Kurz vor 20 Uhr beginnen sie sich vor dem Haus an der Brâncoveanu-Straße 50 in Temeswar/Timişoara zu versammeln. Männer und Frauen mittleren Alters, auch jüngere Leute stehen an, ihre Kleidung durchnässt, Füße und Hände eiskalt. Sie warten auf ein warmes Abendessen, eine Dusche, ein Bett. In ihren Gesichtern stehen die Sorgen geschrieben, die sie nicht losbekommen. Nicht, solange sie keine Festanstellung und keinen sicheren Platz zum Schlafen haben. Das Pater-Jordan-Nachtasyl für Obdachlose ist eine zeitweilige Bleibe, doch in der kalten Jahreszeit die Rettung vor dem sicheren Tod auf der Straße. Wenn für viele dieser Menschen im Sommer ein Karton völlig ausreicht, um sich darauf auszustrecken und zu schlafen, so wird im Winter das Leben auf der Straße zu einem Überlebenskampf. Fiese Kälte, Feuchtigkeit und Schnee – bei so einem Wetter würde man sich am liebsten unter eine warme Decke verkriechen, gerade am Abend und in der Nacht. Den Minus-Temperaturen, die meist von Dezember bis Februar im Banat anhalten, sind die Obdachlosen schutzlos ausgesetzt.
„Kein Mensch darf in der Kälte bleiben. Wähle die 112“: Unter diesem Motto kreist ein Bild im Sozialnetzwerk Facebook, darauf ist ein auf der Straße dösender Obdachloser abgebildet. Die Temescher Lokalpolizei und der Katastrophenschutz (ISU) fordern die Banater auf, die Notrufnummer zu wählen, falls sie Menschen antreffen, die auf der Straße übernachten. Die Obdachlosen werden von den Mitarbeitern des Temeswarer Rettungsdienstes abgeholt und zu einem der Notquartiere in Temeswar und Lugosch/ Lugoj befördert. Insgesamt vier Krankenwagen können täglich durch die Stadt fahren und die Obdachlosen aufnehmen. In Temeswar stehen vier Unterkünfte zur Verfügung: zwei Quartiere werden von der Stadt verwaltet (an der Tipografilor- und Invăţătorilor-Straße), zwei gehören Temeswarer Wohltätigkeitsorganisationen (das Pater-Jordan-Nachtasyl und eine Unterkunft des Vereins „Timişoara ´89“).
80 Unterkunftsplätze kann das Pater-Jordan-Nachtasyl der Caritas Temeswar sichern. „Diese Zahl wird im Winter übertroffen. Man kann doch die Menschen nicht auf der Straße erfrieren lassen“, sagt Caritas-Geschäftsführer Herbert Grün. Bis zu 120 Menschen finden in der Sozialeinrichtung während des Winters eine Bleibe für die Nacht. Frühmorgens müssen die Obdachlosen das Haus verlassen und sich auf Arbeitsuche begeben. Im Haus bleiben die Alten und Kranken, die Mütter mit Kindern. Einige verdingen sich als Tagelöhner, andere – die meisten – gehen betteln. Abends, beim Eingang, müssen sie die symbolische Summe von 50 Bani bezahlen. Im Nachtasyl sind die Regeln klar: Wer Alkohol getrunken oder Drogen zu sich genommen hat, der bleibt vor dem Tor. Dass es allerdings einen Sozialarbeiter gibt, der bei klirrender Kälte den alten, nach Alkohol stinkenden Mann auf die Straße schicken würde, ist unvorstellbar.
Eine dünne Schneesicht hatte sich Ende letzter Woche im Banat gebildet. Die Kinder warteten sehnlichst darauf, denn sie konnten endlich ihre Schlitten aus dem Keller holen, wieder Schneemänner bauen oder entzückt durch die weißen Straßen laufen – eingemummelt wie Eskimos. Der einen Freud, der anderen Leid: Ingesamt 27 obdachlose Menschen sind seit Jahresbeginn unterkühlt und mit Frostbeulen ins Krankenhaus eingeliefert worden, berichtet ISU Banat, hier wurden sie medizinisch betreut und anschließend in eine Notunterkunft befördert. Schlimmere Vorfälle, wie etwa Kältetod, wurden im Kreis Temesch in diesem Jahr nicht verzeichnet.
Die Anzahl der Anforderungen steigt von Jahr zu Jahr um 5 bis 10 Prozent, heißt es beim Temeswarer Notfalldienst. Da die Zahl der Menschen, die in der Kälte übernachten, stetig wächst, hat die Stadt vor Kurzem eine zeitweilige Herberge während der Winterzeit an der Inv²]²torului-Straße Nr.8 einrichten lassen. „Die Kommunalpolizei überwacht die Unterkunft und die Mitarbeiter der Sozialkantine bringen kleine Imbisse und heißen Tee für die Nutznießer“, sagt Daniela Seracin, die Pressesprecherin der Temeswarer Kommunalpolizei. Ihre Unterkunftssorgen können diese Menschen allein für eine kurze Zeit loswerden, denn diese Bleibe ist nur während des Winters offen. Sie empfängt ihre Gäste seit dem 31. Dezember 2015 und das, solange die Kälte anhält. Hier sind insgesamt 37 Plätze verfügbar. „Bei Bedarf können zusätzliche Matten eingesetzt werden“, sagt Gabriela Curuţ, die stellvertretende Sozialamtsleiterin. „Die genaue Anzahl der Untergebrachten ändert sich ständig. In einer Nacht waren hier 31 Betten, in einer anderen alle 37 belegt“, fügt Gabriela Curuţ hinzu.
Während der Kälte können Leute auch im neuen Notsozialzentrum für Obdachlose an der Tipografilor-Straße untergebracht werden. 15 zusätzliche Plätze stehen im Winter neben den 35 permanenten Unterkunftsplätzen zur Verfügung, eine Suppenküche für Bedürftige, wo bis zu etwa 800 Leute täglich eine warme Mahlzeit bekommen können, ist ebenfalls vorhanden. Die Bedürftigen können hier übernachten, sie werden psychologisch und medizinisch betreut, sie können sich waschen und etwas Warmes essen. Das Zentrum richtet sich an Obdachlose über 18 Jahre und an Erwachsene mit Kindern. In Temeswar leben Schätzungen der Kommunalpolizei zufolge mehr als 1100 obdachlose Menschen.