„Wir messen uns an Kleinstädten in Westeuropa“. Mit dieser Aussage hat der Bürgermeister von Großsanktnikolaus, Danut Groza, immer wieder aufhorchen lassen. An diesem Standard selbst scheint er sich messen zu wollen. Modern gepflasterte Straßen und vom Bürgermeisteramt vorgegebene Standards für die Grünflächen vor den Häusern zeigt er stolz und für öffentliche Dienstleistungen lässt er auch gerne Subventionen fließen. Doch das kostet Geld, das wieder eingenommen werden muss. Investoren heranziehen und hier behalten gehört – eigenen Aussagen nach - zu den wichtigsten Anliegen des Ortsvorstehers. „Null-Arbeitslosigkeit“, so schwärmen die Medien von der Kleinstadt in Westrumänien. Doch so etwas kann auch schnell zum Nachteil werden, wenn sich herumspricht, dass in Stadt und Raum Großsanktnikolaus keine verfügbaren Arbeitskräfte da sind. Und deshalb will der Bürgermeister Personal aus dem Nachbarland Serbien für die Betriebe in Großsanktnikolaus gewinnen.
Großkonzerne in Personalnot
Schichtwechsel am Stadtrand von Großsanktnikolaus sieht heute fast schon wie in alten Zeiten aus, als an der Ausfallstraße nach Tschanad Hanf bearbeitet und Pressplatten hergestellt wurden. Heute sind es Elektrokomponente, die auf gleichem Areal produziert werden. Hier hat seit Jahren einer der großen Arbeitgeber der Region seinen Standort. Tausende von Bürgern sind im Werk beschäftigt. Viele kommen aus Großsanktnikolaus selbst, andere werden mit Bussen auch aus entfernten Dörfern zu ihrem Arbeitsplatz gebracht. Ähnlich sieht es an der Ausfahrt nach Temeswar aus, wo ebenfalls ein großer internationaler Konzern seit fast zwei Jahrzehnten eine Niederlassung hat. Die Stadt selbst hat aus diesem Grund eine Arbeitslosenrate, die eher ans Unwahrscheinliche grenzt. Nur der, der gar nicht vermittelbar ist, hat im westrumänischen Großsanktnikolaus keine Arbeit.
Fast wie ein eigener Bahnhof mutet es an, wenn Bus an Bus neben der Landstraße steht - die Mitarbeiter reisen viele Kilometer an: Aus Pesak, Ketfel/ Gelu und Altbeba/ Beba Veche – um nur die zu nennen, die eine längere Anreise auf sich nehmen. In diese scheinbare Krisensituation hinein, sagt der Bürgermeister von Großanktnikolaus, D²nu] Groza, dass er „ständig darauf bedacht ist, Investoren heranzuziehen“. Nicht zuletzt expandierten die beiden Fabriken der Ortschaft und suchen dementsprechend Personal. Irgendwie wurmt es den Ortsvorsteher, dass vor einigen Jahren, die in Großsanktnikolaus angesiedelten Firmen, Niederlassungen in Ineu oder Neumoldowa/ Moldova Noua gegründet haben – eben weil im Raum Großsanktnikolaus nicht ausreichend Personal verfügbar war. Um künftig die Firmen je mehr Aufträge in seiner Ortschaft abwickeln zu lassen, nimmt Bürgermeister Groza die Chance wahr, die sich ihm nun bietet – Personal aus Serbien nach Großsanktnikolaus zu bringen.
Valcani. Eine vage Alternative
Die schmale, holprige Straße lässt stellenweise nur noch dürftig erkennen, dass es einst zwischen Valcani und dem Grenzübergang einen Asphaltbelag gab. Die Straßenränder flankieren Abwassergräben; dahinter ausgedehntes Ackerland. Ein Zollhäuschen und eine Containerbaracke sind in der Ferne sichtbar, irgendwo dahinter zeichnet sich eine neue, frisch markierte Landstraße ab. Ein Schlagbaum steht als Trennlinie zwischen den beiden Straßenabschnitten – der Schlagloch-Straße auf der einen und der neuen Asphaltbahn auf der anderen Seite. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Grenze hier, im ehemaligen Großbanat, neu gezogen. Die Aufschrift auf den Kilometersteinen gibt das Jahr 1923 an, im Kommunismus haben es sich die ehemaligen Machthaber nicht nehmen lassen, auch noch RSR, (Anm. Sozialistische Republik Rumänien) aufzudrucken. In dieser Einöde gibt es derzeit für die Grenzschützer an der rumänisch-serbischen Grenze bei Valcani einen recht langweiligen Job. 20 – 30 Personen und 10 – 15 Wagen haben die Grenzpolizisten bei ihrem Zwölf-Stunden-Job pro Tag abzufertigen. Während der halben Stunde unseres Aufenthaltes kommt ein einziger Wagen vorbei. Nachtsüber ist der Grenzübergang zwar überwacht, doch nicht passierbar. Kulturelle und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Bürgern dies- und jenseits der Grenze haben die Eröffnung des Übergangs veranlasst, sagt Cosmin Pescariu, interimistischer Leiter des Territorialen Grenzschutzinspektorates in Temeswar/ Timisoara. Nun soll die wirtschaftliche Komponente dazukommen. Wächst der Verkehr, müsse die Zufahrt zum Grenzübergang nach Valcani auf der rumänischen Seite nicht nur saniert, sondern wohl auch breiter angelegt werden.
