Die aus Rumänien stammende und heute in Augsburg lebende bildende Künstlerin Florina Coulin (Lăzărescu) präsentierte am 22. November ihre bildlich dargestellten Eindrücke und Erinnerungen aus den 1970er Jahren einem begeisterten Publikum bei der Vernissage ihrer Ausstellung „Tagesstunden/ Bilder der Erinnerung“ in der Bukarester Ivan Gallery. Insgesamt 18 in der Zeitspanne von 1971 bis 1977 entstandene Bilder, darunter drei Gemälde und 15 Lithografien, schildern Träume, Tagebucheinträge, Ereignisse und persönliche Gedanken sowie die Weltanschauung der Kunstschaffenden im Zeitraum zwischen dem Abschluss ihres Kunststudiums am Institut für bildende Künste „Nicolae Grigorescu“, der heutigen Nationalen Kunstuniversität Bukarest, und ihrer Umsiedelung nach Deutschland.
Die ausgestellten Werke stehen unter dem Zeichen der Erinnerung, die Schaffensperiode ihrer Jugend hält Coulin für „luftdicht in ihrem Inneren verschlossen“. Somit ermöglicht sie den Kunstliebhabern einen seltenen Einblick in ihre Jugendeindrücke von der Welt, die auch passend in einer impressionistisch-realistischen Gestaltungsweise mit starken fototechnischen Akzenten dargestellt wurden. Die Technik der Lithografie sowie weiteres Wissenswertes über Kunst habe Coulin ihr Kommilitone Ion Grigorescu beigebracht. Dieser gute Freund war auch derjenige, der sie nach ihrem Beitritt in den Verband der bildenden Künstler 1975 in die Grafikwerkstatt des Verbandes einführte. Die Künstlerin erklärt sich glücklich, dass sie die Chance hatte, während ihres Studiums unter dem kommunistischen Regime wichtige Ausstellungen mit Werken von Henry Moore, Paul Klee, amerikanischer Pop-Art-Kunst, afrikanischer Kunst und Bilder im französischen Tachisme-Malstil zu besuchen. Außerdem beteiligte sie sich zu der Zeit auch an Gruppenausstellungen im In- und Ausland (Moskau, Barcelona, Sofia oder Stockholm).
Coulin profitierte davon, dass ab 1965, als die Verordnung „stilistischer Diversität“ der Rumänischen Kommunistischen Partei erfolgte, eine Art Entspannung in der Kunstlandschaft eingetreten war, welche Mitte der 70er Jahren wieder von politischer Repression abgelöst wurde. In dieser Zeit, während der Künstler über ein wenig Schaffensfreiheit verfügten, konnte Florina Coulin zusammen mit den anderen Künstlern der Werkstatt viel fotografieren, malen und über ihre Werke und Einstellungen reflektieren. Sie erinnert sich mit großer Freude an die dortige schöpferische, anregende und kollegiale Atmosphäre, unter deren Einfluss ihr Jugendwerk entstand.
Laut Coulin sind daher vor allem die Grafiken mit Gebäuden oder Landschaften, Stillleben, architektonischen Fragmenten, Porträts und Kompositionen mit Menschen nicht einfach dem sozialistischen Realismus zuzuordnen, sondern eher einem neutralen Realismus, für den sie sich ausspricht. Selbstverständlich löste der Neubau kommunistischer Wohnblocks – allein ihre Größe! – bei damaligen jungen Künstlern nicht nur Ablehnung, sondern auch eine Art Bewunderung aus. Florina Coulin bekannte sich vor dem Publikum zu einer Faszination für Baustellen, die als symbolische Bedeutungsträger fungieren und einer inneren Entwicklung und einem Wiederaufbau gleichgestellt werden. Die in drei Etappen schwarz-weiß gedruckte Panoramalithografie „Neue Blocks“ (1975) zeigt neben den neuen Mammutgebäuden einen Acker als Grenzzone zwischen dem urbanen Raum und dem freien Feld. Durch die Baustelle wird in diesem Fall die Natur nicht völlig zerstört, sondern nur vorübergehend gezähmt, da mitten zwischen den Baumaschinen Gras und junge Bäume sprießen. Das Bild spielt folglich auf die Hypostasen des Lebens durch die Wechselwirkung zwischen Stadt und Natur, zwischen Fortschritt und Konservativismus, zwischen Kultur und Wildnis an.
Obwohl alle Werke das Interesse der Betrachterinnen und Betrachter erwecken, stellt „Gruppe von Jugendlichen“ (1972), bei dem ebenfalls das Leben im Mittelpunkt steht, ein besonders beeindruckendes Werk dar. Jede Gestalt dieser Lithografie drückt sich eigenartig, in übertriebener expressionistischer Weise durch Körpersprache aus. Die Überlappung menschlicher Umrisse stellt anscheinend eine Tanzszene dar – oder vielleicht mag die Künstlerin die Atmosphäre aus der Grafikwerkstatt verewigt haben? – wobei jeder Mensch sich verfremdet, alleine neben anderen, in einer Gruppe bewegt. Dadurch ergibt sich auch ein dynamischer Effekt. Manche Elemente sind orange gefärbt und stechen dem Betrachter ins Auge. Könnte sich die Künstlerin wohl selbst als orange Frauenfigur dargestellt haben?
Die Kunstschaffende heiratete 1977 und zog nach Deutschland um, wo sie ihre künstlerische Karriere fortsetzte. Sie trat dem Künstlerverband in Augsburg bei und nahm unter anderem an Einzel- und Gruppenausstellungen in Villefranche (Frankreich), München, Wien, Istanbul und Iowa City (USA) teil. In Rumänien hatte Florina Coulin Einzelausstellungen in der Curtea Veche Galerie (Bukarest, 2006 und 2007) und nahm an den Gruppenausstellungen „Ion Grigorescu und Freunde“ (Mogoșoaia-Palast, 2003) teil. Darüber hinaus beteiligte sich Florina Coulin 2019 am Europalia Arts Festival Romania. Sie lebt und arbeitet gegenwärtig in Augsburg und bedankt sich bei Ion Grigorescu und Adina Toader für die Pflege und Bewahrung ihrer Jugendwerke in Rumänien.
Die Ausstellung kann bis zum 31. Januar 2020 von Mittwoch bis Samstag, 12 bis 18 Uhr, oder nach Vereinbarung außerhalb der Öffnungszeiten in der Ivan Gallery (Str. Dr. Dimitrie Grecescu, Nr. 13, im Cotroceni-Viertel) besichtigt werden. Weitere Angaben sind bei info@ivangallery.com oder www.ivangallery.com verfügbar.