Das Licht am Ende des Tunnels

Sieben Erkenntnisse zum Nachdenken nach einem schweren Pandemiejahr

Wir sind die Generationen, die ohne Krieg aufwuchsen – die vom Glück Verwöhnten. Fast schon scheint es ein Anspruch zu sein, dass es uns immer besser gehen muss, dass wir in Frieden leben und alle Chancen für die Zukunft offen stehen.  Beinahe haben wir vergessen, dass unsere Vorfahren für den Frieden, den Fortschritt, den Wohlstand, für Demokratie und Chancengleichheit hart gekämpft und viel geopfert haben. Nun also ist unsere Herausforderung gekommen: die Pandemie. Wie gehen wir damit um? Begeben wir uns klagend in die Opferrolle, begehren gegen Einschränkungen auf? Oder gibt es nach einem schweren Pandemiejahr auch konstruktive Erkenntnisse, die man für sich persönlich umsetzen kann?

Bei den Hopi-Indianern gibt es das Ritual des Übergangs: Der werdende Schamane verbringt eine Zeit lang allein in der Natur, schutzlos den Gefahren ausgeliefert. Wenn er sich dort seinen Ängsten und Schwierigkeiten stellt, erlangt er eine höhere Weltsicht. Könnte die Pandemie ein solcher Übergang sein? Welche Erkenntnisse hat sie uns gebracht, um das Licht am Ende des Tunnels wieder aufleuchten zu lassen?

1. Nichts ist selbstverständlich

Das erste Lehrstück lautet: Nichts ist garantiert. Nichts währt ewig. Das ignorante Verhalten der Menschheit in Bezug auf die Natur präsentiert uns jetzt die Rechnung: der Klimawandel hat eingesetzt, die nächsten Pandemien stehen in den Startlöchern.

 Erkenntnis: Wir müssen diese Welt ändern, sonst wird sie sich über unsere Köpfe hinweg ändern! Zeit, sich für Ideale einzusetzen: Naturschutz, soziale Gerechtigkeit, Demokratie. Mahatma Gandhi forderte auf: Sei du die Veränderung, die du in der Welt sehen willst. Egal, an welchem Ende man es anpackt, als Unterstützer einer sozialen oder Umweltinitiative, als gutes Beispiel im Alltag, als Reformer des eigenen Konsumverhaltens, ob man Müll sammelt, auf schädliche Putzmittel verzichtet oder Bäume pflanzt, keine einzelne Tat ist zu klein, um nicht in der Summe ins Gewicht zu fallen.

2. Jede Not bringt ihre Lösungen

Die Pandemie brachte viele Schwierigkeiten – aber auch unzählige Lösungen. Manche erweisen sich  gar als revolutionär im Alltag: Telearbeit, Telemedizin, virtuelle Meetings und digitale Apps zum interaktiven Kommunizieren, Bezahlen, Bestellen, Planen. Die Mehrzahl der Menschen wünscht sich auch nach der Pandemie mehr Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Das reduziert Abgase, entzerrt den Stau, spart Büroraum, ist familienfreundlicher, spart Zeit. Auch aus dem Dorf kann man per Internet auf den Bürocomputer zugreifen, Rechnungen bezahlen oder Steuerschulden einsehen. Der Online-Versand boomt. Man muss nicht wegen jeder Besorgung selbst in die Stadt, der Kurier klappert eine Strecke für viele Lieferungen ab. Sogar Bio-Produkte vom Land lassen sich per App bestellen. Vieles kann noch verbessert werden. Doch ein Umdenken hat definitiv stattgefunden!

3. Die Schläue der Natur nicht unterschätzen

Die dritte Lektion lieferte uns die Natur: Im Umgang mit der Pandemie haben wir ihre Schläue gewaltig unterschätzt! Man hätte die Verbreitung des Virus viel früher massiv unterbinden müssen. Denn die Entstehung von Mutanten, die die Wirksamkeit der Impfungen jetzt gefährden, ist umso wahrscheinlicher, je verbreiteter der Virus ist. Durch die ungleiche oder zu langsame Impfkampagne wird er jetzt unter enormen Selektionsdruck gesetzt. Resistente Varianten verbreiten sich bevorzugt.

