Am Donnerstag der vergangenen Woche waren im Bukarester Athenäum zwei ganz unterschiedliche musikalische Werke zu erleben: das bekannte und häufig gespielte Violinkonzert in D-Dur (op. 35) des russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, das im Jahre 1878 entstand, sowie die fünfte Sinfonie des rumänischen Gegenwartskomponisten Adrian Iorgulescu, die erst im Sommer vergangenen Jahres vollendet wurde. Solist des Konzertabends war der rumänische Geiger Remus Azoi]ei, der als Violinprofessor an der renommierten Royal Academy of Music in London wirkt, die musikalische Leitung hatte der aus Rumänien gebürtige und heute in Japan lebende Dirigent Camil Marinescu inne, der das Bukarester Publikum vor allem durch seine Mahler- und Bruckner-Interpretationen immer wieder begeistert. Der 45-jährige rumänische Geigenvirtuose Remus Azoi]ei, der im Jahre 2001 zum jüngsten Violinprofessor in der Geschichte der Royal Academy of Music London berufen wurde, betrat die Bühne des vollbesetzten Bukarester Athenäums wie immer in bewährter Manier. Er durchschritt das Orchester mit der am gestreckten linken Arm in die Höhe gereckten Violine, als handle es sich dabei um eine Fackel, die das Rund des Bukarester Musiktempels zu erleuchten bestimmt sei. Und in der Tat, bereits beim Stimmen der vier Violinsaiten wurde der Kuppelbau des Bukarester Athenäums durch die kräftigen und sonoren Töne des 1735 von Nicolň Gagliano in Neapel gebauten Instruments klanglich illuminiert und akustisch zum Leuchten gebracht.
Remus Azoi]ei gehört nicht zu den Geigern, deren Markenzeichen süßlicher Schmelz und geschmeidige Weichheit ist. Vielmehr dominieren bei ihm primordiale Kraft und unbändige Energie, die jedoch unter seinen Händen in künstlerisch gebändigter und artistisch sublimierter Form musikalische Gestalt und melodiöse Schönheit gewinnen. Manchen mag sein Spiel vielleicht zu forsch und draufgängerisch erscheinen, aber gerade beim Tschaikowskyschen Violinkonzert sind dies fraglos Qualitäten, die zum interpretatorischen Gelingen der solistischen Darbietung beitragen, zumal wenn sie, wie im Falle Remus Azoi]eis, mit einer brillanten Technik und einer stupenden Virtuosität einhergehen. Bereits beim Einsatz des ersten Hauptthemas im Moderato assai des Kopfsatzes konnte man sich auf den Charakter der auf der Bühne des Bukarester Athenäums zu Gehör gebrachten Darbietung einstimmen. Kräftige, tragende Töne, mit starkem Saitendruck erzeugt und dabei das vorgeschriebene Piano auf ein deutliches Mezzoforte hin überschreitend, präludierten eine Interpretation, deren Kennzeichen ein permanentes ad libitum war, sei es bei der musikalischen Formung aufsteigender chromatischer Linien, sei es bei der bewussten Verzögerung einzelner Taktschläge, sei es bei der Gestaltung von Pausen oder Überleitungen, Freiheiten also, die in dem sensiblen und einfühlsamen Orchesterleiter Camil Marinescu einen kongenialen Akteur fanden, der den musikalischen Ideen des Solisten in harmonischer Synchronie zu vollendeter Geltung verhalf. Grandios war auch die Darbietung der von Tschaikowsky auskomponierten Kadenz im ersten Satz, vor allem die Überleitung zum Quasi Andante mit der kräftigen Folge chromatisch aufsteigender Akkorde.
Der zweite Satz des Tschaikowskyschen Violinkonzertes schwelgte dann in reiner Sanglichkeit, wobei Remus Azoi]ei auch und gerade hier in dieser Canzonetta den Charakter des süßlich Gedämpften vermied und, selbst an den Stellen erhabenster Innerlichkeit, markante Linienführung walten ließ. Das attaca subito einsetzende Allegro vivacissimo des Finalsatzes ließ dann Solist und Orchester in einem wahren Geschwindigkeitsrausch miteinander um die Wette eilen, wobei Remus Azoi]ei durch kräftige Impulse und rhythmische Schläge dieser wilden Jagd noch zusätzliche Dynamik verlieh. Am Ende der Darbietung war man als Zuhörer wie gebannt, zumindest bis der überwältigende Beifall aufbrandete, der dem Solisten dann noch zwei hochvirtuose Zugaben abnötigte. Kaum zu glauben, dass der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick dieses Werk zu Lebzeiten Tschaikowskys als unviolinistisch abtat und dem Komponisten vorwarf, dass die Violine darin nicht mehr spiele, sondern nur noch zause, zupfe und bläue. Gerade diese expressionistischen Elemente machen aber den besonderen Reiz des Tschaikowskyschen Violinkonzertes aus und das Bukarester Publikum konnte sich glücklich schätzen, in Remus Azo]ei einen Interpreten vernommen zu haben, der Expressivität nicht in Rohheit, Wildheit nicht in Unbeherrschtheit und Leidenschaft nicht in regellose Eruptivität abgleiten ließ.
