Das Große im Kleinen

Der Aufbruch zur Freiheit in der rumäniendeutschen Lyrik zwischen 1975 und 1980

Dem rührigen Verleger Traian Pop aus Ludwigsburg ist es gelungen, einen poetischen Schatz zu heben. Was dem Vergessen überantwortet schien, wird von seinem Verlag präsentiert und kann als Ort aufgesucht werden. Abgesunken in die Literaturgeschichte, die bis zur erneuten Veröffentlichung im vergangenen Jahr 2022 nur noch den unmittelbaren Zeitzeugen in ihrer persönlichen Erinnerung eingeschlossen war, kann die Lyrikanthologie von 1980 nun endlich öffentlich wahrgenommen werden. Sie macht den Blick frei auf Autoren, die unerhörte Sichtweisen offenbaren: sie testen Grenzen der Sprache, sprengen vorgestanzte Sprechweisen ohne Scheu und zugleich behutsam. Vorsichtig und doch bestimmt betreten sie ein neues lyrisches Land. 

Dem rührigen Verleger Traian Pop aus Ludwigsburg ist es gelungen, einen poetischen Schatz zu heben. Was dem Vergessen überantwortet schien, wird von seinem Verlag präsentiert und kann als Ort aufgesucht werden. Abgesunken in die Literaturgeschichte, die bis zur erneuten Veröffentlichung im vergangenen Jahr 2022 nur noch den unmittelbaren Zeitzeugen in ihrer persönlichen Erinnerung eingeschlossen war, kann die Lyrikanthologie von 1980 nun endlich öffentlich wahrgenommen werden. Sie macht den Blick frei auf Autoren, die unerhörte Sichtweisen offenbaren: sie testen Grenzen der Sprache, sprengen vorgestanzte Sprechweisen ohne Scheu und zugleich behutsam. Vorsichtig und doch bestimmt betreten sie ein neues lyrisches Land. 

Sie bauen mit Worten auf, was sie erkennen: wie das Humanum anders zu entdecken ist, im Gegensatz zur bürokratischen Verordnung der Sprachpolizei. In „verschlungenen Erinnerungsfragmenten“ beschreibt Anton Sterbling, wie er sich der „Aktionsgruppe Banat“ nähert, nachzulesen in der Zeitschrift Matrix Nr. 3/2022(69). „Eher zufällig“, notiert er, sammeln sich mit ihm Werner Kremm, Johann Lippet, William Totok und Richard Wagner, „begeistert von der Moderne, sich auseinandersetzend mit der vorgefundenen Realität“ gegen Ende der 60er Jahre. Nach 1975, der Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, war auch ein internationaler Rahmen gesetzt, was zuvor im Innern der Sowjet-Herrschaft im europäischen Osten bereits aufgebrochen war. Autonomes Denken und Schreiben machten rumänische Autoren deutscher Sprache sich zu eigen, dem Samisdat (Anm. d. Red.: von russisch „samizdat“, selbst herausgegebene, meist nicht-systemkonforme Literatur) ähnlich.     

Die Poesie war stärker als die nicht-legitimierte Macht

„Sam istadelj“- der Selbstverleger, setzte sich zunächst in Moskau mit der Veröffentlichung literarischer Texte der staatlich verordneten Sichtweise entge-gen. Seine von der Diktatur abweichende authentische Kunst wurde mit nicht genehmigten Publikationen in privater Verantwortung unter die Leser gebracht. Dieser Aufbruch in die Freiheit hatte in der Sowjetunion begonnen. An Boris Pasternak zerbrach die Macht der Herrschenden, als er 1958 zwei Jahre vor seinem Tod, besonders für seinen Roman über das Schicksal des Doktor Schiwago mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Sein Schlüsselwerk durfte offiziell erst erscheinen, nachdem Michail Gorbatschow den Autor 1987 rehabilitiert hatte. Die Poesie war stärker als die nichtlegitimierte Macht. Lange bevor sie in Buchhandlungen angeboten werden konnten, hatten Autorinnen und Autoren ihre Werke auf den Weg geschickt und so zu ihrer Leserschaft gefunden: abgeschriebene Originale, unter dem Schirm der illegalen staatlichen Gewalt weiterverbreitet, hergestellt in steter Gefahr, entdeckt zu werden. Über verschlungene Pfade trafen sie ins Herz. Sie siegten über Willkür und Arroganz. Der Sieg der Poesie über die Gewalt zog von Moskau in den Westen, in die Staaten des Warschauer Pakts. 

