Viel Freiheit und einige Erwartungen

Paula Schneider ist die erste Stadtschreiberin von Kronstadt

Paula Schneider während ihrer Lesung im Festsaal des Kronstädter Forums
Foto: der Verfasser

Eine fremde Stadt mit ihren Straßen, Gebäuden, Innenhöfen erkunden, ihre Bewohner kennenlernen, Eindrücke über das Stadtleben sammeln, wirken lassen und wiedergeben, in den nahen Bergen wandern, die Region miteinbeziehen. All das erwartet eine Stadtschreiberin in den Monaten, wo sie da eben nicht nur als Gast, sondern auch als Mitbewohnerin verweilen kann. Eine schöne Aufgabe und eine Chance, sowohl für die Stadtschreiberin als auch für die Stadt.

Journalistin und Schriftstellerin

Die Stadt ist 2017 Kronstadt und deren Stadtschreiberin heißt Paula Schneider. Ermöglicht wurde dieses Zusammentreffen dank dem „Deutschen Kulturforum östliches Europa“ das nun zum 9. Mal eine Stadt aus diesem Teil Europas ausgewählt hat. Das mit der Auswahl des Stadtschreibers verbundene Stipendium (außer dem Kulturforum ist für Kronstadt auch das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt Träger dieses Stipendiums) erhält Paula Schneider. Sie ist Journalistin und Schriftstellerin, arbeitet mit dem „Deutschlandfunk“ zusammen, für den sie Features und Hörspiele verfasst. Paula Schneider, 1976 in Leipzig geboren, ist Autorin des im Vorjahr, im Rowohlt-Verlag erschienenen Romans „Bleib bei mir, denn es will Abend werden.“

Am 16. Mai begann die Stadtschreiber-Tätigkeit offiziell mit einer Pressekonferenz beim Kronstädter Deutschen Forum und am Nachmittag desselben Tages mit einer Lesung der Autorin aus oben genannten Roman im Rahmen der deutschen Vortragsreihe beim Forum. Es war eine erste Gelegenheit für die erste Kronstädter Stadtschreiberin, sich mit den rumänischen Journalistenkollegen zu treffen, aber auch mit einigen der in Kronstadt lebenden Sachsen. Der Direktor des „Deutschen Kulturforums östliches Europa“, Dr. Harald Roth, nutzte die Gelegenheit,  um vor allem für die rumänische Öffentlichkeit, genauer den Begriff „Stadtschreiber“ zu definieren. Es handle sich dabei nicht um einen Chronisten, der lokale Ereignisse festhält und als Zeitzeuge auftritt, sondern eher um die Tätigkeit einer Person, die die volle Freiheit wahrnehmen soll, über die Stadt, die sie nun beherbergt, zu schreiben. Wie sie das tut und was daraus entsteht, bleibt allein dem Stadtschreiber überlassen. Es kann ein Tagebuch werden verbunden mit  Fotoaufnahmen oder Videoclips und Meinungsäußerungen dazu oder es könnte dabei sogar (wie das auch einmal vorgekommen ist) ein literarisches Werk entstehen.

Paula Schneider ist froh und dankbar, in Kronstadt die nächsten fünf Monate verbringen zu können. Mit dabei ist auch ihre dreijährige Tochter. Sie sei froh, dass sie nun die notwendige Zeit haben werde, in Ruhe ihren Recherchen nachzugehen, also nicht unter Zeitdruck gesetzt zu werden. Das östliche Europa ist einer ihrer thematischen Schwerpunkte. Anlässlich eines Russland-Aufenthaltes entstanden die Radiofeatures „Dewotschka und toter Mann“ und „Totleben. Eine russische Insel die es nicht gibt“. In Rumänien, genauer gesagt in der rund 35 km von Kronstadt entfernten Nachbarstadt Sankt Georgen/Sfântu Gheorghe, war die Radiojournalistin und Schriftstellerin im Vorjahr anlässlich eines internationalen Theaterfestivals für Minderheiten. Entstanden ist dabei die Reportage „Wunderwetter im Karpatenknick“. Die Vorliebe für den literarisch geprägten Journalismus bekundete Paula Schreiber auch auf der Pressekonferenz. Sie versuche, die Realität zu beobachten und dann auf eine literarische Ebene zu übertragen. Das kann Paula Schneider nun auch als Stadtschreiberin tun und dadurch Kronstadt und dessen Umfeld einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen. Kontakte gibt es z.B. zum Filmgymnasium Babelsberg in Potsdam, dessen Schüler Kronstadt und dessen Stadtschreiberin zum Thema einer Arbeit auswählen könnten. Den interkulturellen Dialog fördern, Kontakte knüpfen und vermitteln, für die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten zu werben – das wird beim Kulturforum auch in Zusammenhang mit diesem Wanderstipendium erwartet.

Ein Blog für Kronstädter und Nicht-Kronstädter

Paula Schneider bietet über ihren Blog (http://stadtschreiberin-kronstadt.blogspot.ro) die Möglichkeit, sie bei ihrem Stadtschreiber-Aufenthalt mitzubegleiten. In kürzeren oder längeren tagebuchartigen Einträgen kann man da auf Deutsch wie auch auf Rumänisch miterleben, wie das Eine oder Andere aus Kronstadt aus Sicht einer Ausländerin wahrgenommen, empfunden und geschildert wird. Die deutsche Geschichte der Stadt, die da noch anzutreffende deutsche Minderheit mit ihrem sozialen und kulturellen Leben, die deutschen Schulen, die Präsenz deutscher Unternehmen werden dank der Sprache leichter zu erkunden sein. Aber nicht nur das bietet sich an, sondern vielleicht auch: Stadtleben, Fremdenverkehr, Freizeitgestaltung, Kulturangebot, Jugendszene und vieles andere. Rohstoff für Anmerkungen, Überlegungen, Schilderungen, ironische Betrachtungen und was alles einer kreativen schriftstellerischen Inspiration, spontan oder gesucht, noch entspringen kann.

Wer die Neugierde und das Interesse dafür hat, kann bereits erste Einträge und viele treffend kommentierte Fotos auf diesem Blog finden. Wollen Sie wissen, wie und wer den Europa-Tag bei Regenwetter am Kronstädter Marktplatz gefeiert hat? Oder wie und wo eine der größten EU-Flaggen ausgerollt und getrocknet wird? Einen grünen Teppich hat es für Staatspräsidenten Johannis gegeben, als er bei seinem Besuch vor gut zwei Wochen vor der Forstfakultät einen Setzling pflanzte. Die Stadtschreiberin war dabei; hat gesehen, fotografiert und notiert. Ciprian Porumbescus Statue in Nachbarschaft der Beethoven-Zeile konnte sie offenbar nicht  beeindrucken – der Verfasser der ehemaligen rumänischen und der heutigen albanischen Staatshymne (auch das eine Besonderheit) bzw. seine Statue erscheint ihr wie „ein schmalschultriger Verkehrspolizist“. Interessante Fotos und solche Beschreibungen im Blog stehen für einen gelungenen Einstieg von Paula Schneider in ihren neusten Job – als Kronstädter Stadtschreiberin. Wir wünschen ihr dafür interessante Begegnungen, Erfolg und auch viel Spaß!

Ralf Sudrigian