Dr. Dr. Gerald Volkmer, Historiker aus Kronstadt und stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) an der Universität Oldenburg, legt hier seine Dissertation von 2012 über „Die völkerrechtliche Stellung und Völkerrechtspraxis des Fürstentums Siebenbürgen 1541-1699“ im Rahmen der Schriftenreihe des Bundesinstituts und mit leicht geändertem Titel im Druck vor.
Die Bedeutung dieser Untersuchung liegt in der Natur der besonderen Position, in die das Gebiet Siebenbürgens durch die Konfrontation der christlich-europäischen Mächte mit dem muslimisch-osmanischen Reich nach der Schlacht von Mohács 1526 geraten war. Damit lag Siebenbürgen nicht nur an der Schnittstelle zweier Großreiche, sondern auch zweier völlig unterschiedlicher Systeme, was den Aufbau des Staates oder eben auch die Art der völkerrechtlichen Beziehungen betraf. Zeitlich parallel zum entstehenden Fürstentum Siebenbürgen vollzog sich für die christlich-europäischen Mächte der Übergang von der mittelalterlichen ständischen Ordnung zu den Staatsgebilden der Neuzeit.
Die siebenbürgischen Machthaber bewegten sich hier in einem Grenzbereich, wobei sie nach Anerkennung durch den Verband der christlichen Mächte der „res publica christiana“ strebten. In zehn Kapitel gliedert sich diese umfangreiche Arbeit, samt Anhang bestehend aus Karten, einer Regententafel, einer Auflistung der siebenbürgischen sowie der habsburgisch-osmanischen Verträge zwischen 1541 und 1699, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personen- und Ortsregister. Während der Fokus der Arbeit auf den völkerrechtlichen Beziehungen Siebenbürgens zu den christlich-europäischen Mächten liegt, wird die besondere Stellung Siebenbürgens zum osmanisch-muslimischen Rechtskreis in einem sich anschließenden Kapitel behandelt. Der Zeitraum 1541-1699 definiert für Volkmer, trotz zeitweiliger Rückeroberung durch die Habsburger und der kurzfristigen Personalunion mit dem Königreich Litauen-Polen unter Stefan Báthory, die Phase der größten Eigenständigkeit Siebenbürgens.
Einleitend werden im ersten Kapitel, neben Forschungsgeschichte und Vorausschau auf die Ziele der Arbeit, die theoretischen Voraussetzungen und zeitgenössischen völkerrechtlichen Entwicklungen erläutert. So bildet sich in der Frühen Neuzeit erst infolge der Entstehung des modernen Staates europäischer Prägung auch das sogenannte„ klassische Völkerrecht“ heraus. Die Völkerrechtspraxis, wie sie vor allem in den geschlossenen Verträgen zum Ausdruck kam, existierte unabhängig von theoretischen Ansätzen schon früher, aber auch hier begann sich eine Reglementierung der Vertragswerke zum Beispiel für die Schließung eines Friedensabkommens durchzusetzen. Verkürzt lässt sich dies durch die Frage verdeutlichen: Wer ist legitimiert, einen Vertrag zu schließen? Im Umkehrschluss: Wer Verträge schließt, verfügt also zumindest über ein gewisses Maß an Eigenständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit. An die Frage nach der Legitimation einer Herrschaft schließt sich die nach der Souveränität an. Wie frei ist ein Fürst in seinen Entscheidungen, beispielsweise über Krieg und Frieden?
Herausbildung des siebenbürgischen Staates nach 1526
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den nur partiell erfolgreichen Bestrebungen Johann Szapolyais, sich als von den ungarischen Ständen gewählter König gegenüber den Ansprüchen der Habsburger auf die Krone Ungarns durchzusetzen. Entscheidend für den weiteren Prozess war dabei, dass sich Szapolyai 1529 unter den Schutz des Sultans Süleyman als sein Vasall begab, der im Gegenzug ihn als König von Ungarn anerkannte. Ein Titel, der von den Osmanen auch für die künftigen Herrscher Siebenbürgens benutzt wurde. Damit besiegelte er die Suzeränität des Sultans, d. h. dass Siebenbürgen seine eigenständige Selbstverwaltung, das Recht auf freie Religionsausübung, aber nur unter Vorbehalt auch seine außenpolitischen Beziehungen eigenständig regeln durfte, solange es z. B. Tribute und Heeresfolge leistete und keine dem Osmanischen Reich nachteiligen Bündnisse einging.
