Nein, spektakulär kann ein Spaziergang im Sommer 2017 über Temeswars ältesten und berühmtesten Stadtplatz, den Domplatz, kaum genannt werden. Die letzte Sanierung des Platzes, womit die Einwohnerschaft wohl wiedermal allerhand falsche Hoffnungen verbunden hatte, fiel nach Willen von Bürgermeister Robu, der Stadtverwaltung und des Architektenteams letztlich gar nicht so schlecht aus: Es wurde zum Glück nichts verdorben bzw. zur sogenannten Modernisierung und Verfälschung des wertvollen Barock-Ensembles unternommen. Alle 16 Bauwerke, auf dem Zwei-Hektar-Geviert seit Jahren unter Denkmalschutz, stehen, zu bestaunen und etwas sanierungsbedürftig, da. Das Original-Kopfsteinpflaster ist uns erhalten geblieben, es wurde von teuer bezahlten Maramurescher Bauleuten fachgerecht gewendet. Schön auf ihrem Stammplatz auch die von Tauben umschwirrte und betupfte Dreifaltigkeitssäule inmitten der Grünfläche (Die eifrig benässte Grasfläche ist, fix nach dem Projekt aus dem Rathaus, blumenlos, schießt aber stets dankbar in den wilden Klee). Der alte Brunnen spritzt noch immer sein etwas schwefelhaltiges und lauwarmes Nass in die Luft: Die lustigen Zeiten, als der ehrwürdige Domplatz mit dem bitteren Kommunismus auskommen musste, da man hier Schlange stand, um wenigstens Trinkwasser nach Hause schleppen zu können, sind vorbei. Ein treuer, grauhaariger Freund des Brunnens schwört aber mit erhobenem Arm vor dem Hohen Dom, dass hier trotzdem das beste Wasser der Stadt zu trinken wäre.
Was ist noch da vom Original?
Weil sich hier nicht viel Grundsätzliches ändern wird, lohnt es sich von Zeit zu Zeit die rhetorische Frage zu stellen: Was ist noch übrig von Klein-Wien? Ein Kenner, der bekannte Temeswarer Publizist Franz Engelmann, nennt den Domplatz in seinem Temeswar-Band „Subjektive Berichte“ von 1980 treffend „Lädierte Schatzkammer“. Nur wenig von dem barocken Schatzkästchen ist eigentlich unverfälscht geblieben. Der Zahn der Zeit nagte arg an den wertvollen Altbauten, ein Großteil der Bauten verlor schon im 19. Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts durch Umbau, Reparatur oder Sanierung die Originalfassaden, ihre barocke Patina. Zu dem unverfälscht Gebliebenen zählt man den Dom zum Heiligen Georg, das Barockpalais, die Serbisch Orthodoxe Kathedrale und die Pest- oder Dreifaltigkeitssäule. Die Domkirche, 1736-1763 nach Plänen des Wiener Hofarchitekten Joseph Emanuel Fischer von Erlach erbaut, 1764 eingeweiht, war und ist der zweitgrößte barocke Sakralbau Südosteuropas. Mittels eines kürzlich angekündigten EU-Projekts soll der Hohe Dom saniert und zu seinem alten Glanz gebracht werden. Der beeindruckendste Bau am Platz, der Barockpalast, wurde bekanntlich 1752-54 als Haus des Kronlands, Komitatshaus, nach dem Muster des Palais Kinsky aus Wien errichtet. Der Bau - seit 2005 beherbergt er in großzügiger Manier das Kunstmuseum - ist bekanntlich noch immer nicht vollständig saniert. Die Pestsäule, das barocke Denkmal in der Platzmitte, wurde 1739-40 von dem Wiener Bildhauer Georg R. Donner geschaffen und auf dem Wasserweg nach Temeswar gebracht. Das für die Geschichte des Banats und der Banater Schwaben symbolträchtige Mahnmal (eine schützende Umzäunung wäre erwünscht) wurde 1994-95 von Ion Oprescu restauriert. Die Serbisch-Orthodoxe Kathedrale, 1744-48 im barocken Stil erbaut, nach der Wende saniert, gehört zu den architektonischen Glanzstücken der Begastadt. Als positiv hervorzuheben ist, dass ein Großteil der Bauwerke nach der Wende saniert wurde, was dem Platz erneut den Wert eines Bauensembles gewährt: So die Kleine Lenauschule, ehemals der Gasthof „Zu den Sieben Kurfürsten“, ein Großteil der Nordfront bzw. die in schönen Farben glänzenden „Domherrenhäuser“ (Nr. 8 bis 11) oder das in diesem barocken Ensemble wie ein Farbtupfer aufleuchtende und sehenswerte Brück-Haus, 1910 von Stadtarchitekt Laszlo Szekely in eklektizistischem Stil errichtet. Ein hoffnungsvolles Zeichen für den Domplatz: Andere Bauwerke wie das Haus mit den Löwen oder die Schwäbische Bank befinden sich derzeit mitten in einem Restaurationsprojekt, was man auch den anderen sanierungsbedürftigen Stadtplätzen herzlich wünschen kann.