Gastarbeiter als Notlösung
Geht es nach den Kommunalbehörden in den beiden Grenzgebieten, dann reisen schon bald Arbeiter aus Vrbica, Mokrin und gar Kikinda bis nach Großsanktnikolaus um die Nachfrage vor allem in den beiden Großbetrieben zu decken. „Die Idee, Arbeitskräfte aus Serbien, aus dem Raum Kikinda - mit recht hoher Arbeitslosigkeit - nach Großanktnikolaus zu bringen, ist nicht neu“, sagt Bürgermeister Groza. Bisher war jedoch ein solches Vorhaben nicht umsetzbar, denn erst seit November 2014, als der Grenzübergang eröffnet wurde, waren auch die Voraussetzungen zur Durchreise von serbischen Arbeitern gegeben. „Ich habe bereits mit dem Regionaldirektor für Nationalstraßen gesprochen, damit die Zufahrtsstraße zur Grenze saniert wird“, sagt Groza. Eine große Hürde, den Grenzübergang rund um die Uhr zu öffnen, sieht er nicht und Grenzschützer Cosmin Pescariu kann sich ebenfalls nicht vorstellen, dass dies eine komplizierte Angelegenheit werden könnte. „Von der Logistik her sind wir in Valcani entsprechend ausgestattet“, sagt der leitende Grenzpolizist. Eine Vereinbarung der Außenminister und Regierungserlasse – darin bestünden die politischen und bürokratischen Aufgaben. Vor Ort jedoch, an der Grenze, wenige Kilometer hinter dem Gemeindezentrum Valcani, gibt es leise Bedenken. „So ganz einfach ist das nicht“, lächelt Chefkommissar Vasile Ganga, Leiter des Grenzabschnitts bei Großsanktnikolaus. „Die Computer müssen schnell und sicher funktionieren, damit es nicht allzu lange dauert, bis wir die Durchreisenden abgefertigt haben“. Dabei denkt Ganga an die Situation, in der ein Pulk an Arbeitern in kürzester Zeit kontrolliert ist und über die Grenze darf. Das würde eventuell 2-3 Mal pro Tag und in beide Richtungen geschehen. Auch Personalaufstockung sei an der Grenze notwendig, sagt er. Schätzungen nach könnten die großen Fabriken in Großsanktnikolaus sogar bis zu 800 Mitarbeiter aus dem Nachbarland einstellen. Bis in die Gegend von Mokrin würden die Arbeitnehmer täglich zweimal einen Weg von 30-40 Kilometern zurücklegen müssen. Doch in Großanktnikolaus baut man darauf, dass viele der arbeitsfähigen Bewohner von Mokrin keine feste Arbeitsstelle haben und den Job in Rumänien gerne annehmen. Insider wollen wissen, dass die potentiellen serbischen Arbeitnehmer, so gut wie kein Rumänisch sprechen. Eine Sprachhürde? Wohl kaum, glauben Personen aus einem der Werke, denn „am Fließband arbeiten, das kann man ganz einfach erlernen und vor Ort sprechen viele Rumänen auch ganz gut serbisch“.
Durch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt erwartet sich Bürgermeister Groza auch besseres Einkommen seiner Mitbürger. Dass höhere Löhne die Firmen zum Abwandern veranlassen könnten, das glaubt er nicht. Einer der Investoren hat gar das bisher angemietete Grundstück unter seiner Fabrik gekauft – so etwas gibt ihm die notwendige Sicherheit, dass der Investor zumindest mittelfristig an seinem Standort plant. Und wenn es sein muss, lässt Groza aus Haushaltsgeldern auch schon mal einen Parkplatz auf öffentlichem Grundstück zugunsten eines Unternehmens bauen, wie er das bereits einmal getan hat.