Der 1538 mit dem Habsburgerreich geschlossene Friedensvertrag von Großwardein/Oradea, der Szapolyai die Königswürde nur auf Lebenszeit zuerkannte, wurde als Geheimvertrag geschlossen und von Szapolyai kurz vor seinem Tod – da er nun über einen Erben verfügte – einseitig aufgekündigt, was schließlich zu neuen Konfrontationen nach seinem Tod führte. Hauptsächlich widmet sich Volkmer vor diesem historischen Hintergrund der Darstellung der konfessionellen Umgestaltung im Zuge der Reformation und generell der Herausbildung einer verfassungsrechtlichen Ordnung Siebenbürgens. Besondere Bedeutung kommt hier auch dem Verhältnis des Herrschers zu den Ständen zu, aber auch der Umsetzung von Verträgen und der Wahrung der Privilegien, wie der Religionsfreiheit oder auch des Rechts, Gesandte zu entsenden.
150 Jahre im Spiegel der völkerrechtlichen Verträge mit der „res publica christiana“
Chronologisch geordnet in sechs Kapitel (III.- VIII.), deren Inhalt jeweils in einer analytischen Zusammenfassung gebündelt wird, einsetzend mit der Statthalterschaft des Großwardeiner Bischofs Georg Martinuzzis 1541 über die Regentschaft der Familien der Szapolyai, Báthory, Rákóczi und der Regierung unter Gabriel Bethlen bis zum Niedergang unter dem Fürsten Apafi und schließlich mit dem endgültigen Aufgehen in das Habsburgische Reich 1699 endend, analysiert Volkmer die sich in Verträgen manifestierenden Abläufe und völkerrechtlichen Praktiken. Mit der Fokussierung auf diese Vertragswerke, also die Zessions-, Friedens-, Bündnis- und Nachbarschaftsverträge, die Siebenbürgen beispielsweise mit den Habsburgern, Frankreich, England und Schweden oder der Walachei und Moldau traf, schließt Volkmer gleichzeitig eine Forschungslücke, da diese bisher mit partiellen Ausnahmen noch nicht Gegenstand völkerrechtlicher Gesamtdarstellungen waren.
Um die Frage der Stellung Siebenbürgens innerhalb bzw. im Verhältnis zum jeweiligen christlich-europäischen bzw. muslimisch-osmanischen Herrschaftsbereich zu klären, sind Titel und Rang, wie sie in den unterschiedlichen Verträgen auftauchen, ein maßgeblicher Indikator. König von Ungarn, Statthalter, Herzog oder Reichsfürst von Siebenbürgen, die in den Verträgen aber auch im diplomatischen Verkehr benutzten Titel, sagen oft etwas über die Über- bzw. Unterordnung der angesprochenen Potentaten, damit oft auch über den Charakter ihres Herrschaftsgebiets aus.
Exemplarisch sei hier auf das für das Schicksal Siebenbürgens bedeutende und von Volkmer minuziös geschilderte und interpretierte Vertragsverfahren, von den politischen Rahmenbedingen über den Verhandlungsverlauf bis zur endgültigen Ratifizierung durch die Stände, den Kaiser und den Sultan hingewiesen. Für die völkerrechtliche Anerkennung von Stefan Bocskai im Friedensvertrag von Wien 1606 durch den Kaiser Rudolf II. war die Anrede als „Reichsfürst und Fürst von Siebenbürgen, Graf der Szekeler und Herr ( nicht Fürst!) einiger Teile des Königreichs Ungarn“ bezeichnend. Während die Suzeränität des Sultans weiterhin bestand, der Bocskai nur ein Jahr zuvor in dieser Eigenschaft die Krone von Ungarn verliehen hatte – einen Titel, den er nur noch gegenüber dem Sultan, jedoch nicht gegenüber dem Kaiser führen durfte, da er vertragsgemäß nun den Habsburger als König von Ungarn anerkannte –, konnte er durch den verliehenen Titel „Reichsfürst“ die Abtrennung des Fürstentums Siebenbürgen von Ungarn als eigenständige Herrschaft besiegeln. Dies wiederum ermöglichte es Bocskai, bei den sich anschließenden osmanisch-habsburgischen Friedensverhandlungen als eigenständige Partei zu agieren, was einer Anerkennung der Unabhängigkeit Siebenbürgens de facto gleichkam.
