Der aus China gebürtige Dirigent Jin Wang, der des Öfteren schon in Bukarest gastierte, wartete in der vergangenen Woche mit einem besonderen Programm im Bukarester Athenäum auf. Zusammen mit der Violinsolistin Evgenia Epstein und dem Orchester der Philharmonie „George Enescu“ führte er das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan sowie zwei Werke von Béla Bartók auf: die „Cantata profana“ mit dem schönen Untertitel „Die Zauberhirsche“, bei deren Darbietung neben dem Orchester auch der Chor der Philharmonie „George Enescu“ und die beiden Gesangssolisten Ionuţ Popescu und Pompei Hărăşteanu zum Einsatz kamen, sowie die Orchestersuite „Der wunderbare Mandarin“.
Der erste Teil des Konzertabends war dem 1940 entstandenen und für David Oistrach geschriebenen Violinkonzert von Aram Chatschaturjan gewidmet. Solistin war die aus Jekaterinburg stammende und nach Israel ausgewanderte Evgenia Epstein, die zu den Gründungsmitgliedern des Aviv-Quartetts gehört und Geiger wie Isaac Stern und Zakhar Bron zu ihren Lehrern zählt. Evgenia Epstein spielte auf einer Violine von Francesco Ruggeri, einem Zeitgenossen von Nicolò Amati, die durch ihren warmen und sonoren Klang insbesondere im Bereich der tiefen Saiten bestach.
Genau diese Qualitäten des weichen und samtenen Klanges ließen die groben, fast rohen ostinaten Figuren, mit denen die Solovioline im zehnten Takt des ersten Satzes Allegro con fermezza einsetzt, in einem sanfteren und milderen Licht erscheinen, ohne ihnen ihre Kraft und Bestimmtheit zu nehmen.
Ein besonderer Genuss war die umfangreiche Kadenz, die die Solistin con delicatezza und voller Zartgefühl vortrug. Die chromatisch aufsteigenden Sechzehntelläufe, die hämmernden Triolen und die variierenden Doppelgriffe des Kopfsatzes wurden so in ein stilistisches Amalgam eingeschmolzen, in dem gedämpftes Timbre und klangliche Behutsamkeit dominierten.
Im zweiten langsamen Satz erfuhr dieses Klangregister noch eine Intensivierung, insbesondere in den con sordino zu spielenden Passagen der Solovioline. Der Schlusssatz Allegro vivace mit seinem ausgelassenen, ja fast wilden, tänzerischen Hauptthema erinnerte in den Passagen, in denen das Seitenthema in den höheren Lagen der G-Saite cantabile appassionato vorzutragen ist, an den warmen und runden Gesamteindruck, den das Spiel der Geigerin an diesem Abend auszeichnete. Als solistischen Ausklang hätte man sich noch eine innige Sarabande von Bach oder den Malinconia-Satz aus Ysaÿes zweiter Violinsonate gewünscht, wurde aber ohne Zugabe in die Pause entlassen.
Der zweite Teil des Konzertes brachte zwei technisch und musikalisch besonders schwierige und daher eher selten gespielte Werke des ungarischen Komponisten Béla Bartók zu Gehör. Die „Cantata profana“, die 1930 entstand und 1934 uraufgeführt wurde, basiert auf einem rumänischen Volkslied, das die Geschichte von neun Brüdern erzählt, die sich, selbst Jäger, durch einen Zauber plötzlich in Hirsche verwandeln. Der Vater, ebenfalls ein Jäger, bittet sie, als er ihnen im tiefen Wald begegnet, mit ihm nach Hause zurückzukehren, aber sie entgegnen ihm: „Unser liebes Väterchen! Geh du nur nach Hause zu unserer lieben Mutter, doch wir gehen nicht! Denn unser Geweih kann durch keine Tür gehen, nur in die Berge; unser Leib kann nicht hemdbekleidet schreiten, nur zwischen grünem Laub; unser Fuß kann nicht auf des Herdes Asche treten, nur auf dürres Laub; unser Mund kann nicht aus Bechern trinken, nur aus Quellen.“ Diese Rückkehr zu den Quellen ist auch das geheime künstlerische und politische Thema des Werkes, mit dem der Komponist musikalisch an barocke Passionen, insbesondere an die Bachsche Matthäuspassion, anzuknüpfen versuchte.
Bartók, der auf seinen Reisen durch Ungarn und Rumänien Tausende von Liedern sammelte und aufzeichnete, übersetzte die rumänische Ballade von den Zauberhirschen selbst ins Ungarische. Gesungen wurde sie an diesem Abend im Bukarester Athenäum aber auf Rumänisch, interpretiert von den Frauen- und Männerstimmen des Philharmonischen Chores, dessen Part von Iosif Ion Prunner hervorragend einstudiert worden war.
Besonders beeindruckend waren die streng rhythmisierten, ins Monumentale weisenden Passagen der bis ins Achtstimmige aufgefächerten Chöre sowie die melismatischen Darbietungen der Solisten: die Tenorstimme von Ionuţ Popescu und der Bariton des meisterlichen Pompei Hărăşteanu, der die Gesangsrolle des Vaters vortrug, fügten sich zu einer facettenreichen stimmlichen Harmonie, die durch das volle Orchester in ihrem klanglichen Reichtum volltönend ergänzt wurde.
Die Bartóksche Orchestersuite „Der wunderbare Mandarin“ aus dem Jahre 1928 basiert auf der zwei Jahre zuvor in Köln uraufgeführten gleichnamigen Ballettpantomime, die einen veritablen Theaterskandal auslöste. Der damalige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, ließ die Aufführung des Werkes aus moralischen Gründen verbieten, da in diesem Tanztheaterstück drei Zuhälter ein Mädchen zur Prostitution zwingen, um dessen Freier auszurauben, darunter den Mandarin, der von den verharmlosend sogenannten Strolchen zuerst erstickt, dann erdolcht und schließlich erhängt wird, aber nicht sterben kann, bevor ihn nicht das Mädchen erlösend in ihre Arme nimmt.
Skandalös war das Stück damals gewiss auch in musikalischer Hinsicht, da es, darin Strawinskys „Le sacre du printemps“ vergleichbar, radikale klangliche und rhythmische Neuerungen kompromisslos verfocht. Bereits der Beginn der Suite wirkt wie ein finaler Aufschrei, wie das wild berauschte Ende eines infernalischen Bacchanals, das gleichsam aus dem Nichts in die Welt tritt.
Scharfe Posaunenglissandi, schrille Bläsertöne, aufwühlendes Schlagwerk und wild wogende Streicherklänge reißen den Zuhörer in eine musikalische Brandung aus Tönen und Rhythmen hinein, aus der ihn erst der gewaltige Schlussakkord erlöst. Der lang anhaltende Beifall im Bukarester Athenäum galt nicht nur den Solisten und dem Tutti des Orchesters, sondern insbesondere auch dem bei Leonard Bernstein in die Schule gegangenen, weltweit tätigen und vielerorts geschätzten Gastdirigenten Jin Wang.