Um die „Religionsfreiheit in der Pionierregion Siebenbürgen“ gruppieren sich die, bis auf eine Ausnahme, bereits an anderer Stelle erstveröffentlichten Schriften von Dr. Ulrich Andreas Wien, der mit dieser gebündelten Neuvorlage einen Beitrag zum Lutherjahr 2017 leistet. Die acht Artikel entsprechen also keinen fortlaufenden Kapiteln, sondern beleuchten unterschiedliche Aspekte, wobei gewisse inhaltliche Überschneidungen nicht zu vermeiden waren. Ergänzt werden sie durch eine gemeinsame Quellen- und Literaturübersicht sowie ein Orts- und Personenregister.
In mehreren Landtagsbeschlüssen zwischen 1541 und 1571, insbesondere in dem bedeutenden Beschluss von Thorenburg (1557), wurde den im Landtag vertretenen Ständen das Recht auf freie Religionsausübung gewährt. Einmalig für das frühneuzeitliche Europa wurden in Siebenbürgen vier christliche Konfessionen, die katholisch-altgläubige, die lutherische, die kalvinistische und unitarische als rechtlich gleichberechtigt anerkannt. Da die Rumänen rechtlich nicht im Landtag vertreten waren, kam ihrer orthodoxen Konfession lediglich der Status einer passiv geduldeten Religionsgemeinschaft zu. In den acht Aufsätzen stellt Wien die historischen Voraussetzungen wie die Konsequenzen und auch Grenzen dieser ungewöhnlichen konfessionellen Toleranz vor. „Pionierregion“ nennt Wien Siebenbürgen deshalb, weil die Einführung der Reformation in Siebenbürgen auf das ungarische und selbst auf das rumänische Umfeld erheblich einwirkte. Aber nicht nur die Voraussetzungen und die langsame konfessionelle Ausformung der verschiedenen reformatorischen Ansätze, sondern die Akzeptanz des Nebeneinanders der unterschiedlichen Auslegungen, wie durch den Beschluss von Thorenburg offiziell bestätigt, stehen im Mittelpunkt der Aufsätze.
Die geschichtlichen Rahmenbedingungen, wie die Niederlage der Ungarn in der Schlacht von Mohács 1526 und im weiteren Verlauf die der Habsburger 1541 in Buda, die Siebenbürgen, das sich nun dem Protektorat des osmanischen Reiches unterstellte, dem Einfluss des römisch-katholischen Reiches entzog und somit die Einführung der Reformation in Siebenbürgen erst ermöglichte, werden kurz benannt. Näher geht Wien auf die Voraussetzungen für die Reformation in Siebenbürgen ein, wie sie durch das humanistisch geprägte Umfeld der städtischen Eliten Hermannstadts und insbesondere Kronstadts gegeben waren. „Humanistische Stadtreformation in Kronstadt“ ist denn auch ein Beitrag überschrieben, der den maßgeblichen Wegbereitern der Reformation in Siebenbürgen, Johannes Honterus und Valentin Wagner, gewidmet ist. Ihrem persönlichen Bildungsweg unter Berücksichtigung der sie prägenden Lehre Melanchthons wird hier nachgegangen, ebenso wie ihren ganz in humanistischer Tradition stehenden pädagogischen Ambitionen.
So fragt Wien in dem Aufsatz „Wirkungen des Calvinismus in Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert“ nach der konfessionellen Abgrenzung – marginal auch Annäherung – der weitgehend lutherischen Siebenbürger Sachsen zu den reformierten und calvinistisch geprägten ungarischen Adeligen und Fürsten. Prekär gestaltete sich das Verhältnis zu den Unitariern, deren Hauptvertreter, der aus Klausenburg stammende Sachse Franz Davidis, zunächst durch den Fürsten Zapolya anerkannt, letztlich vom Fürsten Bathori im Kerker der Festung Deva inhaftiert wurde und nicht zuletzt durch seine „Magyarisierung“ bei den Sachsen eher auf Ablehnung stieß.