„Der Panzer zielt auf Franz Kafka“

Die tektonische Verschiebung des „globalen 1968“ kündigte sich bereits Jahre zuvor an. Eduard Goldstücker hatte 1963 etwa hundert Schriftsteller ins Schloss Liblice zu einer Konferenz über Franz Kafka eingeladen. „Aus Prager Sicht“ wollten tschechoslowakische Germanisten anlässlich des bevorstehenden 80. Geburtstags Kafkas zu einer internationalen Diskussion einladen, um die Mauer einzureißen, die im Stalinismus um den Dichter errichtet worden war. Ihm wurde Dekadenz vorgeworfen. Die Wächter der kommunistischen Diktatur verfemten Franz Kafka. Nach dem blutigen Ende des „Prager Frühlings“ am 21. August 1968 fragte DDR-Kultusminister Klaus Gysi „Welches Erbe ist uns gemäß? Faust oder Gregor Samsa?“ und verdammte Eduard Goldstücker als einen Initiator einer Konterrevolution, die 1963 mit der Konferenz in Liblice begonnen habe (Neues Deutschland vom 30. August 1968). Kafka war zur Chiffre geworden. Sein literarisches Werk wollte von Goldstücker für einen humanen und neu zu gründenden demokratischen Sozialismus gerettet werden. Diese Prager literarische Perspektive wollte das Lokale mit dem Universalen verknüpfen. Im Herbst 1968 jedoch wurde diese Hoffnung durch sowjetische Panzer unter Mithilfe des Warschauer Pakts zerstört. Heinrich Böll bezeichnete den militärischen Überfall treffend mit den Worten: „Der Panzer zielt auf Franz Kafka“.  

Im Kern verhandelte die Diskussion in Liblice die Frage, ob und wie die Literatur auf das Problem der Entfremdung in der Moderne zu antworten vermag. Franz Kafkas Werk kann als Versuch gedeutet werden, zu erkunden, wie die Ambivalenzen der Moderne zu entziffern wären. So wurde die Debatte in Liblice zum literarischen Fanfarenstoß für den gesellschaftlichen Aufbruch in den Prager Frühling gegen Dogmatismus und für die Freiheit der Kunst.

Der lyrische Glanz aber strahlt über die Zeit

Ein Juwel dieser Zeit des allgemeinen Aufbruchs hat der POP Verlag Ludwigsburg 2022 wiederentdeckt: „die bewegung der antillen unter der Schädeldecke junge rumäniendeutsche Lyrik zwischen 1975 und 1980. Eine (historische) Anthologie herausgegeben von Walter Fromm.“ Die kritische Neuauflage wurde erweitert und mit einem einleitenden Essay von Prof. Dr. Waldemar Fromm und einer soziokulturellen Kontextualisierung von Prof. Dr. Anton Sterbling ergänzt. 1980 wurden lediglich 15 Exemplare, maschinenschriftlich vervielfältigt, an die Autoren und Interessenten verteilt. Sie schienen verschollen. Walter Fromm merkt in seinem Nachwort von 1980 warnend an, worin sich die Anthologie vom „Samisdat-Verfahren unterscheidet ist ihr Inhalt, der dem Verlag (Kriterion – Anm. G. W.) in der jetzigen Form unterbreitet worden ist und an dem, vom Standpunkt der Zensur her gesehen, fast gar nichts auszusetzen war.“ Wenngleich der Herausgeber zu vermuten glaubt, dass die Autoren „die Inhalte kritischer, das Engagement ausgeprägter“ ausgedrückt hätten, hätten sie „nicht immer mit Blick auf die Veröffentlichung“ geschrieben, nimmt er es jedoch sogleich auf seine „Nachbemerkung“, die „selbstzensiert, in eine vorsichtige, periphrastisch-ab-strahierende Diktion ausweicht.“ Der Herausgeber sucht die Autoren zu schützen vor dem Zensor. Der lyrische Glanz aber strahlt über die Zeit. Er kündet vom Aufbruch des Ich und doch droht ihm der Einbruch der Gewalt in seine Sehnsucht nach Freiheit. Die kleine deutsche Literatur in Rumänien „erhielt… andere Vorzeichen und erfüllte… als provozierende Antithese eine relativ-kritische Funktion gegen das Dogma“, wie Günther Schulz in „Rezensierte Gedichte“, Berlin 1971, auf der Seite 8 schrieb, kaum dass er in die Bundesrepublik ausgereist war.

