Ein heißer Sommernachmittag in Janowa. Das Dorf hält Siesta, ein einziger Mann sitzt im Schatten vor seinem Haustor, den man fragen kann: „Wo lang geht´s zum Fußballfeld?“ „Immer gerade aus“, antwortet er, „Sie sind auf dem richtigen Weg“. Inzwischen fahren drei Autos vorbei, mehrere Kinder sitzen drin. Aha. Es ist der richtige Weg. Die holprige Schotterstraße führt rechts am Fußballfeld und am Friedhof vorbei. Ein riesiges Zelt wird sichtbar, darauf steht es Schwarz auf Weiß: „HorsEmotion“. Es ist die einzige Stelle in diesem Teil Rumäniens, wo Kinder mit besonderen Bedürfnissen an Hippotherapie-Stunden teilnehmen können.
Der heutige Donnerstag ist ein besonderer Tag. Nicht, weil sich im Zelt von HorsEmotion an die Hundert Kinder mit ihren Begleitern eingefunden haben. Auch nicht, weil die Kleinsten der Gäste schon beim Anblick der Hühner, Küken und Pferde vor Freude zu quietschen beginnen, was einem, nolens volens, ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ein in Rumänien einzigartiges Event steht auf dem Programm: „Konzert im Pferdeschritt“. Zusammen mit der Temeswarer Speranţa-Stiftung, die Musiktherapiestunden anbietet, hat Erika Weisz, die ausgebildete Ärztin, Hippotherapeutin und Gründerin des „HorsEmotion“-Zentrums in Janowa ist, das Ereignis veranstaltet, bei dem Musik- auf Reittherapie trifft. „Wir haben bemerkt, dass sich die Ergebnisse der Therapie durch die Musik steigern lassen. Sogar Ärzte-Kollegen, die nicht an diese Therapie-Art glaubten, waren überrascht von den Fortschritten der Patienten“, sagt Erika Weisz, die vor ungefähr zwei Jahren die regierungsunabhängige Organisation „HorsEmotion“ ins Leben gerufen hat.
Durch Hippotherapie zu mehr Selbstständigkeit
In Janowa, etwa 22 Kilometer von Temeswar/Timişoara entfernt, werden seit Dezember 2014 in der weißen Zeltanlage die Therapie-Stunden gehalten. Kinder mit Autismus, Down-Syndrom, Tetraparese oder anderen psychischen oder physischen Behinderungen beteiligen sich daran. Hippotherapeutin Erika Weisz arbeitet mit Kinder-Neurologen und –Psychiatern zusammen, die den kleinen Patienten die Therapie-Stunden empfehlen. Die Hippotherapie oder das therapeutische Reiten ist in Westeuropa schon längst anerkannt und wird erfolgreich angewandt – in Rumänien steckt diese alternative Therapie-Art jedoch noch weitläufig in den Kinderschuhen. Beim Reiten auf einem Therapiepferd werden auf den Menschen dreidimensionale Schwingungen übertragen, was sich positiv auf Körper und Seele des Patienten ausübt. Die Muskeln werden gestärkt, Gleichgewicht und Koordination geschult, die Atmung wird besser. Die Interaktion mit dem Tier tut den Kindern rundum gut. Ihr Kontaktverhalten und Selbstwertgefühl steigen, sie werden aufmerksamer, können sich besser konzentrieren und werden selbstständiger.
Im HorsEmotion-Zelt wurden Strohballen zu Bänken umfunktioniert, damit jeder Platz nehmen kann. Manche Kinder sind mit ihren Eltern da, doch auch Teilnehmer aus dem Kinderheim sind gekommen. Einigen sieht man ihr Leiden an, anderen hingegen nicht. Egal, ob „speziell“ oder nicht: Kinder sind Kinder. Und als das Pferd Mirciu von Pferdepflegerin Estella zum „Lachen“ oder zu einem Stand auf den Hinterfüßen aufgefordert wird, sind alle hin und weg. Sie klatschen laut, auch wenn sie Erika Weisz ursprünglich gebeten hat, nur mit den Fingerspitzen zu klatschen, um den schwarzen Anglo-Araber nicht zu erschrecken. Die sieben Pferde, die auf dem HorsEmotion-Hof in Janowa leben, wurden auf natürliche Art dressiert. Die natürliche Pferdedressur, das sogenannte „Natural Horsemanship“, ist Erika Weisz seit ihrer Ausbildung zur Hippotherapeutin in Italien bekannt. Vor etwa fünf Jahren beschloss sie, aus ihrer Leidenschaft für Pferde einen Beruf zu machen. Die Hauspferde werden mit viel Geduld und Liebe behandelt – jegliche gewaltsamen Methoden sind ausgeschlossen. Die Methode hat der Pferdetrainer Pat Parelli ins Leben gerufen, der zu den berühmtesten Pferdeflüsterern weltweit gehört.
Musik, die beruhigt und entspannt
Die beiden Therapiepferde Api und Ibutz haben ihren Platz links und rechts vor dem Publikum eingenommen. In der Mitte des Zeltes haben sich vier junge Frauen auf Stühle gesetzt, die Musikinstrumente in der Hand. Links, am Klavier, sitzt Evelin Belcea. Zusammen mit Monica Rotaru am Cello, Roxana Chifan und Cristiana Constantin an der Geige und Claudia Fotin an der Bratsche entsteht ein Quintett, das Werke von Johann Sebastian Bach zum Besten gibt. Die klassische Musik erfüllt das Zelt, während die Kinder reihum auf die Pferde steigen und eine Runde in Begleitung der HorsEmotion-Teammitglieder reiten. Der kleine Junge mit Down, das Kind mit autistischen Zügen, das Mädchen im Rollstuhl – sie alle dürfen heute Bekanntschaft mit Api und Ibutz schließen. Manche sitzen allein im Sattel, einige hält Hippotherapeutin Erika Weisz im Arm. Die beiden Pferde werden liebevoll von den Kinderhänden gestreichelt. Keinem Kind bleibt heute die Reittour erspart. Sogar die Schüchternsten überwinden ihre Zurückhaltung und steigen aufs Pferd. Fast alle haben ein breites Lächeln im Gesicht.
„Wir haben harmonievolle, sehr langsame Werke gewählt, die für diese Therapieart geeignet sind“, sagt Musiktherapeutin Monica Rotaru. „Die Musik, die man während der Therapiestunde hört, füllt einen Leerraum, sie entspannt. Die Kinder können die Übungen in Ruhe durchführen“, erklärt sie. Monica Rotaru und Erika Weisz hatten sich auf einer Konferenz in Hermannstadt/Sibiu getroffen. Dort legten sie den Grundstein ihrer Zusammenarbeit. Eine Zusammenarbeit, die in Zukunft weitergeführt werden soll, versprechen sich die beiden Therapeutinnen, denn immerhin verbindet sie das gleiche Ziel: Nämlich Kindern mit besonderen Bedürfnissen zu mehr Selbstständigkeit zu verhelfen.