Die Europäische Kulturhauptstadt 2023 hat vieles zu bieten. Von Ausstellungen über Performances und Theateraufführungen bis hin zu Konzerten ist alles dabei, sodass manch einer meinen könnte, bald einem „kulturellen Burnout“ zu erliegen. Doch keine Sorge: Den „kulturellen Burnout“ gibt es nicht, er ist frei erfunden, man kann nicht unter zu viel kulturellem Input leiden. In der letzten Juni- und ersten Juli-Woche gab es so viele Events, dass sich einige von ihnen sogar überlappten. Das Publikum musste manchmal regelrecht von dem einen zu dem anderen Ereignis laufen. Es gab das erste Konzert der Orgelkonzertreihe „Die Orgeln der Festung“ (wir berichteten), wobei am selben Mittwochabend Temeswars internationales Jazzfestival eröffnet wurde. Schließlich wurde am Freitag, den 30. Juni, im Kunstmuseum am Domplatz die Retrospektivausstellung „Romul Nuțiu. Das Spiel mit dem Glück“ eröffnet – einen ausführlichen Beitrag darüber lesen Sie auf der kommenden ADZ-Kulturhauptstadtseite. Zu den Höhepunkten am Wochenende gehörte definitiv das JAZZx, das bekannte Musiker von nah und fern vor das Publikum in Temeswar brachte.
In einer entspannten Atmosphäre erfreuten sich die Temeswarer und Touristen an fünf Tagen Jazz in der Europäischen Kulturhauptstadt 2023. Das elfte JAZZx – Temeswars internationales Jazzfestival, das 2013 seine erste Auflage erlebte – fand von Mittwoch bis Sonntag in Temeswar statt und brachte wieder einmal bekannte Namen der nationalen und internationalen Jazzszene auf die Bühne. Das Publikum, das größtenteils aus Kennern und Liebhabern dieses Musikgenres bestand, zeigte sich überaus begeistert von den dargebotenen Konzerten. Man tanzte lange nach Einbruch der Dunkelheit.
Das internationale Jazzfestival wurde vor zehn Jahren von der Stadt Temeswar ins Leben gerufen. JAZZx ist nun Teil des nationalen Programms „Temeswar - Europäische Kulturhauptstadt 2023“ und wird seit zwei Jahren hauptsächlich vom Temescher Kreisrat finanziell getragen. Organisiert wird es vom Nationalmuseum des Banats und produziert vom Kulturzentrum PLAI. Auch der Austragungsort hat sich im Laufe der Jahre geändert: Es ist das zweite Mal, dass das JAZZx am Freiheitsplatz stattfindet, nach der Pandemie-Auflage 2021. Im vergangenen Jahr wurde das Jazzfestival am Opernplatz in Temeswar abgehalten.
An jedem der fünf Festivalabende waren jeweils drei Konzerte anberaumt. Wenn am Mittwoch und Donnerstag knapp ein Drittel der etwa 3000 Stühle, die am Freiheitsplatz aufgestellt worden waren, leer stand, so änderte sich dies am Wochenende, als bei den letzten Auftritten abends kaum noch freie Sitzplätze zu finden waren. Doch dies sollte kein Problem darstellen, schließlich waren die Jazzliebhaber nicht gekommen, um zu sitzen, sondern um das Tanzbein zu schwingen. Es ging auch nicht anders, denn Ezra Collective am Samstag oder Ibeyi am Sonntag heizten die Atmosphäre so richtig an. Vor allem die beiden Schwestern des französischen Duos Ibeyi – Lisa-Kaindé Diaz und Naomi Diaz – sorgten für gute Stimmung am späten Sonntagabend und das, obwohl sie beinahe gar nicht mehr aufgetreten wären. Ihr Gepäck samt wichtigen Musikinstrumenten ging am Sonntag auf dem Münchner Flughafen verloren. Die Organisatoren mussten improvisieren: Instrumente besorgen und den geplanten Auftritt kürzen. „Letztendlich haben sich die Musikerinnen so gut auf unserer Bühne gefühlt, dass sie sogar eine längere Performance als ursprünglich geplant ablegten. Lustig ist, dass ihr Gepäck im Backstage angekommen war, als sie von der Bühne stiegen“, erzählt Flavia Buzgar vom Kulturzentrum PLAI.
