Vor hundert Jahren reichten Dreieck, Quadrat und Kreis aus, um den Sockel des Ornamentes durch Rütteln merklich ins Wackeln zu bringen. Das ausgetüftelte Kunstmodell des Jugendstils hatte ausgedient und musste nach Ende des Ersten Weltkrieges vielerorts auf dem alten Kontinent dem neuen Konzept baulicher Schnörkellosigkeit weichen. Das 1919 von Architekt Walter Gropius (1883-1969) im thüringischen Weimar gegründete „Staatliche Bauhaus“ war aus der Vereinigung der dort beheimateten Hochschule für Bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule hervorgegangen. Sieben Jahre nach Fusion beider Ausbildungsstätten wurde Weimar zum Standort der „Hochschule für Gestaltung“ erklärt. Das Bauhaus ist als eine dem Sozialismus eng verwandte urbane Disziplin in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen. Ungepflegte, aber auch tadellos ausgeführte und instandgehaltene Immobilien der klobig anmutenden Modellvorschrift sind heute überall auf der Welt anzutreffen. Rumänien ist dennoch ein Sonderbeispiel des Bauhauses, da es nahezu fünf Jahrzehnte auf dem beschwerlichen Weg vom nüchternen Sozialismus zu trunkenem Kommunismus unterwegs gewesen ist. Die Heimreise hin zu einer dem 21. Jahrhundert entsprechenden kulturellen Fortschrittlichkeit ist Großaufgabe für Rumänien.
Fotograf Friedrich Schiel und die Dozenten Dr. Cosmin Pavel und Dr. Liviu Gligor vonseiten der Universität für Architektur und Urbanismus „Ion Mincu“ Bukarest traten Donnerstagabend, am 28. November, im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt/Sibiu (DFDH) unter Moderation von Historiker Raul Rognean in eine simultan auf Deutsch und Rumänisch übersetzte Debatte der Überschrift „100 Jahre Bauhaus. Vergessene Moderne?“, die das fünfte von sechs Folgeereignissen der Hermannstädter Gespräche laufenden Jahres markierte. Aurelia Brecht, Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, eröffnete die Podiumsveranstaltung. Die auf der Schlussstrecke dem Publikum gebotene Gelegenheit zum Fragenstellen wurde reichlich genutzt. Raul Rognean schloss mit der Behauptung, der Kommunismus habe „die Farbigkeit zerstört“, und artikulierte die Denkaufgabe, ob sich das Bauhaus strikt in ein politisch linkes Spektrum verbannen lässt. Das Zitat „Bunt ist meine Lieblingsfarbe!“ von Walter Gropius legt nahe, dass die dem Bauhaus ureigene Einfachheit in den Ostblockstaaten des Kalten Krieges politisch manipuliert wurde und in gängelnde Sparsamkeit mündete, aus der manch eine nationale Bildungskultur nur unter großen Anstrengungen herausfinden kann. Dreißig Jahre nach dem Umsturz der Jahreswende 1989/1990 ist Rumänien noch immer allzu deutlich von Wunden gekennzeichnet, die zwar nicht im Richtplan des Bauhauses vermerkt waren, aber zeitgleich mit seiner Umsetzung entstanden.
Mehr als zehn Jahre alt ist die Halle für den Verkauf von Fleisch- und Milchprodukten am Hermannstädter Zibinsmarkt/Piața Cibin. Sie wurde unter Bürgermeister Klaus Johannis gebaut und konnte nicht vom Start weg die Geschmäcker aller Einkaufenden auf sich vereinen. Manch einem Betrachter missfielen die Bullaugen im halbrunden Giebel, der zeitweise als fragliche Ergänzung des umgebenden Stadtbildes angesehen wurde. Hingegen stehen in Hermannstadt auch andere Immobilien in Bauhaus-Art, deren innere Aktivitäten Grund zu verdientem Lokalpatriotismus bedeuten: die Lucian-Blaga-Universität (ULBS) und das Radu-Stanca-Theater (TRNS). Auch das Gebäude des Konsulats der Bundesrepublik Deutschland in der Lucian-Blaga-Straße ist Bauhaus-Zeugnis.
Wichtigster Aspekt des Bauhauses, auch vor der Kulisse des angebrochenen digitalen Zeitalters, ist ein integrativer Lernprozess, der praktische Fähigkeiten in sämtlichen Handwerksgegenständen voraussetzt und auch nach Ausbildungsabschluss niemals endet. Die Erkenntnis, dass die Architektur ein weites Feld ist, verdankt die junge Menschheit vor allem auch dem hundert Jahre alten Bauhaus.
Für Friedrich Schiel war das Bauhaus seinerzeit eine „Kampfansage an das Ornament“. Welche urbanen Architekturvorlagen hierauf während der Nachkriegszeit in Städten wie beispielsweise Kronstadt/Brașov kompromisslos umgesetzt wurden, ist auf großflächigen Farbfotos des Fotografen Schiel zu sehen, die bis Jahresende 2019 im Foyer des Spiegelsaales des DFDH zur Betrachtung aushängen.
Die jüngsten der öffentlichen Unterrichtsgebäude Rumäniens wurden vor drei oder noch mehr Jahrzehnten gebaut. Sie bieten den Herausforderungen der Aktualität trotz damals berücksichtigter Bauhaus-Struktur nur eine dürftige Projektionsfläche und sind folglich ein nationales Manko. Das Bauhaus mag anfangs ein starres Manifest gewesen sein, ist jedoch alle bisherigen Wege der Zeit mitgegangen und hat jeweils pünktlich seine Rückständigkeit abgelegt. Rumäniens Schulwesen hängt dagegen noch immer in selbstverbauten Sackgassen der Vergangenheit fest.