Die Geschichte der Ortschaft Tschanad/Cenad kann ab sofort in einer Monographie nachgelesen werden, die in diesem Monat im Artpress-Verlag in Temeswar/Timişoara herausgebracht wurde. Der Autor Duşan Baiski (57), Schriftsteller und Journalist, setzt sich auf mehr als 300 Seiten mit verschiedenen Ereignissen auseinander, die die Ortschaft an der Grenze zu Ungarn in der Zeit während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben. Im Mittelpunkt des Bands „Cenad – Studii monografice“ (deutsch: „Tschanad – Monographische Studien“) stehen stets die Dorfbewohner: Rumänen, Deutsche, Serben und Ungarn. Nicht nur Daten, sondern auch Archivkarten und –fotos aus zahlreichen Informationsquellen hat Baiski in dem Band abgedruckt. Das Buch erschien mit Unterstützung der Tschanader Kommunalverwaltung und kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden. Über die Monographie sprach BZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit dem Autor Duşan Baiski. Das Interview lief per Email.
Vor Kurzem wurde das Buch „Tschanad – Monographische Studien” herausgebracht. Was verbindet Sie mit dieser Ortschaft?
Mit Tschanad verbinden mich viele Aspekte. In erster Linie sind es zehn Jahre meines Lebens, die ich in Tschanad verbracht habe. Geboren bin ich in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare. Nachdem sich meine Eltern getrennt haben, siedelte ich mit den Großeltern mütterlicherseits nach Tschanad um. Dort schloss ich die Grundschule mit den ersten acht Klassen ab. Danach ging ich nach Temeswar, wo ich auch heute wohne. Um wieder auf Ihre Frage zurückzukommen: In Tschanad habe ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht: meine Kindheit. Die Jahre, in denen du keine finanziellen Sorgen hast und deine einzige Pflicht die ist, gut in der Schule zu lernen. Darum habe ich mich damals auch bemüht.
Warum war dieses Buch notwendig?
Als ich als Grundschul-Schüler ich mit dem Geschichtsunterricht begonnen hatte, stellte ich fest, dass ich gar nichts über die Geschichte der Ortschaft wusste. Ich erfuhr damals, dass es schon ein Buch über die Geschichte von Tschanad gab, aber darüber sprach man nur insgeheim. Viel später fand ich heraus, um welches Buch es sich handelte: „Die Gemeinde und die Kirchen aus Giridava-Morisena-Cenad” des Priesters Gheorghe Cotoşman, neu herausgegeben in 2009 von dem verblichenen Schriftsteller Gheorghe Doran, meinem Rumänischlehrer in den Klassen V-VIII, der mir auch die Liebe zum Schreiben vermittelt hat. Ich wusste nur, dass Gheorghe Doja, der in Temeswar als Märtyrer starb, durch Tschanad gekommen war. In der Mauer der römisch-katholischen Kirche gab es einen Ring, an den er angeblich sein Pferd angebunden hatte. Die Kommunisten versuchten, diesen Ring mit dem Traktor aus der Wand herauszuzerren, doch es gelang ihnen nicht. Es war sicherlich nur eine Legende, genau so wie die Tunnels unter der Kirche, die Tschanad mit Szeged und sogar mit... dem Schwarzen Meer verbinden würden. Um mehr über die Geschichte von Tschand zu erfahren – was sich auch so gut wie alle Tschanader wünschten – begann ich, als Journalist, mit meinen ersten Recherchen. So kam ich dazu, ein zweites Buch über die Dorfgeschichte herauszubringen, nach „Cenad, pur şi simplu” aus dem Jahr 2009.
Was für Dokumente haben Sie für Ihre Dokumentation verwendet? Oder, besser gesagt: Wie schwer war es, all die Quellen zu sammeln, die für eine Monographie erforderlich sind?
In erster Linie muss ich hinzufügen, dass es nicht eine Monographie Tschanads ist, sondern die Monographie einer kurzen Zeitspanne in der Geschichte der Ortschaft. Prinzipiell habe ich über die Ereignisse aus den Jahren 1920 – 1970 geschrieben. Vor allem über den Zweiten Weltkrieg, die Agrarreform, die Wahlen von 1948, die Deportation der Banater Schwaben in die ehemalige Sowjetunion, die Vergenossenschaftung, usw. Ich habe mich mit diesen Ereignissen beschäftigt, weil ich im Temescher Archiv viele Originaldokumente gefunden habe, die von Grenzpolizisten, Gendarmen, Polizeichefs, Präfekten, Bürgermeistern und Sekretären unterschiedlicher politischer Parteien verfasst wurden. Ich habe mehr als 45.000 Dokumente fotografiert. Vielleicht fragen Sie sich, warum so viele für ein einziges Buch. Einen Teil dieser Dokumente habe ich für mein erstes Buch, „Cenad, pur {i simplu” (Marineasa-Verlag, Temeswar, 2009) verwendet. Als ich das Archiv durchstöberte, bestellte ich alle Unterlagen, in denen das Wort „Tschanad” auftauchte. Und weil ich mit der Digitaltechnik bewandert bin, fotografierte ich all diese Unterlagen. Ich bin überzeugt, dass mir diese Dokumente auch für andere Bücher zu Gute kommen werden, weil sich nicht alle dieser 45.000 Dokumente auf Tschanad beziehen. Ich habe diese Methode angewandt, weil sie viel effizienter ist, als Monate lang im Lesesaal zu sitzen und mit dem Kugelschreiber das Interessante zu notieren. Zu Hause, am Computer, kann ich die Dokumente immer wieder heranziehen. Andererseits gebrauchte ich auch andere Informationsquellen, aber in geringerem Maße. Einige Daten erhielt ich aus Deutschland und Serbien, wo Leute mir Dokumente aus dem Deutschen, Ungarischen und sogar Lateinischen übersetzten und zukommen ließen.
