Von der rumänischen Volksmusik, die er als Kind in der ukrainischen Maramuresch sang, bis zum Vertrag mit dem Opernhaus Zürich für die kommende Saison, ist die Zeit für Yuriy Tsiple schnell vergangen. Er hat in Bukarest studiert, Gesangswettbewerbe gewonnen, sich an Konzerten und Aufnahmen beteiligt. 2009 gab er sein Debüt an der Frankfurter Oper - er sang hier u. a. die Titelrolle der Oper „Pimpinone“ von Telemann. Bei der Opéra national du Rhin Straßburg stand er seit 2010 als Ali Baba (Cherubini), Doktor Malatesta („Don Pasquale“-Donizetti) und Schaunard („La Bohème“-Puccini) auf der Bühne. Im Juli sind noch Aufführungen mit „L’Occasione fa il ladro“ von Rossini und mit dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss in seinem Terminkalender vermerkt, bevor er nach Zürich umsiedelt. Den Stellenwert der Züricher Oper in einer weltweiten Hierarchie belegen die Namen, die dem dortigen Ensemble angehören: Agnes Baltsa, Cecilia Bartoli, Renato Bruson, Thomas Hampson oder Leo Nucci. Auch dem rumänisch-ukrainischen Bariton bedeutet Zürich sehr viel.
Sie singen schon seit Kindesalter. Wie haben Sie sich für Oper entschieden?
Seit ich mich erinnern kann, habe ich in unserem Garten gesungen, unter Applaus der Nachbarn. Die authentische rumänische Folklore steht mir besonders nahe, denn die Doinas und Balladen enthalten viel Seele. Obwohl ich seit 2004 nicht mehr im Rahmen von Volksfesten aufgetreten bin, heißt das nicht, dass ich es ganz aufgegeben habe. Ich verspreche, einmal wieder in der schönen Maramurescher Tracht zu singen, so wie man mich zu Hause kennt.
Mein Schicksal hat gewollt, dass ich an der Bukarester Musikuniversität Gesang studiert habe. Dieser Beruf ist nobel, schön, rein, aber zugleich sehr schwierig. Trotz der vielen Schwierigkeiten, die nur „in der Küche“ hinter den Kulissen „umpräpariert“ werden können, bringt er viel Erfüllung mit sich. Es ist wichtig, daran Freude zu haben, nicht aufzugeben und seinen Hochmut wegzulassen.
Sie vertreten als Künstler Rumänien, obwohl Sie in der Ukraine geboren sind...
Als ich angefangen habe, Volksmusik aus der Maramuresch zu singen, bin ich auch in Kiew im größten Konzertsaal des Landes, dem Nationalpalast Ukraine, aufgetreten. Auf diesem Volksmusik-Festival waren alle Minderheiten der Ukraine vertreten. Ich habe ein Lied aus der Maramuresch gesungen und das Publikum war so begeistert, dass die Veranstalter uns baten, das rumänische Programm im Foyer als Zugabe zu wiederholen.
Kurz danach kam ein Fernseh-Team vom nationalen Sender in mein Städtchen Slatina an der Theiß und drehte eine Sendung über meine Familie und mich. Die Ukrainer waren es, die beschlossen, dass ich überall Rumänien vertreten sollte – worüber auch meine Eltern froh waren, denn wir sind Rumänen. Zwischen den beiden Ländern mache ich selbst jedoch keine Unterschiede.
Welche Auftritte halten Sie für Ihre besten?
Ich habe sehr schöne Erinnerungen von Opernaufführungen, vokal-sinfonischen Konzerten oder Liederabenden, mehr als zweihundert Auftritte seit 2006 bis heute. Manche haben eine besondere Ausstrahlung in meiner Erinnerung, zum Beispiel das Konzert zu Ehren Seiner Majestät König Mihai von Rumänien im Oktober 2010, an dem ich auf Einladung der Sängerin Nelly Miricioiu mitwirkte.
Verraten Sie uns einen lustigen Vorfall von der Bühne?
