Deutsche Rock- und Pop-Musik ertönt aus den Lautsprechern. An der Rezeption steht Isabela Bucur. Rotes Haar, Labret-Piercing zwischen Kinn und Unterlippe. Heute Abend hat Isabela die für sie charakteristische Sportkleidung in dem Schrank gelassen und ist in ein Dirndl geschlüpft. Es ist ein Abend, an dem in Temeswars einziger Kletterhalle fast ausschließlich deutsch gesprochen wird: Der Sportverein One Move veranstaltet den ersten deutschen Kletterabend überhaupt. Ein Treffen der sportbegeisterten Deutschen aus Temeswar, das in ein geselliges Beisammensein mündet.
Die Kletterhalle im zweiten Stockwerk des Gebäudes an der Republicii-Straße wird langsam voll. Am Eingang bekommen einige Gäste die besonderen Kletterschuhe, dann heißt es, kurz aufwärmen und schon kann es losgehen. Dass es den jungen Leuten, die an diesem Abend in die One-Move-Kletterhalle gekommen sind, Spaß macht, ist nicht zu übersehen. Sie unterhalten sich, lachen, probieren die eine oder andere Wand aus, stellen ihre Kraft und Ausdauer unter Beweis. Der Boden in der Halle hat eine dämpfende Wirkung, sodass es bei eventuellen Stürzen gar nicht weh tut.
„Es kommen viele Deutsche regelmäßig in unsere Halle, deswegen haben wir uns gedacht, diesen deutschen Kletterabend für sie zu organisieren“, sagt Andrei Preda, der zusammen mit Adrian Margea die One-Move-Kletterhalle betreibt. Der Absolvent der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule ist von Beruf her IT-Fachmann. Das Klettern übt er zwar nebenberuflich aus, jedoch ist die Leidenschaft dafür groß. Bereits während seiner Schulzeit war Andrei begeisterter Bergwanderer. Dann entdeckte er die damals improvisierte One-Move-Kletterhalle und die Temeswarer Klettergemeinde. „Klettern ist eine Kombination aus physischer Kraft, psychischer Stärke, Ausdauer und Technik. Eine vielfältige Aktivität, denn jede Route ist anders und man macht immer etwas Neues“, erzählt er. Die Kletterer trainieren während der Woche in der Halle und begeben sich an Wochenenden ins Gebirge. Meist in das 2,5 Stunden von Temeswar entfernte Herkulesbad/Băile Herculane, wo sich Rumäniens größtes Klettergebiet befindet.
Der deutsche Kletterabend scheint ein Erfolg zu sein: Medizin- und Erasmus-Studierende, aber auch Mitarbeiter deutscher Unternehmen sind gekommen, um einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen, dem Klettern, nachzugehen. Medizinstudent Florian Zschätzsch, der ursprünglich aus Hof in Nordbayern kommt, war vor drei Jahren erstmals in der One-Move-Kletterhalle. „Die Mentalität hier in der Halle ist anders im Vergleich zu Deutschland, wo vielleicht mehr Ordnung herrscht. Aber der Ort hier ist sehr cool, sehr alternativ“, sagt Florian, der anlässlich des ersten deutschen Kletterabends auch seine Freunde in die Kletterhalle eingeladen hat. Zu den Teilnehmern gehört auch die Continental-Mitarbeiterin Eva Götz. „Ich war auch früher, in Deutschland, in Kletterhallen unterwegs. Mittlerweile ist das Klettern in Deutschland ein Breitensport. Man braucht zwar etwas Kraft, aber es ist eigentlich ein Sport für jedermann“, sagt Eva Götz, die seit etwa einem Jahr in Temeswar lebt.
Jeder kann zwar dem Klettern nachgehen, doch Leistung erbringen nur die, die wirklich hart trainieren. Zu den Leuten, die ihre Grenzen überwinden wollen, gehört auch Matyas Luzan. Der 26-Jährige trainiert seit etwa zwei Jahren, um die Action Directe im Frankenjura zu bewältigen. Die Kletterroute mit dem Schwierigkeitsgrad 9a wurde von Wolfgang Güllich im Jahr 1991 erstbegangen und gehört zu den schwierigsten weltweit. Die Route ist etwa 15 Meter lang und besteht aus elf bzw. zwölf schweren Zügen, die mit einem besonderen Sprung aus einem Einfingerloch in ein scharfes Zweifingerloch beginnen. Vier Mal die Woche kommt Matyas Luzan in die One-Move-Kletterhalle, um zu trainieren. Noch in diesem Frühling, wenn die Kälte etwas nachgibt, will Matyas seine Kraft und Ausdauer auf Deutschlands schwerster Kletterroute unter Beweis stellen. Schafft er das, was er sich vorgenommen hat, so wird er zum ersten Bürger Rumäniens, der die Action Directe wiederholt hat.