Gott hat es schwer. „Gott“ Lloyd hat es schwer. Als Regisseur ist er am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Denn es ist Hauptrobe. Eigentlich Generalprobe. Oder wie auch immer. Jedenfalls sind es nur noch wenige Stunden bis zur Aufführung. Und die Welt gerät aus den Fugen! Erst langsam, dann immer schneller, dann mit rasantem Tempo. Talfahrt! Die Schauspieler verhaspeln sich, verpassen den Auftritt oder vergessen, welche Requisiten sie gerade wohin tragen sollen. Und irgendwo im Hintergrund spielen sich auch die persönlichen, intimen oder nur den Nahestehenden bekannten Dramen ab, drohen in die Handlung durchzusickern…
Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“ ist die Erfolgskomödie des britischen Gegenwartsdramatikers und war bereits in den 1980er Jahren ein Kassenschlager auch in Deutschland. Die jüngste Premiere am Deutschen Staatstheater Temeswar garantiert zweieinhalb Stunden Training für die Lach- und Bauchmuskulatur, denn so wie diesmal haben die Besucher seit langem nicht mehr gelacht!
Gastregisseur Wolf E. Rahlfs hatte keine leichte Aufgabe, hatte aber trotzdem die Schauspieler des DSTT gut im Griff. Das Tempo des Stückes – immer stärker wird auf das Gaspedal getreten – erfordert perfekte Abstimmung.
Vielleicht in keinem anderen Beruf stehen sich die Menschen so nahe wie im Theater, kennen sich gegenseitig so gut, mit kleinen und großen Problemen, mit Liebesaffären und Alkoholproblemen, mit viel Liebe und viel Hass. Nicht anders ist es am „Grand Theater“. Und Lloyd Dallas (exzellent von Radu Vulpe dargestellt), der die intimsten Probleme der Schauspieler kennt, kämpft mit den Geistern, die seine Aufführung bedrohen: Er wiederholt mit den Schauspielern die Zeilen, die Auftritte, sogar das Handhaben eines Sardinentellers, mit dem es sich im Stück (das Stück im Stück, versteht sich) die Haushälterin Mrs. Clackett vor dem Fernseher gemütlich machen will, bevor das Chaos ausbricht. Denn das Ehepaar Brent, das sie bedient, ist gerade auf der Flucht wegen Steuerhinterziehung, das Haus soll verkauft werden, aber ausgerechnet da kommt ein Immobilienmakler, um sich mit seiner Geliebten in dem komplett renovierten Haus aus dem 16. Jahrhundert, für ein paar Stunden auszulassen, das Ehepaar Brent erscheint dann unerwartet und als Zugabe tritt auch ein Einbrecher zum Fenster herein: Keine Alarmanlage, na also dann!
Und bei der Probe läuft vieles schief, vor allem das mit dem Sardinenteller wollen die Schauspieler irgendwie nicht kapieren!
Das Chaos vor der Bühne ist aber nichts im Vergleich zu dem Gewitter hinter der Bühne, von dem das Publikum im zweiten Akt zu spüren bekommt. Dabei wird das Bühnenbild umgedreht und plötzlich sitzt das Publikum nicht mehr im Wohnzimmer der Brents, sondern in den Kulissen mit der Aufschrift „Silence backstage!“ – für das Bühnenbild zeichnet Franziska Smolarek (als Gast).
Und es geht alles anders als ruhig zu: Zwischen dem Liebespaar Dotty und Garry (äußerst gelungen von Tatiana Sessler Toami und Konstantin Keidel gespielt) gibt es heftige Auseinandersetzungen mit Eifersuchtsszenen, Selsdon (Franz Kattesch macht sich gut in dieser Rolle) hat ein Alkoholproblem und Freddy ist ein Weichei (Rares Hontzu schlüpft in diese Rolle). Lloyd ist eigentlich nur gekommen, um (eine) seine(r) Geliebte(n) Vicki (Isa Berger spielt meisterhaft) – mit einer Flasche Alkohol und einem großen Blumenstrauß zu beschwichtigen, die Blumen landen aber dank Tim (mit viel Witz von Harald Weisz dargestellt) woanders und Lloyd erfährt, dass er Vater wird. Mutter wird aber nicht Vicki, sondern die Regieassistentin Poppy (Oana Vidoni ist in dieser Rolle zu sehen). Lloyd ist von den vielen Ereignissen überrumpelt, zum Glück hat sich Belinda im Griff (Daniela Török spielt sie gekonnt und mit viel Energie) und es gelingt ihr die Kollegen doch noch auf die Bühne zu bringen: „Show must go on!“
Selten verspürt man in der Theaterkritik den Drang, alle Schauspieler aufzuzählen, die mitgemacht haben. Für eine große Leistung aber einen großen Applaus: Tatiana Sessler Toami, Radu Vulpe, Isa Berger, Konstantin Keidel, Daniela Török, Harald Weisz, Franz Kattesch und Oana Vidoni!