Die Sehnsucht des „unglücklichen Europas“ verdichtet

Die Anthologie trägt den Namen eines Gedichts von Richard Wagner, dem die Worte „Marilyn oder“ fehlen. In 60 Gedichten auf nun 126 Seiten spiegelt dieses Kompendium die Begegnungen der originären Erfahrungen ihrer Autoren, wie sie erfolgreich ihrer Provinzialität zu entfliehen versuchen und wie es ihnen gelingt, sich schöpferisch eine eigene lyrische Realität zu konstruieren. Franz Hodjak kündigt programmatisch mit dem ersten Gedicht (aus: 22 uhr 42 gedicht) an, was als Grundton durch die Anthologie klingt und kongenial wieder und wieder aufgenommen wird: „die welt bereisen in zahllosen briefumschlägen / den kopf dies bedenkliche privateigentum / nicht an den Nagel hängen“. Richard Wagner verdichtet mit dem dritten seiner fünf Gedichte die Sehnsucht des „unglücklichen Europas“ wie György Konrad den östlichen Teil unseres bis 1989 geteilten Kontinents genannt hat, das Verlangen nach Zugehörigkeit im Bild der Film-Ikone: 

die wörter kamen noch nicht auf uns zu 
von der leinwand 
wer vermutete sie hinter den bildern 
die wir wie mäntel um uns schlugen 
marilyn 
wer hätte das gedacht, dass die antillen unter der schädeldecke  
zu singen beginnen 
sätze stießen ins blaue wasser hinein 
die umgebung löste sich in schwammige wörter auf 
da waren plötzlich lauter naheinstellungen  
… ciné verité 
etwas hatte plötzlich aufgehört 
und alles fing erst an 
wo bist du 
marilyn. 
Begabungen, 
im Spiel mit der Zensur erprobt


Im „Tauwetter“ der 1960er und frühen 1970er Jahre ließ auch Ceau{escu zunächst die kulturelle Eiszeit schmelzen und suchte sogar nach einer gewissen Eigenständigkeit, bis er in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts der Entspannungspolitik wieder die diktatorischen Zügel anspannte. In jenen Jahren konnten sich künstlerische Talente entfalten, die es in der Auseinandersetzung mit der Securitate lernten, ihre Begabungen im Spiel mit der Zensur zu erproben. Auch davon legt die Anthologie –  in ihrer Entstehung, in der Gefahr, dass ihr lyrischer Schatz hätte vergraben werden können und schließlich in ihrer Rettung – Zeugnis ab. So wird die Leserschaft heute in den Zeugenstand erhoben, authentisch zu erkennen, was nach vier Jahrzehnten die Zeit überdauert hat: der Triumph der Literatur über den Versuch, das künstlerische Subjekt zu fesseln und ihm das zu rauben, was es ausmacht – seinen eigenen Sinn zu behaupten gegen die Lüge, gegen die Gewalt, für die Freiheit.

Die rumäniendeutschen Poeten durchbrachen ungestüm das Gefängnis der kulturpolitischen Knebelungsversuche, nachdem in der CSSR die sowjetischen Panzer im August 1968 den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ niedergewalzt hatten. Intuitiv nahmen sie die Frage auf, die den Kern der Kafka-Debatte etwa zehn Jahre zuvor in der CSSR ausgemacht hatte: oszillierend  zwischen dem Nationalen, der Muttersprache und dem universalen Anspruch des Poetischen biegt sich ein multikultureller Spannungsbogen und löst Gefühle der Fremdheit und Zugehörigkeit aus. Mischungsverhältnisse zwischen Partikularem und Globalen entstehen und werden ästhetisch wahrgenommen und übersetzen sich in unerhört neue Sprachformen. Die Abkehr von der gestanzten ideologischen Sprechweise zerbricht die parteiisch verordnete Vormundschaft, erfindet schöpferisch eine subjektive Sensibilität und andere Sichtweisen auf eine Wirklichkeit, die beim genauen Hinsehen immer härter zu Tage tritt. Poesie entlarvt in ihrer „engagierten Subjektivität“ unerbittlich die Grausamkeit einer Diktatur, die sich verschanzte hinter dem Schein der nur gespielten Humanität. Die Grundmelodie dieser Poesie wird in ihrem Inneren getragen von der Liebe zu den Menschen, die sie beobachtet und deren Handlungsformen sie voller Anteilnahme filigran abbildet: 

