Es war ein rumänischer Abend, ein Abend der vergangenen kommunistischen Geschichte Rumäniens in der Zeit des Diktators Nicolae Ceauşescu und seiner machtgierigen Ehefrau Elena. Diese rumänische Geschichte wurde im ehemaligen Palais Mendelssohn in Berlin-Grunewald erzählt. Architekt Ernst von Ihne, 1848 in Elberfeld geboren, kam über Umwege nach Berlin, stieg zum königlich-preußischen Hofarchitekten auf, bekam den Adelstitel und wurde schließlich von Kaiser Wilhelm II. im Ersten Weltkrieg zur Exzellenz ernannt, baute dieses Palais 1908 im englischen Landhausstil im vornehmen Wohngebiet Grunewald für den wohlhabenden Bankier Mendelssohn. Der letzte deutsche Kaiser war hier zu Gast, Honoratioren und wichtige Wissenschaftler der damaligen Zeit wurden geladen. In der Nazizeit erfolgte 1939 der Zwangsverkauf des jüdischen Besitzes, die Gestapo zog ein, Bombenangriffe zerstörten Teile des prächtigen Baues. Das Johannische Sozialwerk ließ das Haus in den 1950er Jahren auf- und umbauen.
Professor Dr. Arsene Verny, der Vorsitzende des Kuratoriums der Valerian Arsene Verny Stiftung, die ebenfalls in diesem Haus ihre Adresse hat, empfing mit sehr freundlichen gastlichen Worten uns Gäste im Weißen Saal, das Podium, den Botschaftsrat der Rumänischen Botschaft in Berlin, Dr. Vlad Vasiliu, und den Protagonisten des Abends, Radu Filipescu, der aus Bukarest angereist war.
Die Autorin Herma Kennel schrieb vor über zwanzig Jahren das hervorragende Buch „Es gibt Dinge, die muss man einfach tun“ über den Zeitzeugen Radu Filipescu, der 1955 in Bukarest geboren wurde. Die Schriftstellerin lebte in den 1980er Jahren in Bukarest. Dr. Gerhard Köpernik, ihr Ehemann, war seinerzeit Leiter der Handelsförderungsstelle an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Von Radu Filipescu, dem mutigen, gegen das Ceau{escu-Regime rebellierenden jungen Mann, hörte Herma Kennel von ihrer Haushaltshilfe, hörte von den „Dummheiten“ des Nachbarsohns Radu.
Die Geschichte ging der Schriftstellerin nicht aus dem Kopf. Im Frühjahr 1990 reiste Herma Kennel nach Bukarest, suchte Radu Filipescu, ließ sich von ihm seine Geschichte erzählen, schrieb sie nieder, fand in Deutschland den Verlag Herder. Aus dem Buch über den mutigen jungen Rumänen las sie Passagen. Zwanzig Jahre später erzählt der heute fast sechzigjährige Radu Filipescu in seiner rumänischen Sprache spannend über die kommunistische Zeit in seinem Heimatland, über das Verteilen seiner 1000 Manifeste in Bukarester Briefkästen kurz vor dem orthodoxen Osterfest, über die Verfolgung der Securitate, die Verhaftung und Verurteilung und über Folter.
Sachkundig führt Frau Dr. Anneli Ute Gabanyi, die Politikwissenschaftlerin, durch die politische Historie des Landes Rumänien und übersetzte das Erzählte des Protagonisten ins Deutsche. Sie sprachen vom Mut damals im Schatten der Securitate.
Herma Kennels gelesene Texte gleichen einem politischen Krimi. Jahre sind vergangen seit der Zeit der rumänischen Diktatur, doch Radu Filipescu erzählt enthusiastisch von damals, als wäre es gestern gewesen. Menschen wurden in den Gulag verbannt und in Gefängnisse gesteckt, Menschen wurden verschleppt und ermordet, Eliten zum Schweigen gebracht. Radu Filipescu, der revoltierende junge Mann von damals, erinnert sich am Abend in Berlin an den enormen Druck durch die Mangelwirtschaft zu Beginn der 1980er Jahre in Rumänien, das Elend war beispiellos, die Bürger litten. Seit 1965 hat Filipescu die Entwicklung Ceau{escus bewusst miterlebt. Bis in die 1980er Jahre soll einiges erträglicher gewesen sein, dann wurde es sehr schwierig. Die permanente Bedrohung im Staat des Diktators schwebte über der Bevölkerung. Es gab keine organisierte Opposition im Land, erzählte der Protagonist des Abends. Er wollte, dass andere auch auf die Straße gehen und demonstrieren. Weit entfernt war das Land von solchen Freiheitsaktivitäten. Radus Manifeste waren ein Aufschrei gegen Ungerechtigkeit und Diktatur.
1983 wurde Filipescu zu zehn Jahren Haft verurteilt und in das berüchtigte Gefängnis nach Aiud im Kreis Alba in Siebenbürgen gebracht. Andere politische Gefangene traf er dort. Gerüchteweise hatte Radu von zwei Protesten und Verhaftungen gehört. Die Parolen „Nieder mit dem Henker“ und „Nieder mit dem Verräter“ brachten die jungen Männer aus der Provinz, die sich ebenfalls gegen die Diktatur aufgelehnt hatten und ebenso wie Radu ein verändertes freies Land haben wollten, in den Kerker.
Am Unfallkrankenhaus in Bukarest arbeitete Professor Dr. Sorel Filipescu, der Vater von Radu. Als privilegiert galt er, durfte hin und wieder in den feindlichen Westen reisen. Briefe seines Sohnes aus dem Gefängnis schmuggelte er in den Westen, mobilisierte Freunde, die die Briefe an Rundfunksender weitergaben. Die Initiative hatte Erfolg. Über den Rundfunk im westlichen Ausland wurden die Missstände in Rumänien angeprangert und Radus Haftzeit verkürzt. Die grauenvollen Bedingungen im berüchtigten Gefängnis in Aiud beschreibt Radu Filipescu und über unvorstellbare unmenschliche Zustände. Nach drei Jahren wurde er freigelassen, weiterhin war er ständig unter der Fuchtel der Securitate. Das ganze Land war für ihn ein Gefängnis! 1987 begann Radu erneut Manifeste auf Teufel komm raus zu verteilen, wurde erneut verhaftet und gefoltert, war physisch erledigt! Filipescu war einer der letzten politischen Gefangenen in Rumänien!
Radu Filipescu ist seinem Land Rumänien treu geblieben und erzählt über seine privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Engagements. Ein Vierteljahrhundert nach der Öffnung der Grenzen in Europa fand dieser hochinteressante spannende politische Abend in Berlin im ehemaligen Palais Mendelssohn auf Einladung der Arsene Verny Literaturstiftung für Kinder und Jugendliche statt.
Im Verlag Polirom in Jassy/Iaşi ist Herma Kennels Buch zwischenzeitlich in der rumänischen Übersetzung erschienen. In Deutschland ist das interessante und gut geschriebene Buch über den Zeitzeugen Radu Filipescu bereits ausverkauft, gehört inzwischen der Vergangenheit an. Ich wünsche mir einen deutschsprachigen Verlag, der sich dieser wichtigen politischen Geschichte erneut annimmt für nachfolgende Generationen.