlich nicht gut.
Als ostdeutscher Spielleiter durften Sie beide Theaterlandschaften kennen lernen, sowohl die aus dem Osten, als auch die aus dem Westen. Welches sind die Unterschiede zwischen den beiden?
Abgesehen davon, dass natürlich die Zensur schon in der Bestimmung des Spielplans durch die Leitungen gegenüber der Partei abgesegnet werden mussten... Aber das verlief meistens relativ reibungslos. Der Westen war natürlich für uns immer das Modell, die Zukunft. Wir hatten zwar in den 40-er, 50-er Jahren sehr starkes und kraftvolles Theater gehabt, durch den Einfluss von Bertold Brecht, es konnte sich aber über die Jahre nicht halten. Ein maßgeblicher Grund war natürlich, dass die Kulturadministration immer stärker eingegriffen und von oben Druck auf die Arbeit ausgeübt hat. Viele wurden dann lustlos und suchten die Alternative. Sie versuchten dann, in den Westen zu gehen. Das war vor allem nach der Ausweisung des Schriftstellers und Liedermachers Wolf Biermann 1977 ganz offensichtlich und es ging bis in die lähmenden 80-er Jahre hinein, wo das Theater immer kraftloser wurde. Es bestand auch immer wieder der Drang und der Wille nach Widerstand. Aber das war immer mit Kämpfen verbunden, was zum Teil auch spannend sein konnte. Weil man natürlich, wenn man eine Arbeit machte, die auf einmal Widerstand bei anderen hervorrief, das Gefühl gehabt hatte, dass man doch Wirkung durch das Theater hat. Es war ein sehr kompliziertes Verhältnis und im Westen wurde das Theater in den 70-er und 80-er Jahren immer unabhängiger, es bekam immer größere Freiräume. Da entstand eine ganz innovative Zeit. Wir haben vom Osten natürlich sehr auf den Westen geblickt. Haben das so wahrgenommen, weil es zum Teil über Zeitschriften, die man in Bibliotheken lesen konnte, oder über Film, Fernsehen, Rundfunk zugänglich war. Es fand also schon ein reger Kommunikationsaustausch statt. Und es gab viele Verluste. Viele haben dann das ostdeutsche Theater verlassen und sind in den Westen gegangen. Das hat sich nach 1989 geändert. Das Interesse in der Öffentlichkeit und vor allem auch von der politischen Seite ist schon allein durch die finanziellen Kürzungen anders. Der Einspruch ist dadurch, ob gewollt oder ungewollt, viel größer. Man hat einen viel größeren Rechtfertigungsdruck. Wenn Ensembles von 45 auf 21 schrumpfen, aber man im Grunde genommen die gleiche Arbeit leisten muss, kann man nicht mehr so gründlich, so kraftvoll und innovativ produzieren, wie es früher der Fall war. Das bedauere ich schon sehr.
Was waren die Herausforderungen, mit denen Sie sich nach der Wende als Regisseur auseinandersetzen mussten?
Ich hatte Glück. Ich habe nach der Wende mit drei Kommilitonen ein Theater in Magdeburg gegründet - das ist eine Stadt etwa so groß wie Temeswar, auch Industriestadt. Die hatten ein großes „Theaterkombinat“ und in diesem Theaterkombinat fand sich auch eine Sparte „Kindertheater“. In der Hochzeit der Ausreise sind die ganzen jungen Schauspieler auf einmal nicht mehr zurück gekommen. Die sind in Ungarn geblieben und von dort in die Bundesrepublik gegangen. Da blieb eine Klasse von Schauspielschülern von der Theaterhochschule Leipzig übrig. Und so eine revolutionäre Situation macht natürlich vieles möglich, also hatten sie die Idee, ein Theater aus dieser Substanz zu gründen. Die Stadtväter waren einverstanden und auch das Kulturministerium, das zwar noch DDR war, willigte ein. Es gab nur eine Bedingung: Die Intendanz musste einer der Erfahreneren übernehmen. Sie haben dann einen Kollegen und Freund von mir, mit dem ich schon an der Schauspielschule gearbeitet hatte, als Intendant vorgeschlagen und so eine Theatergründung vollzogen. Das war eine ganz spannende Zeit. Wir hatten da gemeinsam acht Jahre an diesem Theater und in dieser Stadt gearbeitet und haben vielfältigste Formen ausprobiert. Wir setzen Theaterabende mit unterschiedlichen Stücken an einem Tag zusammen. Wir hatten richtige Spektakel, die um 17 Uhr begannen und manchmal erst um 2 Uhr endeten. Es war eine lebendige Kommunikation zwischen dem Publikum und den Schauspielern. Das waren die Höhepunkte, die diese Theaterarbeit ausmachten. Wir hatten das Theater auch erweitert und nahmen Film und Musik mit auf. Veranstalteten zum Beispiel Jazz-Abende. Es blieb also nicht nur eine reine Schauspielbühne, die sich nur auf das Repertoireschauspiel konzentriert hat. Wir haben es eher als Kommunikationsort verstanden und hielten dann Diskussionsrunden. Das Theater stand immer im Zentrum, jedoch setzten wir drum herum solche Säulen. Es war eines der spannendsten Zeiten, die ich eigentlich in den Jahren erlebte. Vor allem auch wegen den kritischen Auseinandersetzungen untereinander, woraus sich auch ein Konkurrenzverhalten entwickelte. Man wollte immer gut sein, besonders dann wenn es nicht immer klappte. Es war immer ein Ansporn da, man wurde nicht müde oder faul. Statt dessen dachte man immer wieder neu über diese Sachen nach. Nachdem wir uns dann trennten, bin ich Schauspieldirektor in Bielefeld gewesen. Das war ein Stadttheater und da war es schwieriger, die Strukturen aufzubrechen. Da war es viel konventioneller in den Abläufen. Nach dieser Zeit, wo ich drei Jahre gearbeitet habe, bin ich freier Regisseur geworden. Heute arbeite ich in Dresden, Darmstadt, Saarbrücken und an vielen weiteren deutschen Theatern.
Sie sprachen von der Zensur in Ostdeutschland. Wie war es für Sie persönlich, als die Zensur schließlich wegfiel?
Es ist immer wieder schwer zu sagen, dass man nicht auch heute noch die Schere im Kopf hat. Auch heute ist ein Druck da. Du willst den Abend durchsetzen, der soll innovativ sein und eine Sprengkraft haben. Der soll auch eine Auseinandersetzung hervorrufen und trotzdem soll er „peilen“, wie ich es gerne sage. Ein solcher Theaterabend muss auch spalten. Die Spaltung schafft ja die Diskussion und das man über die Diskussion dann auch einfach einen Effekt hat, der über den Tag hinaus geht. Das ist nicht zu vergleichen, was heute passiert und was damals in der DDR passierte. Das Theater könnte heute wieder eingreifender mit seinen Themen und Fragen sein. Es wandert zu sehr in die Form ab und es ist inhaltlich nicht mehr so an den Fragen der Zeit dran, wie ich es mir eigentlich wünschen kann. Aber ich bin ja ein Teil davon, also das geht dann auch an mich zurück.