frau in der  haltestelle
ich sehe oft hinüber
entsetzen 
in ihren augen ein entstelltes märchen
 ein mann und eine frau
auf einem großen bett
kaputte träume und ein unscharfes 
bild von einem zimmer
in ihrem langen schwarzen mantel
versteckt 
blickt sie klein und frierend 
auf die handuhr 
die frau in der haltestelle 
steht abseits mit ihrer 
geschichte


heißt das Gedicht von Horst Samson. In der kleinen Form, in der Sprachinsel innerhalb Rumäniens ist das Große geborgen. Wenn es Dichtern gelingt, es zu entbergen, überstrahlt das Lyrische das Unmenschliche, das die Einzelne zu überfallen droht und lässt die Hoffnung leuchten.

Eingefasst ist die dem Vergessen entrissene Anthologie durch den einleitenden Essay „Von der Peripherie zum Zentrum – kleine Literatur, ganz groß“ von Waldemar Fromm, „Rückblicke 42 Jahre danach des Herausgebers und der Autoren“ von Walter Fromm, Hellmut Seiler, Horst Samson, von William Totok und einer soziohistorischen Kontextualisierung  von Anton Sterbling.

Ein Archipel, konstruiert aus Worten

In diesem Buch wird ein Archipel sichtbar, den Richard Wagner 1991 als den „Sonderweg Rumänien“ beschrieben hat, eine literarische Republik, die sich ihre eigene Freiheit zu erschaffen verstand, lange bevor Rumänien sich von den Fesseln der Diktatur lösen konnte. In seinem Gedicht „die faszination der wörter“ notiert er:

als ich unlängst aus einem laden auf die straße trat
hatte ich plötzlich die szene aus „easy rider“ im kopf
mit jenem song „born to be wild“
ich spürte plötzlich fahrwind
und ich redete drauflos
passanten drehten sich nach mir um
ich lachte


Der Hunger nach Freiheit spiegelt sich hier in der Sehnsucht nach dem selbstbestimmten Leben.
Werner Söllner nimmt den Gedankenstrang im „Winter der Gefühle“ auf:

Mit dem Tod
In der Tasche kehr ich zurück und würg ihn, Bissen für Bissen
Hinunter. Ich esse gefrornen Zement. Ich wollte, ich hätte
Die Macht, Jahreszeiten durcheinanderzubringen, Eis
Zeiten zu verhindern. Ach, unsere Zehnmeterfreiheit hinter
dem Gitter verschlossner Wohnungtüren, unsere Spielräume
im Kopf, dass alles klirrt …


Mit dem „Herbstgedicht 3“ wirft William Totok einen grellen Blitz in die versteinerte Realität:

mein gesamtes Dasein bäumte sich noch einmal auf  
gegen die zerschnittene Welt
die Leute liefen mechanisch
ich lief mit

meine Pläne
Träume wie schöne Gedichte
da fielen mir die letzten Monate ein
die verzweifelten Fragen lagen aufgedunsen da

meine Beine schleppten mich durch den Regen
nichts zeigte sich
ich musste mitlaufen
wacker schritt ich durch den Regen
ich wurde nicht satt meine Sätze in Gedichten zu ordnen


Hellmut Seiler taucht in die Ambivalenz der Freiheit ein, die zwischen einem negativen und einem positiven Pol zu oszillieren scheint:

take it or leave it
(greif zu oder lass es bleiben)
es steht dir frei anderen
den spiegel vorzuhalten oder ihn zu zertrümmern

aus der realität der gegenwart fällst du in die 
fiktion der zukunft die eine erfindung der vergangenheit ist

In seiner „Zugfahrt“ nimmt Klaus Hensel die Leserschaft mit in die Ferne:

Das Gedicht stellt Weichen; der Zug rast durch die Tropen
Wälder brennender Weihnachtsbäume. Die Räder
Explodieren auf den Schienen. Blickwechsel
In der spiegelnden Scheibe. Das große nichts
Dahinter. Davor die Expansion der Augen auf die Dinge:
Der abgegriffene Hut, das Brillenetui, die zerlesene
Zeitung. Ein Schlüsselbund klirrt. Abgerackerte Hände.