Alle Jazzabende wurden von lokalen/nationalen Jazzbands eröffnet. Es traten Acetobă feat. Arcuș, das Andrei Petrache Trio, VanDerCris (mit dem beliebten und begabten Temeswarer Gitarrenspieler Horia Crișovan, der in mehreren Rock-/Jazzbands mitspielt), das Luiza Zan Quintett und Blue Noise auf. Zu den internationalen Musikern zählten, neben den bereits erwähnten, Mammal Hands, Thundercat, Mörk, Ben L´Oncle Soul, Tigran Hamasyan, Shakti, The Comet is Coming und Bilal.
Zu den meisterwarteten Konzerten zählte jenes der Indo-Jazz-Band des legendären Gitarristen John McLaughlin. Die World-Fusion-Pioniere John McLaughlin und Zakir Hussain meldeten sich in diesem Jahr mit ihrem 50. Jubiläumsalbum und einer Welttournee zurück – als Shakti, eine Gruppe, die die Grundlagen der heutigen Indo-Jazz-Fusion gelegt hat. John McLaughlin hat den Jazz durch seine Zusammenarbeit mit Miles Davis und Tony Williams Lifetime neu gestaltet. Zusammen mit Hussain, dem Violinisten Shankar und T.H. „Vikku“ Vinayakram gründete McLaughlin die Band Shakti, die am 30. Juni in Temeswar für tosenden Beifall sorgte. Gemeinsam perfektionierten sie eine ekstatische neue Fusion, die unerforschte Wege eröffnete und Generationen von Musikern auf der ganzen Welt das Potenzial solcher globalen Kompositionen vor Augen führte.
Es gab also nicht nur den klassischen Jazz, sondern auch Fusion und zeitgenössischen Jazz, wobei in der Nacht Jam Sessions in der U-Kaserne über die Bühne gingen. Auch sonst fanden verschiedene Ereignisse rund um den Hauptveranstaltungsort statt: öffentliche Proben mit Publikum in der „Straße ohne Namen“, Meisterklassen mit einigen der teilnehmenden Musiker im Temeswarer Projektezentrum (so etwa eine mit dem aus Armenien stammenden und in Los Angeles lebenden, charismatischen Klavierspieler Tigran Hamasyan), Gedichte-Performances am Sankt-Georgs-Platz oder Partys im „Aethernative“ oder „D´Arc“.
Anders als in den Vorjahren kamen in diesem Jahr zahlreiche Gäste aus dem Ausland nach Temeswar, um sich die Konzerte, die das JAZZx zu bieten hatte, anzuhören. Es reisten Touristen u. a. aus Großbritannien, Polen, Tschechien, Deutschland, Österreich und den Nachbarländern Rumäniens an – für die Konzertkarten hätten sie „zu Hause“ viel Geld aus der Tasche gezogen, in Temeswar war die Teilnahme an dem Freiluftfestival kostenlos. Auch einige Journalisten aus dem Ausland waren beim JAZZx zugegen, um zu berichten.
Ein fester Bestandteil des Festivals war auch diesmal das Publikum, das mit den Künstlern interagierte und aktiv an den Auftritten teilnahm. Das JAZZx scheint sich mittlerweile als musikalische Familie etabliert zu haben, in der sich jeder durch die universelle Sprache des Jazz willkommen und verbunden fühlt. Das Musikevent ist im kommenden Jahr nicht zu verpassen – tragen Sie sich jetzt schon das Datum für die zwölfte Auflage des Festivals im Kalender ein: JAZZx wird 2024 zwischen dem 4. und 7. Juli in Temeswar organisiert.