Die Pause brachte dann einen überraschenden Szenenwechsel mit sich, denn das bis auf den letzten Platz besetzte Bukarester Athenäum war unmittelbar vor dem Beginn des zweiten Teils des Konzertabends nur noch zur Hälfte voll oder, besser gesagt, leer. Die Antipathie gegen zeitgenössische Musik hatte also ein deutlich sichtbares Zeichen gefunden, zumal nach dem Erklingen der ersten Töne der fünften Sinfonie Adrian Iorgulescus zusätzlich noch etliche bis dahin ahnungslose oder mit einem Mal verzagende Zuhörer überstürzt den Konzertsaal verließen, was umso bedauerlicher war, als es sich bei Adrian Iorgulescu doch um einen Landsmann handelte und die patriotische Höflichkeit solcherlei Manifestationen eigentlich nicht hätte zulassen dürfen. Immerhin blieben danach durchweg nur noch aufmerksame Zuhörer im Athenäum zurück, die sich auf die neuen, ungewohnten und zum Teil gewagten Klangerlebnisse bereitwillig einließen und sich so dem Fortschreiten der Musikgeschichte, auch und gerade der rumänischen, nicht von vornherein verschlossen.
Der 1951 in Bukarest geborene Komponist Adrian Iorgulescu ist seinen rumänischen Zeitgenossen nicht nur als Professor an der Nationalen Musikuniversität Bukarest sowie als Vizepräsident bzw. als Präsident der Union der rumänischen Komponisten und Musikwissenschaftler bekannt, sondern außerdem auch als Politiker: als Kultur- und Kultusminister der Jahre 2005 bis 2008 im Kabinett von C˛lin Popescu-T˛riceanu. Adrian Iorgulescu war bei der Aufführung seiner fünften Sinfonie im Bukarester Athenäum persönlich anwesend und konnte, gemeinsam mit Camil Marinescu und den Instrumentalisten der Philharmonie „George Enescu“, den Beifall für sein neues Werk selbst entgegennehmen.
Die fünfte Sinfonie Adrian Iorgulescus ist ein Werk in einem Satz, wenn auch nicht aus einem Guss. Es lassen sich im Ganzen drei Teile unterscheiden, wobei diese drei Teile durch zahlreiche motivische und dynamische Eigenarten eng miteinander verwoben sind. Markant ist das voluminöse Schlagwerk: Trommeln, Rasseln, Rätschen, Guiro, Röhrenglocken, Xylophon, Celesta und viele andere Schlaginstrumente mehr. Trotz des voluminösen Orchesterapparats eignet Iorgulescus fünfter Sinfonie über weite Strecken hinweg ein kammermusikalischer Charakter. Zahlreiche Instrumente kommen solistisch zum Einsatz, so insbesondere die erste Geige des Konzertmeisters und das Instrument des Stimmführers der Cellogruppe. Dann gibt es in diesem Werk auch immer wieder stark rhythmisierte Passagen im Stile der Sinfonien von Schostakowitsch, die das gesamte Orchester mit einbeziehen und das Gros der Instrumente lautstark zum Klingen bringen. In Erinnerung bleiben unter vielen anderen besonderen Hörerlebnissen die gläsern-schrillen Pianissimotöne in den höchsten Lagen der Violinen, die zu Anfang und am Ende der Sinfonie akustisch wahrnehmbar werden und die einen flirrenden Klangteppich bilden, auf den Tonfragmente und Geräuschrudimente verschiedener Blasinstrumente aleatorisch herabtropfen. Insgesamt also ein Werk, das man gerne noch einmal im Konzertsaal hören würde, auch gegen den Widerstand des an das Herkömmliche gewöhnten Abonnementpublikums im Bukarester Athenäum!