Wer das Ich entdeckt hat und seine Kraft an der Härte der einstürzenden Wirklichkeit misst, mag wie Helmut Britz in seinem Gedicht „Ausuferung 1“ festhalten:

wie ließe sich
die unpersönliche Wut
die mich packt
zur stillen
verwandeln


Die Autoren der Anthologie bauten sich aus Worten ihren Archipel, ihre eigene Welt, befeuert von der nicht versiegenden Hoffnung, Wege zur Brücke aus der lokalen Kultur in die universale Moderne zu finden. Johann Lippet schließt die Anthologie und öffnet uns Heutigen die Augen, wie er vor einem halben Jahrhundert seine literarische Existenz entwirft:

biographie. ein muster
(Fragment)
und wir begannen schriftsteller zu entdecken
und wir staunten
über die vielen namen                          
die man vor ein paar jahren
nicht mal erwähnen durfte
wie wir später erfuhren
im schulbuch gabs bloß bruchstücke
deshalb durchstöberten wir bibliotheken
gingen jeden tag in die einzige buchhandlung

wir legten uns unsere lehrmeister zurecht
um leichter
über die schwierigkeiten beim schreiben der wahrheit
hinwegzukommen
machten einander vorschläge
zur verbesserung unserer gedichte

beschlossen
gemeinsam ein buch zu veröffentlichen

wir kannten bloß die stille
die angst
das singen der fensterscheiben

wir rauchten und tranken
auf unsere zukunft
die noch vor uns lag


Herta Müller schrieb über den Temeswarer Schriftstellerkreis jener Zeit: „Ohne sie hätte ich keine Bücher gelesen und keine geschrieben. … Ohne sie hätte ich die Repressalien nicht ausgehalten. Ich denke heute an diese Freunde. Auch an die, die auf dem Friedhof liegen, die der rumänische Geheimdienst auf dem Gewissen hat.“ (In: Anton Sterbling, Nachwort, S. 250) Anzumerken ist, dass rund die Hälfte der Autoren der Anthologie nicht der Aktionsgruppe angehörte. Ihr Wirken von 1972 bis 1975 begleitet die vorliegende Anthologie am Rande – die rumäniendeutsche Literaturlandschaft war polyzentral, die Anthologie ist keine Gedichtsammlung allein der „Aktionsgruppe Banat“, sondern der gesamten literarischen Aufbruchsbewegung junger rumäniendeutscher Schriftsteller in den 1970er Jahren. 

Der Versuch, Rumänien erneut als Heimat zu begreifen

Walter Fromm nimmt über 40 Jahre danach in den Blick: „1975 – als wir wurden, was wir sind“ als den „Versuch, Rumänien erneut als Heimat und mehr als nur eine transitorische Notunterkunft zu begreifen“, und  muss schlussfolgern, dass der Versuch gescheitert ist. In Sprachräumen von der (ukrainisch-jüdisch-deutschen) Bukowina über Prag bis nach Berlin und Wien konnte neues kulturelles Leben geweckt werden in europäischen Landschaften, die bis an den Rand gefüllt waren vom Schrecken des Holocaust, des Holodomor, mit dem Hitler und Stalin die Länder Europas überzogen hatten. Die neue rumäniendeutsche Lyrik begegnete nach 1968 und in den 1970er Jahren auch einer westeuropäischen kulturellen Revolution, die, wie sie selbst, auf der Suche nach einer anderen Sprache des lyrischen Subjekts war. Die Geschichte dieser Begegnung wäre noch zu schreiben. Jürgen Theobaldy könnte dabei eine Rolle spielen. 

Traian Pop ist zu danken, dass er dieses Zeugnis einer neuen lyrischen Sprache veröffentlicht hat.