Vom 12. bis 21. Juni fand in Hermannstadt/Sibiu das 22. Internationale Theaterfestival (FITS) statt. Täglich besuchten, nach Angaben der Veranstalter, etwa 65.000 Besucher das Fest und sahen sich über 400 Veranstaltungen aus 70 Ländern an. Am Rande der Veranstaltung bot sich die Gelegenheit zu einem ADZ-Gespräch mit der Theaterwissenschaftlerin Eleonora Ringler-Pascu. Sie lehrt im einzigen deutschsprachigen Schauspielstudiengang Rumäniens an der West-Universität Temeswar/Timişoara und fungiert unter anderem als Chefredakteurin der theaterwissenschaftlichen Fachzeitschrift „DramArt“. Das Gespräch führte Robert Pfützner.
Zur Eröffnung des FITS hat Constantin Chiriac, der Präsident des Festivals, das Hermannstädter Theaterfestival als eines der bedeutendsten Theaterfestivals Europas bezeichnet. Teilen Sie diese selbstbewusste Einschätzung?
Absolut. Das FITS ist an dritter Stelle in Europa. Bekannt sind ja die Festspiele in Edinburgh und Avignon. Hermannstadt war 2007 Europäische Kulturhauptstadt und ich würde sagen, die Stadt wird einmal im Jahr, zum FITS, zu einer Weltkulturhauptstadt. Hier treffen sich so viel Künstler, Theaterwissenschaftler, Theaterliebhaber, Dramatiker, Kritiker, Regisseure. Über 2500 Künstler aus der ganzen Welt sind hier vertreten. Das ist schon beeindruckend und man kann Constantin Chiriac und allen, die hier mitwirken, nur ein großes Lob aussprechen. Das ist fantastisch!
Ein internationales Festival birgt die Herausforderung der Übersetzung. Alle ausländischen Stücke wurden englisch und rumänisch übertitelt. Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen Übersetzung und Originalsprache eines Stückes?
Das ist eine sehr spannende Frage. Einerseits ist die Übersetzung eine Notwendigkeit, damit alle einen Zugang zu den Stücken, die hier aufgeführt werden, bekommen. Und dieser Zugang wird geschaffen durch die parallel laufende Übersetzung. Diese übermittelt aber nicht genau das, was auf der Bühne gesprochen wird. Es sind literarische Übersetzungen. Es ist eine wirklich große Herausforderung, eine überzeugende Übersetzung zu machen.
Andererseits ist es auch oft so, dass man die Übertitel lesen muss, und sich dann nicht so sehr das Stück ansehen kann. Wenn ich das Stück und die Sprache nicht kenne, schaue ich mir eher an, was sich auf der Bühne abspielt. Ab und zu lese ich ein Wort der Übersetzung, damit ich den Kontext verstehe. Mir ist das Spiel viel wichtiger, damit ich die Vorstellung von der Emotion her, von der Botschaft, erlebe, von all den visuellen Mitteln, die zur Verfügung stehen.
Es gab neben den internationalen Aufführungen natürlich auch rumänische Inszenierungen. Wie würden sie das aktuelle rumänische Theater charakterisieren?
Ich würde sagen, inhaltlich geht das rumänische Gegenwartstheater in die Richtung Aufarbeitung der neueren Geschichte vor 1989 und aktueller Probleme. Unter anderem vertreten ist da Gianina Cărbunariu oder Matei Vişniec, der bekannteste Autor, der in Frankreich lebt und dessen Stücke überall in der Welt gespielt werden. Andererseits gibt es junge Autoren, die sich mit aktuellen Problemen auseinandersetzen, sozialen Konflikten, aber auch sehr privaten Problemen in Beziehungen, die in der neuen Welt, in der wir heute leben, entstehen.
Etliche Präsentationen waren von einem deutsch-rumänischen Austausch geprägt, Deutschland Ehrengast des Festivals. Wie ist generell das Verhältnis zwischen dem deutschsprachigen und dem rumänischen Theater?
Beim Festival hier in Hermannstadt gibt es sehr gute Kontakte zu den deutschen und österreichischen Theatern, die immer wieder eingeladen werden. Jenseits des Festivals würde ich sagen, dass deutsches und österreichisches Theater in Rumänien leider ganz wenig gespielt wird. Das liegt daran, dass die Gegenwartsautoren einfach nicht übersetzt sind. Eine Ausnahme ist Thomas Bernhard, der jetzt zu einem gewissen Boom gekommen ist.
Was andere Autoren betrifft, sind nur ganz, ganz wenige vertreten. Dea Loher, Mayenburg, Felix Mitterers „Sibirien“ wurde in Temeswar aufgeführt.
Und dann sind da ja das Deutsche Staatstheater in Temeswar und die deutsche Abteilung hier in Hermannstadt, die dem Publikum das Gegenwartstheater in deutscher Sprache näher bringen. Sie sind die einzigen, die das tun können. Und ich hoffe auch immer mehr tun.
Kommen wir noch einmal zurück zum Festival. Welches Stück hat Sie persönlich am meisten überzeugt?
Das ist eine schwere Frage! Beeindruckt hat mich „Nathan der Weise“, auch wenn ich damit zuerst Schwierigkeiten hatte. Erst nachher, als ich mir die Zeit genommen habe, das Ganze zu reflektieren, und durch die Konferenz mit den Erklärungen von Armin Petras muss ich sagen: Das hat mich umgeworfen! Es ist ein Stück, das hat mich beeindruckt, von der Botschaft, vom Text her, von der Interpretation, also als Ganzes. Sicher, es waren noch viele andere Stücke, aber das hat mich am meisten zum Nachdenken gebracht.
Eine abschließende Frage. Was nehmen Sie persönlich an Eindrücken und Erlebnissen vom Festival mit?
Sicher die neuen Texte, die ich noch nicht kannte, die soll man ja aufnehmen. Andererseits sieht man auch, dass sich die klassischen Theatertexte weiter entwickeln, die Ästhetik sich ändert. Dieses Festival ist beeindruckend von jedem Standpunkt aus: Es spricht das Herz an, es spricht die Seele an, es spricht die mentale Ebene an. Ich kann nur mit Begeisterung sagen: Bitte geht, sobald ihr könnt, zu diesem Festival, es ist unglaublich, was hier geboten wird – obwohl man die Qual der Wahl hat. Oft muss man auf einiges verzichten, aber es gibt Vielseitiges auf den verschiedensten Ebenen. Von klassischem bis hin zu Straßentheater, über Konferenzen, Workshops und Buchpräsentationen. Es ist wirklich ein komplexer Kulturvulkan, der hier jedes Jahr ausbricht!
Frau Ringler-Pascu, ich danke Ihnen für das Gespräch.