Welche wären, Ihrer Meinung nach, drei interessante Aspekte, die in diesem Buch behandelt werden? Etwas, was Sie gar nicht erahnt hätten.
In erster Linie die Tatsache, dass in Tschanad keine großen interethnischen Konflikte stattgefunden haben, also Sachen, die von dem lokalen Gendarmenposten behandelt worden wären. Im Vergleich zu anderen Ortschaften, wo immer eine gewisse Ethnie die Mehrheit bildete, gab es in Tschanad diese Mehrheit nicht, auch wenn die Rumänen zahlreicher waren. In Tschanad gab es ein interessantes Gleichgewicht, Tschanad war eine Art Schweiz. Damals gab es, in etwa in der selben Anzahl, Rumänen (mehr), Deutsche, Serben und Ungarn. In zweiter Linie, obwohl in Kriegszeiten die Serben die Deutschen schlecht leiden konnten, wegen des Verhaltens der deutschen Armee in Jugoslawien und des Einzugs der Tschanader Deutschen in die SS-Abteilung „Prinz Eugen” aus Bela Crkva (heute in Serbien), merkte ich mir zwei interessante Sachen: Der römisch-katholische Pfarrer aus Tschanad, ein Schwabe, wurde von dem serbischen Pfarrer vor den Schüssen der Sowjets gerettet. Während der Kämpfe zwischen Deutschen und Sowjets auf den Straßen von Tschanad gerieten Schwaben und Serben aus Tschanad in ein Versteck. Als deutsche Soldaten hereinkamen, zogen alle schnell deutsche Mützen an. Als Sowjets hereinkamen, wurden von allen serbische Mützen aufgesetzt. Es gab einen paradoxen Zusammenhalt in jenen Augenblicken. Und drittens, nachdem sie aus der Armee Titos zurückkehrten, rächten sich die etwa 20 Serben gegen niemanden. Es gab ständig Drucksituationen, schwerere oder leichtere, aber keine artete in etwas Schlimmes aus. So musste die Polizei nicht eingreifen und die Ereignisse in offiziellen Dokumenten verzeichnen.
Wer sollte, Ihrer Meinung nach, dieses Buch lesen?
Jeder sollte es lesen. Und ich sage Ihnen auch, warum. In Büchern über jüngste Geschichte spricht man über viele Sachen, aber nicht über die Realität jener Zeiten. Weil es in jenen Studien gar nicht bis kaum um Menschen geht. In meinem Buch gibt es jede Menge Ereignisse, auch kleinere, in denen es um Menschen geht. Um ehrlich zu sein, habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, auch ein Literaturbuch zu verfassen.
Ausgewanderte „Söhne Tschanads” wenden sich an Sie über Facebook, um an das Buch heranzukommen. Welches Feedback haben Sie nach der Buchpräsentation erhalten?
Das Buch wurde vom Kommunalrat und dem Bürgermeisteramt Tschanad finanziert. Die rumänische Gesetzgebung verbietet es, Profit aus Aktivitäten herauszuschlagen, die von Lokalverwaltungen gesponsert werden. Weil also das Bürgermeisteramt Tschanad das Buch nicht verkaufen kann, ist es auch sonst nicht verkäuflich. Es wurden 500 Exemplare gedruckt – ausreichend für die Zeiten, in denen wir leben. Die Situation wird durch das Internet gerettet. Das Buch kann man unter http://www.cenad.ro/cenad_studii_monografice_FINAL.pdf herunterladen. Das Feedback war bisher sehr positiv, was mich auch freut. Vom Schriftsteller bin ich jetzt Monograph geworden.
„Auch das Tschand ist nicht mehr das, was es einmal war“. Sie sagen es mit Traurigkeit und gewisser Nostalgie. Was hat sich verändert bzw. was ist unverändert geblieben?
Ja, das Tschanad ist nicht mehr das, was es einmal war. Auch der Tschander nicht. Auf den Straßen hört man kein „Bună ziua”, „Guten Tag”, „Dobar dan” oder „Jó estét” mehr. In Tschanad grüßt man nicht mehr. Die Schule ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Die Eltern und Lehrer, auch die Kinder sind heute anders. Tschanad wurde (erneut) zu einer Stadt, in der niemand niemanden mehr kennt. Die Gärten, die einst Temeswar, Arad und sogar Großwardein/Oradea und Klausenburg/Cluj mit Karotten, Sellerie, Petersilie, Zwiebeln und Knoblauch, Kartoffeln und Kuchenmohn belieferten, sind jetzt – wenn nicht voller Gras, dann mit Gerste, Weizen und Roggen bepflanzt. Und der Tschanader arbeitet in Großsanktnikolaus oder jenseits der Grenze und kauft alles im Laden. Die Zeiten haben ein hartes Wort gesprochen. Nichts dauert ewig. Was aber wichtig ist: Der gebürtige oder der Wahltschanader hat die moralische Pflicht, die Vergangenheit dieses Ortes zu kennen. Sonst würde er durch die Welt passieren, als ob es ihn gar nicht gegeben hätte.
Wie würden Sie „Ihr Tschanad“ beschreiben?
Tschand ist meine Märchenwelt. Es ist das Tschand meiner schönen Erinnerungen. Ein himmlischer Ort.