Die Kapitel, die sich mit dem Fürsten Gabriel Bethlen und der Rákóczi-Dynastie befassen, charakterisieren deren Herrschaft „im Windschatten der Hohen Pforte“ als „Konsolidierung“ oder sogar als „Entfaltung“ fürstlicher Macht. Dies erklärt zum Teil die unter dieser Prämisse stehenden zunehmenden internationalen Engagements, wie sie mit der Beteiligung Siebenbürgens am Dreißigjährigen Krieg und den entsprechenden Bündnisverträgen gegeben waren, da sie wegen der konfessionellen konträren Ausrichtung sich meist mit einer antihabsburgischen Haltung verbanden. Die Spielräume, die sich für die Fürsten Siebenbürgens im Verhältnis zum Habsburger und Osmanischen Reich ergaben, werden von Volkmer in den entsprechenden Vertragstexten ausgelotet. Parallel dazu verschob sich auch die Stellung gegenüber den benachbarten Gebieten, wie der Walachei oder der Moldau. Allerdings wurde unter der Herrschaft Georg II. Rákóczis der Zenit siebenbürgischer Unabhängigkeit überschritten, da hier mit dem Feldzug gegen Polen als Bündnispartner Schwedens Grenzen der vom Sultan gewährten Bündnisfreiheit verletzt wurden, was den Verlust der Schutzmacht des Sultans und infolgedessen den Verlust der eigenen Herrschaft nach sich zog.
Der somit eingeleitete Niedergang führte zu den volatilen Regentschaften, Gegenkönigen und Gegenfürsten. Die sich zuspitzende Konfrontation zwischen Habsburger und Osmanischem Reich ließen die außenpolitischen Spielräume so weit schrumpfen, dass die nun mit den zunehmend siegreichen Habsburgern geschlossenen Verträge letztlich die Eingliederung in das Habsburgerreich zur Folge hatten. Der schrittweise in den Verträgen zur Truppenstationierung dokumentierte Prozess mündete mit dem Leopoldinischen Diplom von 1691, das dem Kaiser alle Hoheitsrechte des Fürstentums noch vor dem mit dem osmanischen Reich geschlossenen Friedensvertrag von 1699 sicherte, in der Anerkennung des Kaisers als König von Ungarn und der Beendigung Siebenbürgens als „handelndes Subjekt“ des Völkerrechts.
Aspekte der islamisch-osmanischen Völkerrechtsordnung
Die Grundzüge des Staats- und Völkerrechtsverständnisses und des Rechtsverständnisses, wie es sich beispielsweise aus der shari’a innerhalb des Osmanischen Reiches ergab, die Geschichte der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen muslimischen und christlichen Völkern seit dem Mittelalter und konkret des siebenbürgischen Vasallenstaates zu seinem osmanischen Suzerän werden einleitend vorgestellt. Daran schließt sich eine genauere Untersuchung zur völkerrechtlichen Stellung Siebenbürgens innerhalb der osmanisch-habsburgischen Verträge des 16. und 17. Jahrhunderts an.
Hier sei nur beispielsweise angeführt, dass der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif, aber auch als Rechtsnachfolger des byzantinischen Kaisers den Kaisertitel des Heiligen Römischen Reiches nicht anerkannte, diesen also höchstens als König von Wien bzw. Ungarn anredete. Erst in dem oben erwähnten Vertrag von 1606 wurde das Kaisertum des Habsburger Reiches erstmals vertraglich anerkannt. Vor dieser Zeit konnten auch keine Friedensverträge, sondern allenfalls Waffenstillstandsverträge von begrenzter Zeit mit nichtmuslimischen Staaten eingegangen werden.