Wir befinden uns in einem Wettrennen mit der Natur. Wird die Impfkampagne rechtzeitig greifen? Doch wenn sich reiche Länder auf Kosten ärmerer den Löwenanteil der Impfdosen sichern, werden letztere zur „Brutstätte“ neuer Mutanten. Dann beginnt alles (fast) von vorn.

Und es könnte noch schlimmer kommen: Wissenschaftler befürchten, dass sich der Virus in der freien Wildbahn über mehrere Spezies unkontrollierbar ausbreiten könnte. Dann könnte er zwischen Tier und Mensch hin und her springen und dabei immer neue Mutationen aufnehmen.

4. Massentierzucht muss enden

Manche Tiere sind in dieser Hinsicht besonders anfällig: Nerze stecken sich leicht mit Covid-19 an, außerdem büchsen sie aus Zuchten gerne mal aus und können dann Wildtiere infizieren. Dass Viren mit gefährlichen Mutationen zwischen Menschen und Zuchttieren wechselten war der Grund, warum auf niederländischen Nerzfarmen Millionen Tiere gekeult werden mussten. Ein Glück, dass Schweine nicht anfällig für Coronavirus sind – aber halt, kein vorzeitiges Aufatmen! Auch Grippeviren, die Schweine befallen, könnten zu gefährlichen Varianten mutieren. Ähnlich verhält es sich mit Vögeln. Massentierzuchten sind generell besonders anfällig als Ausgangspunkt für Pandemien.

Kürzlich berichtete die WHO, man habe nach monatelangem Suchen in China nun den wahrscheinlichen Ursprung der Coronavirus-Pandemie identifiziert: Eine Wildtierzucht in der Provinz Yunnan, die den Wet Market in Wuhan belieferte. Fledermäuse hatten die dort gezüchteten verschiedenen exotischen Tiere mit dem Coronavirus infiziert. In welchem Tier genau die Variante entstand, die „gelernt“ hat, sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten,  ist noch unklar.
Massentierzucht muss aber auch aus Klimaschutzgründen enden. Ist es Zufall, dass die EU gerade jetzt Insekten als Lebensmittel akzeptiert und die Ernährung mit künstlichem Fleisch propagiert wird?

Wiederkäuer, vor allem Rinder, tragen am meisten zu globalen CO2-Produktion bei, heißt es auf Our World in Data. Und: Wenn der Mensch nur seinen Konsum an Rindfleisch und Milchprodukten stark einschränkt, ist der Effekt fast so groß wie bei totalem Verzicht auf Fleisch. Außerdem benötigen Wiederkäuer Weideland, was Rodungen von Urwäldern fördert. Und genau dort, an der Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Wildnis, ist die Gefahr für das Überspringen neuer Viren am größten.

5. Konsum-Egoismus ade!

Die Ressourcen auf diesem Planeten sind begrenzt. Trotzdem können manche den Hals nicht voll genug kriegen. 2017 titelte Oxfam: Acht Männer besitzen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Welt. Seit dem Bericht des Club of Rome 1971 („Die Grenzen des Wachstums“) wissen wir, dass es mit dem Wachstum so nicht weiter gehen kann. Warum wird dann immer noch Konsum auf Teufel komm raus gepredigt?

