Die Uhr tickt, die europäische Kulturhauptstadt steht sozusagen ungeduldig vor den Toren der Stadt Temeswar. Und doch hat man leider noch immer keine adäquate kulturelle Sehweise als Geleit für die heutige Großstadt an der Bega gefunden. Das, obwohl sich Temeswar von seinem Image und seiner Architektur her, mit 14.500 historischen Bauten reichstes städtisches Kulturerbe im Lande, geradezu als lebendiges Geschichtsbuch den Einheimischen wie auch den vorprogrammierten Tausenden Besuchern aus Europa und aus allen anderen Erdteilen anbietet. Das wertvolle Barockerbe der Stadt wie auch die Art-Nouveau- oder Jugendstil-Trasse, die beide an die Glanzzeit des Kaiserreiches erinnern und Temeswar mit Recht den Beinamen Klein-Wien eingebracht haben, ermöglichen einen unmittelbaren Kontakt mit einem wertvollen europäischen Kulturerbe von drei Jahrhunderten, bieten sich aber auch der zukünftigen Kulturhauptstadt Europas 2021 als effektvolle kulturelle Lesart an.
Wohlgemerkt: Die Stadt Temeswar ist nicht, wie sie sooft in den Schlagzeilen vorgestellt wird, die Stadt der kitschigen neuzeitlichen Roma-Palästen und wird als solche nicht in die Geschichte eingehen. Das obwohl die Immobilienhaie unserer Zeit die ehemalige Festung ringsum mit ihren protzigen, vergoldeten Palästen, mit Türmchen wie Spatzen am Dach, belagern und verunstalten. Der Cârpaci-Clan nennt derzeit 144 wertvolle Altbauten in der Stadtmitte sein Eigentum. Von Zeit zu Zeit schafft die Stadtverwaltung zum Verwundern der Einwohner mit großem Skandal den Abriss eines dieser Monsterbauten, in den Nebenvierteln. Die meisten Eigentümer leben in Paris, in Barcelona oder Rom und jetzt sagt man, dass die Temeswarer reichen Roma schnell und billig (etwa bis zu einer Million Euro) verkaufen und in die Neue Welt auswandern möchten.
Das wahre Temeswar
Das wahre Temeswar, mit der Geschichte und der Kultur Mitteleuropas eng verbunden, bietet ein ganz anderes Image: Es ist dies, was der ehemalige beherzte Stadtarchitekt Laszlo Szekely (1877-1934), auch noch mit Recht Vater des neuen Temeswars genannt, gezielt als architektonische DNA überlassen hat. Szekely, in Nagysalonta geboren, wurde nach einem Architekturstudium in Budapest 1902 mit 31 vom Temeswarer Bürgermeister Karl Telbisz zum leitenden Stadtarchitekten ernannt. Er sollte zwei Jahrzehnte in der Stadt tätig sein. Nach seinen Entwürfen entstand das neue, moderne Temeswar, das nach der von Kaiser Franz Josef I. ("Es ist mein Wille!") selbst befohlenen Entfestigung Temeswars 1892 und bis zur Schwelle des I. Weltkriegs eine niedagewesene Expansion und radikale Bautätigkeit erleben sollte. Szekely schwamm sozusagen auf den Wellen dieser optimistischen Epoche um die Jahrhundertwende, mit einem starken Glauben an Fortschritt und Zukunft. Auch in Temeswar passten seine Jugendstil-Prachtbauten, ob nun der gesamte Opernplatz mit seinen monumentalen Palästen, der Trajans-Platz, allerhand öffentliche Institutionen, Schulanstalten, Sakralbauten, Herrenhäuser und Villen oder Industriebauten, die die gleiche Eleganz und Monumentalität zeigten, wie ein Handschuh dazu. Als ersten Auftrag schuf er für die Stadt 1903 den modernen Schlachthof (Baukosten 800.000 Kronen), einer der größten der Monarchie, bis 1992 endgültig geschlossen, auf unbebautem Gebiet zwischen Fabrikstadt und Elisabethstadt. Die Konfiguration des gesamten Opernplatzes, des neuen Jugendstil-Stadtzentrums von Temeswar, mit Lloyd- und Surogat-Zeile, den sehenswerten Prunkbauten, der großzügigen Grünzone waren wohl das schönste Geschenk für unsere Stadt: In der Zeitspanne 1910-1913 entstanden die Palais Szecheny, Hilt und Vogel, Dauerbach, Neuhausz, Weiss, Handels- und Industriekammer, Timisoara-Hotel, das neue Rathaus (von Architekt Szekely 1914 begonnen aber erst 1925 abgeschlossen). Sein wohl schönstes Werk war und bleibt der monumentale römisch-katholische Piaristenkomplex mit Gymnasium, Ordenshaus und Kirche, Bauherr war in der Zeitspanne 1908 (Grundsteinlegung) - 1912 die Stadt Temeswar mit 850.000 Kronen Baukosten, der auf 3200 Klafter ehemaligen Festungsgrunds am Rand zwischen Innen- und Elisabethstadt errichtet wurde. Die schönen Spuren des Stadtarchitekten sind heute überall in der Stadt zu finden: Nach seinen Plänen wurde am Domplatz (Brück-und Emmer-Haus, Serbisches Bischofsamt, Schwäbische Bank) in der Fabrikstadt (Neptun-Bad, Orthodoxe Rumänische Kirche am Trajans-Platz, Strumpffabrik, Wasserkraftwerk), oder am Freiheitsplatz (Allgemeine Ungarische Kreditbank) gebaut. 1913 wurde die frenetische Bautätigkeit wegen den Kriegswirren auch in der Begastadt eingestellt. Es war eine glückliche Epoche für das Werden des modernen Temeswar. Selbst als Großstadt des 20. Jahrhunderts sollte die Begastadt eine derartige Bautätigkeit nicht mehr erleben. Selbstverständlich profitierte Stadtarchitekt Janos Szekely (er hinterließ wertvolle Bauten überall im Kaiserreich, vor allem in Ungarn und Serbien) damals von der Identitätssuche der ehemaligen Provinzstädte und Militärfestungen, von der bemerkenswerten Industrierevolution und auch von dem neuen Willen und Streben des jungen Banater Großbürgertums, der Welt Macht und Reichtum zu zeigen.
Für die Stadt Temeswar (2002 wurde Szekely posthum Ehrenbürger der Stadt Temeswar, 2013 wurde seine Büste wohl nicht in der Allee der Stadtpersönlichkeiten aber immerhin im Königin-Maria-Park enthüllt) gibt das gesamte Lebenswerk dieses Mannes weiterhin als eines der wertvollsten Stücke des Stadterbes (zum Teil heute leider sanierungsbedürftig), eine nicht zu ignorierende städtische Visitenkarte der künftigen Kulturhauptstadt, ab.