Der französische Geiger Philippe Graffin ist für das Bukarester Publikum kein Unbekannter. Beim Internationalen Musikfestival „George Enescu“ war er im September vergangenen Jahres mit einem Duoabend im Rahmen der Konzertreihe „Enescu und seine Zeitgenossen“ zu hören, bei dem er neben anderem auch Enescus Suite für Violine und Klavier „Eindrücke aus der Kindheit“ (op. 28) erklingen ließ.
Philippe Graffin ist bekannt für sein Interesse an selten aufgeführten Werken wie etwa den Violinkonzerten von Fauré oder Coleridge-Taylor, vor allem aber für seine besonderen Interpretationen zeitgenössischer Musikstücke. Zahlreiche Komponisten der Gegenwart, darunter der Litauer Vytautas Barkauskas, der Franzose Philippe Hersant, der Engländer David Matthews oder der Russe Rodion Konstantinowitsch Schtschedrin, haben ihm Werke gewidmet, die mit allen technischen und klanglichen Raffinessen zeitgenössischer Violinkunst bestückt sind.
Aus der Feder Schtschedrins stammt auch das „Concerto cantabile“ für Violine und Orchester aus dem Jahre 1998, das der Komponist dem russischen Geiger Maxim Vengerov gewidmet hat und mit dem Philippe Graffin in der vergangenen Woche sein Konzert im Bukarester Athenäum eröffnete. Das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ begleitete ihn dabei unter der Leitung des moldauischen Dirigenten Valentin Doni.
Das dreisätzige Werk Schtschedrins besticht durch seine ungewöhnliche Form. Wird bei Violinkonzerten traditionellerweise ein langsamer Satz von zwei schnellen eingefasst, so ist es bei diesem Werk gerade umkehrt: Der mittlere Allegro-Satz wird von dem langsamen Eröffnungssatz Moderato cantabile und dem langsamen Finalsatz Sostenuto assai umschlossen. Das Schtschedrinsche Werk stellt dabei höchste Ansprüche an den Solisten wie auch an das Orchester: Während die Tuttiviolinen ihre Saiten mit der Bogenstange bearbeiten oder Töne auf den Saitenabschnitten hinter dem Steg erzeugen, lässt die Solovioline linkshändige Pizzicati und künstliche Flageoletttöne erklingen, und nahe am Griffbrett gespielte Töne der Orchesterviolinen, die einen rauchigen, gleichsam unwirklichen Klang erzeugen, bilden das diffuse Fundament, auf dem sich immer wieder wellengleich die rasenden Läufe der Sologeige erheben und in es zurücksinken. Bei aller Modernität atmet dieses Werk jedoch insgesamt einen harmonischen Charakter, der Dissonanzen und Irritationen immer wieder auflöst und in Sanglichkeit überführt.
Das zweite Werk, das Philippe Graffin an diesem Abend im Bukarester Athenäum zu Gehör brachte, waren die „Fünf Melodien“ für Violine und Klavier (op. 35b) von Sergei Prokofjew aus dem Jahre 1925, die bereits eine Transkription von Vokalwerken (für Singstimme und Orchester bzw. Singstimme und Klavier, op. 35) vom Beginn der Zwanziger Jahre durch den Komponisten selbst darstellen. Prokofjew schuf dann von der zweiten der fünf Melodien (Lento, ma non troppo) eine Orchesterfassung, die Schtschedrin im Jahre 2007 durch die Orchestrierung der restlichen vier Sätze (Andante; Animato, ma non allegro; Andantino, un poco scherzando; Andante non troppo) zu einem kompletten Orchesterwerk ergänzte. Diese Orchesterfassung erklang dann im Bukarester Athenäum, wobei der romantische Geist der „Lieder ohne Worte“, die, von Mendelssohn herrührend, im Laufe der Musikgeschichte zu einer Genrebezeichnung geworden sind, auch in diesem Prokofjewschen Werk Schtschedrinscher Klangprägung spürbar war.
Als Zugabe und zugleich als Überleitung zum zweiten Teil des Konzertabends ließ Philippe Graffin seine venezianische Domenico Busano-Geige aus dem Jahre 1730 ein weiteres Mal erklingen, und zwar zusammen mit der Geige des Konzertmeisters und dem Kontrabass des Stimmführers der tiefsten Streichinstrumente der Philharmonie „George Enescu“. Sie führten ein launiges und humoristisches Trio von Johannes Brahms auf, das den großen Geiger und Brahms-Freund Joseph Joachim bei seiner herrischen Art zu proben parodiert und bei dessen Aufführung die Musikanten sogar einige Sätze auf Deutsch zu sprechen haben, bevor sie den musikalischen Spaß mit ihren Instrumenten ins Werk setzen. Dieses Musikstück bildete einen heiteren Kontrapunkt zu der traurigen Nachricht, die der französische Geiger zu Beginn des Konzertes dem Publikum mündlich übermittelt hatte: Sein betagter Geigenlehrer sei vor zwei Tagen in Paris bei einem Autounfall ums Leben gekommen, weswegen er ihm auch dieses Bukarester Konzert seligen Angedenkens widme.
Nach der Pause erklang dann der Klavierzyklus „Carnaval“ (op. 9) von Robert Schumann, ein romantisches Werk par excellence, diesmal jedoch nicht als Solostück, sondern als sinfonisches Opus in Vertonungen der russischen Komponisten Alexander Glasunow, Nikolai Rimski-Korsakow, Anatoli Ljadow und Alexander Tscherepnin. Der Komponist und Dirigent Valentin Doni, der in der Republik Moldau und Frankreich Musik studierte, danach zahlreiche Konzerte mit europäischen Orchestern gegeben und im Laufe seiner Karriere sämtliche philharmonischen Orchester Rumäniens dirigiert hat, brachte das zweiundzwanzigteilige Schumannsche Werk mit dem Untertitel „Scènes mignonnes sur quatre notes“ aus den Jahren 1834/35 mit großer Präzision, feinem Einfühlungsvermögen und vollkommen auswendig dirigierend zur Aufführung. Der überbordende Applaus ließ ihn diejenige der Orchesterszenen wiederholen, in der Harfe und Klarinette einen wunderbaren Zwiegesang anstimmten und den Abend beschaulich ausklingen ließen.