Wenn wir Kriege vermeiden wollen, muss die Welt gerechter werden – und demokratischer. Denn Naturschutz und Nachhaltigkeit lässt sich in Demokratien besser durchsetzen, diktatorische Regierungen haben daran wenig Interesse.
Was aber kann der Einzelne tun? Durch bewusstes Konsumverhalten den Markt steuern: Ware aus fairem Handel bevorzugen, auf umweltschädliche Produkte verzichten, Downsizing im Lebensstil. Für manche ist dies bereits eine Lebensphilosophie, siehe Tiny House-Bewegung oder Vegetarier, für andere zumin-dest ein Hobby. Natürliche Putzmittel kann man selber machen, alte Klamotten kreativ umgestalten, mit dem Rad zur Arbeit fahren oder statt Flugreisen öfter Outdoor-Urlaub machen. Entsagen kann auch eine Form von Glück sein! Das gute Gefühl kompensiert, worauf man verzichtet.

6. Den Wert der Arbeit achten

Welche Berufe sind wichtig? Und welche bringen das meiste Geld? Was die wirklich essenziellen Berufe sind, haben wir während der Pandemie erfahren: Nichts geht ohne Bauern, Müllabfuhr, Verkäufer oder Krankenpfleger, die können auch nicht im Homeoffice arbeiten. Wir sollten diese Leistungen wieder schätzen lernen und dankbar sein, dass es sie gibt. Der wahre Wert der Arbeit muss sich aber auch im Gehalt reflektieren!

7. Der Sinn von Leben und Tod

Die Pandemie führt uns die Endlichkeit des Lebens vor Augen. Doch was, wenn es nicht endlich wäre? Das Leben schränkt mit jeder getroffenen Entscheidung ein, die Wahlmöglichkeiten werden immer enger. Es mag ein schwacher Trost sein, aber wir brauchen den Tod als Resetknopf für Neues. Was wir dann zu „erleben“ erwarten, hängt von unserem Glauben ab. Aber alle Religionen behaupten, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht. Berichte von Nahtoderlebnissen unterstützen die Idee, dass das Bewusstsein nicht nur Produkt eines Neuronengewitters im Gehirn ist. Wünschen wir uns also wirklich Unsterblichkeit? Oder seelische Unzerstörbarkeit: Sicherheit?

Und was wollen wir vom Leben? Auf jeden Fall wollen wir es bewusst und intensiv erleben: Abenteuer, Unterhaltung, Genuss. Wenn die Auflagen zur Pandemiebekämpfung dies einschränken,  kann Erleben aber auch durch Spiritualität, Schönheit oder Liebe geschehen. Gewaltige Musik, erhabene Naturformationen, der Zauber eines Blumengartens, tanken die Batterien  auf. Erkenntnis: Wir brauchen das Schöne ebenso sehr wie das Nützliche!

Was wir noch unbedingt vom Leben erwarten, ist Sinn. Aber was ist das, Sinn? Sinnhaftigkeit empfindet man, wenn man sich und sein Umfeld frei und kreativ gestaltet, der Außenwelt einen persönlichen Fußabdruck aufprägt, etwas Einzigartiges hinterlässt. So hat Sinn sowohl mit  Schaffen als auch mit Kommunikation zu tun: Das Ich wechselwirkt mit dem Nicht-Ich, beide verändern sich, entwickeln sich weiter, ein Geben und Nehmen. So entsteht in der Summe etwas Höheres als der Einzelne zuwege bringt. Wenn all diese Faktoren zusammenkommen, empfindet der Mensch Glück.

Manchmal ist es Geld, das die Illusion von Sicherheit beschert, das schnelle Auto die Illusion von Abenteuer, das aufgebaute familiäre oder berufliche Machtgefüge die Illusion von Sinn. Zusammen mag dies starke Glücksgefühle auslösen. Doch diese Art von Glück bedroht der Tod.

Wenn wir die Pandemie  als Übergang akzeptieren, um zu einer höheren Weltsicht zu gelangen, müssen wir Glück suchen im Bewusstsein einer ewigen Seele, die sich nicht mit billiger Befriedigung durch Konsum und Unterhaltung abspeisen lässt, sondern die Welt sinnvoll mitgestaltet. Denn das Licht am Ende des Tunnels, das wir alle so sehr herbeisehnen, sind wir selbst.