Da fällt mir auf Anhieb etwas aus Frankfurt ein, worüber man anfangs gar nicht lachen konnte, aber im Laufe des Abends verwandelte es sich in eine Komödie. Die Aufführung von Mozarts „La finta giardiniera“ war schon fast zu Ende, als die Alarmanlage anging. Als die Feuerwehr ankam, waren Publikum, Orchester und Solisten alle schon draußen. Die Leute klatschten und wir beschlossen, das Schlussensemble „a cappella“ zu singen. Die Feuerwehrmänner standen neben uns auf den Treppen und wir sangen brav vor vielen laufenden Kameras und unter allgemeinem Gelächter.
Hatten Sie auch negative Kritiken?
Egal welchen Beruf man hat, wird man auch kritisiert. Ich hatte meine negativen Kritiken im Zusammenhang mit der französischen Aussprache, aber unlängst habe ich nach einem Konzert mit dem Philharmonischen Orchester Straßburg einen Artikel gelesen, der meine „sehr gute französische Aussprache“ erwähnte. Die Kritik ist willkommen, solang sie konstruktiv ist und hilft, das zu reparieren, woran man weniger gearbeitet hat. Generell bekomme ich positives Feedback, und wäre ich nicht aufmerksam, so könnte ich vielleicht vergessen, dass ich ein Normalsterblicher bin. Aber man muss stets realistisch bleiben.
Wie viel ist im Gesang angeboren und wie viel ist Arbeit?
Man muss schon sehr begabt sein! Manchen hat der liebe Gott mehr gegeben, anderen weniger, Letztere haben manchmal durch ihre Intelligenz diejenigen überholt, die alle Gaben hatten. Nur einer von zehn Sängern findet die korrekte Impostation, die richtige Stimmausgangslage. Das ist ein technisches Problem, seit es diese vokal-dramatische Gattung gibt. Es ist sehr schwierig, den passenden Lehrer, ausgezeichnete Dirigenten und gute Kollegen zu finden.
Außerdem ist die Konkurrenz groß und nicht alle Künstler sind auf Dauer interessant. Es ist ein großer Fehler, alles gleich und undefiniert zu machen - „uguale“, wie der Italiener sagt – denn irgendwann langweilt sich das Publikum. Es müssen Unterschiede da sein, Spannung wenn nötig, Verzweiflung, Witz, Sensibilität bei der Phrasierung. Wenn man das nicht von Geburt aus hat, dann baut man es auf. Kontraste und Feinheiten im Ausdruck, jenseits von Text, Noten, Orchesterpartitur – das macht den großen Künstler aus. Um vom Zuhörer geschätzt zu werden, muss man mit Persönlichem kommen. Ich hatte das Glück, die richtigen Leute zur richtigen Stunde zu treffen.
Wie sind die Regisseure und Agenten heutzutage?
Es gibt Regisseure, die bei Neuinszenierungen an das kleinste Detail denken, bessere Nutzung der Akustik und Ähnliches. So arbeitet beispielsweise Robert Carsen, mit dem ich in „La Bohème“ kollaboriert habe. Ich selbst experimentiere gerne, solang es begründet ist.
Heutzutage muss ein Sänger zugleich Schauspieler sein und zu Teamarbeit bereit. Wir Musiker sollten jede Bewegung auf der Bühne mit dem Gesang und der Orchesterbegleitung koordinieren, damit ein Gleichgewicht entsteht und „Leerräume“ in den Inszenierungen sinngemäß gefüllt werden. Das steht nicht nur in der Verantwortung des Regisseurs. Ein guter Agent ist zudem für die Künstlerkarriere maßgeblich – ohne ihn kann man nichts mehr anfangen. Ich bin mit meiner Berliner Agentin, Frau Britta Wieland, gut befreundet.
Sie wurden mehrmals preisgekrönt und nehmen trotzdem an keinen Wettbewerben mehr teil. Wieso?