Ausgehend von der Vorstellung, alle Staaten in die beiden Kategorien des „Haus des Islam“(dâr al-Islam) und „Haus des Krieges“ (dâr al-harb) einzuteilen, konnten Ungläubige nicht als gleichberechtigte Vertragspartner akzeptiert werden. Dieser fundamentale Dualismus begann sich jedoch gerade auch durch die neu zu treffenden Vereinbarungen mit Vasallenstaaten wie die eines Johann Szapolyai insofern aufzuweichen, da dieser sich den obengenannten Kategorien nicht zuordnen ließ und die islamischen Rechtsgelehrten neue Rechtsformen fanden: beispielsweise mit dem „Haus des Paktes“ (dâr al-’ahd) und, konkret auf das Verhältnis zu Siebenbürgen angewandt, das unter Szapolyai eingeführte „Haus des Waffenstillstands“ (dâr al-muwâda’a) und nach 1541 das „Haus der Tribut-Schutzbefohlenen“ (dâr ad-dhimma). Weitere Differenzierungen ergaben sich auch zu anderen Gebieten wie der Walachei oder der Moldau, die in ihrem Verhältnis zu Siebenbürgen vom Sultan als nachgeordnet betrachtet wurden, was sich auch in dem im Rang niedriger stehenden Titel Woiwode widerspiegelte. Zumindest gleichrangig erschienen die siebenbürgischen Fürsten in ihrem Verhältnis zu den Paschas der dem Osmanischen Reich eingegliederten ungarischen Provinzen.
Bis zu dem Vertrag von Zsitvatorok 1606 war die Position des Osmanischen Reiches gegenüber den christlichen Mächten die dominante, die weitestgehend auch die Form diktieren konnte. Dem hier als „Wendepunkt“ in den Beziehungen bezeichneten Friedensvertrag schenkt Volkmer daher im Gegensatz zu den summarisch behandelten habsburgisch-osmanischen Verträgen des 16. und 17. Jahrhunderts noch einmal gesonderte Aufmerksamkeit. Die schwierigen Verhandlungen zu diesem ersten Friedensschluss, bei denen sich Kriegsmüdigkeit und gegenseitiges Misstrauen die Waage hielten und selbst nach Vertragsabschluss, bedingt durch verschiedene Textversionen – nicht zuletzt ging es darum, ob die üblichen jährlichen Tributzahlungen an den Sultan durch eine Einmalzahlung ersetzt werden konnten –, die endgültige Ratifikation um Jahre hinausgezögert wurde, erbrachten dennoch ein erstaunlich belastbares und langlebiges Ergebnis. Für Siebenbürgen bedeutete dies, obwohl es beide Seiten als Oberhoheit in ihrem jeweiligen System anerkennen musste, einen Zuwachs an Eigenständigkeit. Bis zum Frieden von Karlowitz 1699, der den Vasallenstatus Siebenbürgens gegenüber dem Osmanischen Reich endgültig beendete, aber auch seine wenn auch eingeschränkte Souveränität, sollten sich die Positionen im Gegensatz zum 16. Jahrhundert nahezu umkehren. Form und Ausgestaltung des Friedensvertrags hatten sich nun nach den christlich-europäischen völkerrechtlichen Vorstellungen zu richten.
In seinen Schlussbetrachtungen betont Volkmer noch einmal die schwierige völkerrechtliche Stellung Siebenbürgens als offen oder verdeckt agierender Diener zweier Herrn. Erst die Aufwertung des Fürsten Báthory durch die in Personalunion erlangte Königswürde über Polen setzte einen Prozess in Gang, der schließlich zur Loslösung vom Königreich Ungarn und Anerkennung des Fürstentums Siebenbürgen durch die christlichen Mächte führte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stieg Siebenbürgen zu einem souverän agierenden Fürstentum auf, was sich beispielsweise in seiner Partei-nahme im 30-jährigen Krieg und Inklusion in die Vertragsverhandlungen des „westfälischen Friedens“ äußerte, trotz weiterbestehender Suzeränität des Sultans und zumindest zeitweilig der des habsburgischen ungarischen Königs. Volkmer konzediert Siebenbürgen in dieser Zeit, d. h. bis 1657, den Status einer „mittelgroßen Macht mit europaweiten politischen Vernetzungen“ (S. 584). Allerdings wandelte sich sein Status vom „Subjekt zum Objekt des Völkerrechts“ (ebenda) rasch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vor allem, neben eigenem Verschulden, durch den sich zuspitzenden Konflikt der beiden Großmächte. Als positiv in diesem Zusammenhang bewertet Volkmer den Umstand, dass Siebenbürgen die in den 150 Jahren gewachsenen Strukturen der Selbstverwaltung und ständischen Rechte auch als Kronland des „Hauses Österreich“ erhalten konnte.