Die bunte Welt der Schanigärten
Eines der Herzensanliegen der ehemaligen Ciuhandu-Stadtverwaltung war das jahrelang mit Mitteln aus dem Stadthaushalt betriebene von seinen Widersachern als nostalgisch und gar dekadent bezeichnete Kulturprojekt „Klein Wien“. Ehrlich gesagt, wenn es auch hier und dort zu stümperhaften weil amateurhaften Einlagen kam, brachte es im Laufe der Jahre doch das große historische Potential der Begastadt, vor allem durch sein wertvolles Bau- und Kulturerbe aus der Kaiserzeit, zum Vorschein. Die Stadt versuchte die Einwohnerschaft wie auch die Touristen aus dem In- und Ausland durch eine interessante kulturelle Veranstaltungsreihe von Frühjahr bis Herbst heranzuziehen. Man erinnert sich an die Konzertreihe auf dem Domplatz, bei der Jugend beliebt, bei älteren Semestern verpönt. Hervorzuheben die mit dem Kulturverein „Ariergarda“ veranstalteten Straßenfeste in der Innenstadt (z.B. Savoyen- und Pacha-Straße). Ein großes Manko der ehemaligen Ciuhandu-Verwaltung: Man pirschte mit viel Kultur und Festlichkeiten voran, jedoch man schaffte es nicht mit der Sanierung der Altstadt voranzukommen. Geblieben ist als wahre Attraktion das traditionelle vokal-sinfonische Konzert, das das Bistum und der DWC Banat kürzlich wieder (diesmal mit einem beeindruckenden Konzert zu Anlass des 220. Geburtstags von Franz Schubert) veranstaltete. Eine einsame aber lobenswerte Initiative in diesem Sinne.
Die Robu-Stadtverwaltung hat eine pragmatische Philosophie: Weniger Kultur und je mehr Baustellen! Das durchaus entwicklungsfähige Projekt „Klein Wien“ wurde also ab 2012 abgeblasen, dafür fließen die Haushaltsgelder in allerhand grandiose und moderne wie auch sündig teure Festivals. Man ist weniger um die Geschichte als um die nächste Zukunft, um die Sicherung der Europäischen Kulturhauptstadt 2021, bemüht. Als ein Muss ergab sich aus dieser Identitätssuche, schnellstens neue Tourismus- und Konsumationsmöglichkeiten zu schaffen. Wen es in dieser echten Zeit des Sommertourismus und -urlaubs durch die Temeswarer Innenstadt führt, macht nolens volens einen Spaziergang von Sommerterasse zu Sommerterasse. Die vielersehnte Fußgängerzone in der Stadtmitte ist zu einem riesigen… Schanigarten geworden. So auch der Domplatz: Alle Gaststätten, ob nun Restaurants, Kaffeestuben, Pizzerias oder Klubs ( sie heißen Stradivarius, Square, Alice Kyteler, Enjoy, ZAI, Siciliana, Baroque) haben ihre obligaten Sommerterassen auf öffentlichem Grund per Monatsmiete beim Rathaus, mit Tischen, Stühlen, bunten Sonnenschirmen und mehr oder weniger gepflegten Kübelpflanzen. Diese mobile Gaststätte - Der erste klassische Schanigarten wurde 1825 von Jakob Taroni am Wiener Graben eingerichtet, heute läuft in Wien gar nichts ohne die 2500 Schanigärten - wird auch hier wie andernorts als Ort der Entspannung gepflegt. Wichtig, bis tief in die Nacht, ist nicht nur die deftige Konsumation, auch die richtige, die Anrainer meist störende Musik, die Lärmbelästigung, aber auch das Sehen und Gesehen-Werden.
Und somit, kann man sagen: In der barocken Schatzkammer, auf dem geschichtsträchtigen und denkmalgeschützten Domplatz erinnert nur mehr die neue Variante der alten österreichischen Gaststättenkultur, der Schanigarten, an das traditionelle Klein Wien. Doch vielleicht ist es noch nicht zu spät. Der große Hoffnungsträger der Stadt in Sachen Pflege des wertvollen alten Kulturerbes ist der Verein der Europäischen Kulturhauptstadt 2021. Diesem mit viel Geld finanzierten Verein könnte man es schon zutrauen, die Stadt wieder auf Kultur umzusatteln.