Mein Leben ist ein permanenter Wettbewerb, ich konkurriere ganz streng mit mir selbst. Nach der Aufführung gebe ich mir eine Note, das Publikum gibt mir mit seinem Beifall eine weitere Note. In Rumänien habe ich zwei Wettbewerbe gewonnen, dann habe ich aber mit der Arbeit im Opernhaus begonnen, musste neue Partien einstudieren und hatte keine Zeit mehr, mich um etwas anderes zu kümmern. Meines Erachtens sind gewonnene Wettbewerbe eine willkommene Visitenkarte für angehende Künstler, die noch keinem Ensemble angehören, und die mit einem Preis belegen können, dass sie den Anforderungen eines Opernhauses gewachsen sind.
Welche Opernrollen stehen Ihnen am nächsten?
Alles, was ich bisher gesungen habe, hat mir großen Spaß gemacht. Ich möchte jedoch mit dem Repertoire nicht übertreiben: Die Stimme ist jung, sie braucht noch Zeit. Junge Sänger sollten nicht allzu viel und allzu laut singen, sonst bekommen sie später dafür die Rechnung. Mit 28 Jahren darf man träumen, aber man muss nicht immer genau das tun, wovon man geträumt hat. Neben Opera buffa und Mozart würde ich mir wünschen, den Hamlet von Ambroise Thomas und den Riccardo aus „I Puritani“ von Bellini zu singen.
Ihr Repertoire umfasst italienische, russische, französische, deutsche Musik. Haben Sie einen Favoriten?
Der Belcanto und die italienische Opera buffa sind wie für meine Stimme maßgeschneidert, das Publikum versteht mich darin zu hundert Prozent. Ebenso schätze ich französische Musik, aus der ich künftig viele Baritonpartien singen möchte. Von der deutschen und der russischen Musik harmoniere ich vorläufig besser mit dem Lied und der Romanze als mit der Oper. Ich bin ungefähr wie ein Leistungssportler: Ich will nicht hastig starten und nur einhundert Meter laufen können, sondern ein wenig langsamer starten, in der Hoffnung, dass ich zehntausend Meter laufen kann, bevor ich müde werde. Es ist mir wichtig, die Arbeit qualitativ aufzuwerten und auf längere Frist zu setzen.
Haben Sie Vorbilder?
Ja, viele! Ganz besonders bewundere ich die Stimme und die gründlich und geduldig aufgebaute Karriere meiner guten Freundin, der Mezzosopranistin Ruxandra Donose. Sie ist zudem auch immer bescheiden – alles ideal!
Was bedeutet die Station Frankfurt – Ihre Starterfahrung - für Sie?
Die Frankfurter Oper hat mich zu einem professionellen Künstler erzogen. Dort habe ich auch die rumänische Agentin Luisa Petrov kennengelernt, die mich sehr viel unterstützt hat. Allgemein ist Deutschland für mich ein Modell, ein Land, das auf Qualität setzt.
Das Opernhaus Zürich ist eins der angesehensten weltweit. Welches sind Ihre Erwartungen, welche Partien studieren Sie für den Herbst ein?
Zürich ist ein Traum, der 2004 begonnen hat, als ich Elena Moşuc (rumänische Sopranistin , Ensemble-Mitglied in Zürich – Anm. d. Red.) zum ersten Mal live gehört habe und fast in Tränen ausbrach. Ich verstand damals, wie viel man arbeiten muss, um in Opernhäusern der ersten Kategorie zu singen. Es sind einige Jahre Arbeit vergangen und nun bin ich ab der nächsten Saison Solist des Opernhauses Zürich. Ich bin dankbar, dass sie mir von Anfang an genau das Repertoire angeboten haben, das zurzeit zu mir passt: Schaunard in „La Bohème“ mit einer sehr guten Besetzung und Maestro Fabio Luisi von der Metropolitan Opera; Barone Douphol in „La traviata“, mit Diana Damrau als Violetta; Morales in „Carmen“ unter der Leitung von Maestro Patrick Fournillier.
Haben Sie Projekte in Rumänien?
Ein Konzert in Bukarest im September, mit meiner Frau, der Sopranistin Cristina Dan. Gerne kommen wir nach Rumänien, sooft man uns einlädt und die Zeit es erlaubt.