Gerade die Beschäftigung mit den überlieferten Predigtexten des Pfarrers Damasus Dürr, der während seiner Tätigkeit in Kleinpold/Apoldu de Jos diese zwischen 1554 bis ca. 1582 verfasste, bietet einen Einblick in die damalige Gemeindearbeit. In mehreren Aufsätzen, insbesondere jedoch in „Raumbezüge reformatorischer Predigt am Beispiel des Kleinpolder Pfarrers Damasus Dürr“, analysiert Wien die Texte, um Aufschlüsse über das Verhältnis zwischen Pfarrer und Gemeinde, die besondere „sächsische“ Ausformung der Wittenberger Lehre mit ihrem Festhalten an tradierten Formen der Liturgie und der Ausstattung der Kirchen zu gewinnen. Nach Jahren der Verwahrlosung bedurfte es dramatischer Maßnahmen, um die Gemeindemitglieder wieder zu disziplinieren. Von der anmaßenden Kleiderordnung bis zum mangelnden Respekt gegenüber Kirchenvertretern und der fehlenden Akzeptanz der finanziellen und materiellen Ansprüche der Kirche, reicht die mitunter bunte Palette von Verfehlungen, die denn auch prompt geahndet wurden. Wobei die weltliche Macht, die Organisation der Nachbarschaften und die Kirchenvertreter engmaschig kooperierten, wenn es um Bestrafung und Disziplinierung, aber auch um die Streitschlichtung untereinander ging.
Zur Stärkung der eigenen Identität grenzte Dürr sich in den verschiedenen Predigttexten bisweilen polemisch ab. Unter dem Titel „Formierung des konfessionellen Raumes in Siebenbürgen“ zitiert Wien aus einer der Gründonnerstagspredigten, in denen Dürr sich gegen die Auffassung der „Bebstler“ (Papisten) einerseits und der „Sacramentschender“ (Reformierten) andererseits abgrenzt (S. 127-128). Wien beschreibt die Ausformung der „sächsischen“, eben durchaus nicht nur lutherischen Konfession als Prozess, der bis ins 17. Jahrhundert reichte und nicht immer gradlinig verlief. Überlappungen gab es sowohl räumlich in einigen Grenzregionen, wie inhaltlich, wenn es zur Übernahme von calvinistischem Liedgut kam.
Andererseits untersucht Wien unter den Stichworten: „Politik – Macht – Glaube“ die Unabhängigkeitsbestrebungen der Landeskirche gegenüber der politischen Institution der sächsischen Nationsuniversität bis ins 18. Jahrhundert, die sich nicht zuletzt in der räumlichen Trennung des Sitzes dieser beiden Institutionen, Landeskirche in Birthälm – Nationsuniversität in Hermannstadt – ausdrückte. Eine machtpolitische Kontroverse zwischen Kirche und politischer Vertretung über den Einfluss des Pietismus in Siebenbürgen im 18. Jahrhundert verhinderte letztlich das langjährige Desiderat, insbesondere der städtischen Bevölkerung, nach einer eigenen Universitätsgründung.
Der letzte Aufsatz untersucht ausführlich die politischen Gründe des katholischen Fürsten Stephan Báthory, die evangelische Synode 1572 auf die „Formula Pii Consensus“ und damit auf eine an der „Confessio Augustana“ orientierte Auslegung der sächsischen Konfession festzulegen. Allerdings zeigt Wien auch anhand der Reaktionen der Synode, die in der Abfassung einer verbindlichen Bekenntnisschrift münden, dass trotz einer offiziellen Übernahme des Augsburger Bekenntnisses in einige bewusst vage gehaltenen Formulierungen, die den ungebrochenen Einfluss der Lehren Melanchthons verraten, der eigenständige Charakter der sächsischen Konfession bewahrt wurde.