„Wir graben den gleichen Tunnel, im gleichen Berg, doch aus verschiedenen Richtungen. Letztendlich werden wir uns begegnen“, so sprach einst Gustav Mahler über Richard Strauss.
Die beiden Titanen, grundverschieden, was Temperament und Persönlichkeit angeht, waren als Dirigenten und Komponisten von höchstem Niveau die großen Meister der Orchestration zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie waren auch im sozialen Leben engagiert – Mahler als Direktor an der Wiener Oper, Strauss als Erarbeiter der Funktionsregeln der deutschen Orchester, die heute noch immer ihre Gültigkeit bewahrt haben.
Alma Mahler, die Gattin des Komponisten, meinte recht wahrheitsgetreu, als sie in ihren Memoiren verzeichnete: „Strauss leuchtet stark und funkelt, sagt Anekdoten und hält sich an der Äußeren Hülle der Welt fest. Mahler brennt, leuchtet, zielt nach Höherem und reißt uns mit – weit über unser persönliches Schicksal hinaus“.
Auf diesen Konzepten wurde die Interpretation ihrer Beziehung aufgebaut und in einen falschen Kontext eingebettet, in dem Strauss die Opulenz vereint hat, während Mahler die Dekadenz beleuchtete.
Im Jahr 1887 treffen sich die beiden in Leipzig zum ersten Mal. Beide waren damals junge Dirigenten, die grundverschiedenen familiären und erzieherischen Metiers entstammten.
Ein recht seltener Aspekt der Musikgeschichte ist, dass sie sich kennen gelernt, respektiert und unterstützt haben. Ihre 24 Jahre dauernde Freundschaft endete im Jahr 1911 mit dem unerwarteten Tod von Mahler.
Gustav Mahler wurde im Jahr 1860 in Iglau, an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren in einer deutschsprachigen, jüdischen Familie geboren. Der Vater besaß eine Destillerie und eine Kneipe. Seine Mutter widmete ihr Leben den zwölf Kindern, von denen nur fünf überlebt haben.
Die Kindheit von Mahler war von den frühen Sterbefällen seiner Geschwister und den Streitigkeiten zwischen seinen Eltern geprägt. Seine faszinierende Biographie belegt, dass er gerade aufgrund dieser Tatsachen eines Tages sein Elternhaus verlassen hat – angezogen von einer entfernt erklingenden Orgel, die eine österreichische Volksmelodie („Ach, du lieber Augustin“) spielte. Später wird der berühmte Psychoanalyst Sigmund Freud diese Episode mit „der schrecklichen Tragödie und der frivolen Unterhaltung“ des Kindes Mahler verbinden.
Richard Strauss wurde im Jahr 1864 in München geboren. Sein Vater war ein ausgezeichneter Musiker, Hornbläser im Orchester des Prinzen von München und seine Mutter wurde dem Status eines würdigen Mitglieds der Bierbrauerfamilie Pschorr gerecht. Die Nähe von Richard Strauss zur Familie der Mutter wird dadurch aufgezeigt, indem er seinem Onkel Georg Pschorr seine erste Komposition, den Festmarsch, Op. 1, eine in Ouvertüre in D-Moll, widmete.
Der Vater, Josef Strauss, beteiligt sich an der Erstaufführung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Parsifal“, ohne jedoch seine Begeisterung für die dramaturgischen Lösungen des Wagnerschen Theaters zu teilen. Er bleibt ein Verfechter der Wiener Klassiker, Haydn, Mozart und Beethoven.
Mahler ist Richard Strausszum ersten Mal im Jahr 1887 begegnet, nachdem er sein Musikstudium am Wiener Konservatorium abgeschlossen hatte und erste Erfolge als Dirigent aufweisen konnte. Nach Konzerten in Prag, wo er Wagner und Beethovens 9. Symphonie dirigiert hatte und nachdem der große Arthur Nikisch ihn in Leipzig zu seinem Ersatzdirigenten ernannt hatte, war Mahler in Musikerkreisen auf großes Interesse gestoßen. Gleichzeitig fand Strauss (den Wagners Bayreuth faszinierte) immer mehr Anerkennung bei Hans von Bülow, der ihn in Meiningen, einem bedeutenden Musikzentrum Deutschlands, als Dirigent einstellte. Hier wird er den großen Johannes Brahms treffen und von ihm begeistert sein.
Ab jenem Jahr suchen sich Mahler und Strauss immer öfter, sprechen über Musik und die eigenen Erfolge, jeder von ihnen vom Können des anderen überzeugt. In diesem Zusammenhang schreibt Strauss an Mahler als letzterem die Leitung der Wiener Oper angeboten wird und nachdem er zum Katholizismus übergetreten war: „Komponieren Sie nicht mehr? Es wäre schade, wenn Sie Ihre gesamte künstlerische Energie – die Sie besitzen und für die ich höchste Bewunderung hege – zugunsten des undankbaren Amtes als Theaterdirektor opfern würden“.
(Fortsetzung folgt)