eLibrăria – die digitale Hörbuchbibliothek

Eine Hilfe für Lyzeumsschüler mit Seh- und Hörbehinderung

Bianca Avram, Raul Balmez, Alex Brăteanu, Alex Boariu, Mara Bulzan, Roxana Buruian, Carla Hengelman und Roxana Keller, eine Gruppe Schülerfreiwilliger des „C.D. Loga“-Lyzeums, haben beim Vorlesen der Werke aus der rumänischen Literatur geholfen. | Fotos: Sfera Timișoarei

Die „eLibrăria“-Plattform bietet Hörbücher zu den wichtigsten rumänischen Literaturwerken aus dem Lehrplan für das Bakkalaureat. Auch Videoaufnahmen von sogenannten „Rumänisch-Stunden“, übersetzt in Zeichensprache, sind von der Plattform kostenlos abrufbar.

Eine weitere Schülergruppe des Loga-Lyzeums und der Kunstschule Temeswar hat die grafische Darstellung der jeweiligen Werke auf der Plattform erstellt.

Online-Unterricht ist seit fast zwei Jahren eine Realität für Schüler überall auf der Welt. Welchen Hindernissen rumänische Schüler in dieser Hinsicht begegnen, sind schon bekannte Fakten. Uns allen fällt es schwer, uns an den neuen Alltag anzupassen. Doch wie ist es erst für benachteiligte Gruppen? Wie können Schüler mit Seh- oder Hörbehinderung am Online-Unterricht teilnehmen und sich für die anstehende Bakkalaureat-Prüfung vorbereiten? Zumindest wenn es um rumänische Literatur geht, haben rumänische Schüler ab nun Zugang zu einer neuen digitalen Bibliothek mit Hörbüchern und sogar gefilmten Rumänisch-Unterrichtstunden, die in Zeichensprache übersetzt wurden. 

Die eLibrăria-Plattform wurde vom Temeswarer Verein „Sfera Timișoarei“ gegründet. Zur Entstehung haben Schüler aus dem „Constantin Diaconovici Loga“-Lyzeum sowie Schriftsteller, Dichter und Professoren aus Temeswar/Timișoara beigetragen. Die Plattform ist ursprünglich als Hilfe im Unterricht für die Schüler des Temeswarer „Iris“-Lyzeums für Sehbehinderte entstanden. Mittlerweile kann sie kostenlos von allen Schülergruppen via Webseite oder Smartphone-Anwendung abgerufen werden. 

„O scrisoare pierdută“ von I. L. Caragiale, „Ion“ von Liviu Rebreanu, Mihai Eminescus „Luceafărul“, „Eu nu strivesc corola de minuni a lumii“ von Lucian Blaga oder Mircea Eliades „Maitreyi“ sind nur einige der Werke, mit denen Generationen von rumänischen Schülern konfrontiert wurden. Insgesamt 55 Werke aus der rumänischen Literatur sind nun auf einer digitalen Plattform kostenlos abhörbar. Alle Werke sind Teil des Lehrplans für die rumänische Abiturprüfung. 

eLibraria.ro wurde speziell für Schüler gedacht und konzipiert. Die Plattform ist sowohl per PC und Laptop als auch mit Smartphones via eLibrăria-App zugänglich. Obwohl die digitale Bibliothek ursprünglich als Instrument für Schüler mit Sehbehinderung gedacht wurde, ist sie für alle Schüler rumänienweit, die online studieren, geeignet. 

„Das ist unser Pandemieprojekt – obwohl die Idee schon vor der Pandemie entstanden ist“, sagt Oana Grimacovschi, Projektmanagerin von „eLibrăria“. Das Konzept wurde Ende des Jahres 2019 ins Leben gerufen. Der „Sfera Timișoarei“-Verein setzt sich schon seit Jahren für Bildung ein. Die Tendenz in Richtung Technologie kann man überall bemerken. Dass die Literatur und der Unterricht für Schüler durch Technologie attraktiver gestaltet werden kann, das haben die Vereinsmitglieder im Laufe der Jahre beobachtet. „Wir müssen realistisch sein und einsehen, dass die Schüler in unseren Zeiten Technologie als Freund im Alltag einsetzen können. Sie lesen vielleicht weniger als wir vor einigen Jahren, Hörbücher werden nun bevorzugt. Wenn wir allein an die Schüler des Iris-Lyzeums denken, wie schwer es ihnen fällt, Romane in Braille-Schrift zu lesen, dann verstehen wir umso mehr ihre Begeisterung, all diese Werke nun in der Variante von Hörbüchern zugänglich zu haben“, setzt die Projektmanagerin fort. 

Vor dem tatsächlichen Start des Projekts beteiligten sich rund 500 Schüler an einer Umfrage des Vereins innerhalb des „C.D. Loga“-Lyzeums Temeswar. Infolge dieser ist auch die Zusammenarbeit mit den Schülern entstanden. „Wir haben uns sehr gefreut, dass Schüler bereit waren, sich freiwillig für ihre Kollegen mit Sehbehinderung einzusetzen. Die Freiwilligen sind in ihrer Freizeit und sogar in den Sommerferien fast täglich zu den Aufnahmen gekommen. Das Programm war umfangreich. Denn vor den tatsächlichen Aufnahmen wurden auch Kurse für die freiwilligen Helfer organisiert. Wir haben ihnen Kommunikations-, Improvisations- und Aussprachekurse geboten. So konnten sie vollständige Romane vorlesen und genau das ist das Besondere daran, man bietet Schülern Texte mit den Stimmen anderer Schüler, so als würden sie selber lesen“, erzählt Oana Grimacovschi. 

eLibrăria: Stoff für Schüler und Lehrer in der Pandemie

Die tatsächliche Arbeit am Projekt hat Anfang vergangenen Jahres begonnen. „In der Zwischenzeit ist die Pandemie gekommen und wir haben verstanden, dass unser Projekt Lernmaterial für alle Schüler im Online-Unterricht bieten kann. Dadurch wird nicht nur Schülern geholfen, sondern auch Lehrer haben eine Hilfe im Unterricht“, sagt die eLibrăria-Projektmanagerin. 

Von der Idee einer digitalen Hörbuchbibliothek ausgehend haben sich weitere Ideen entwickelt. Die Schüler waren diejenigen, die vorschlugen, das Projekt mit Aufnahmen aus dem Unterricht, die in Zeichensprache übersetzt werden, zu vervollständigen, so dass auch Schüler mit Hörbehinderung davon profitieren können. Die Projektinitiatoren bieten nun einen Einblick in die Literaturwelt durch die Augen von Persönlichkeiten der Temeswarer Kultur- und Literaturszene. Autoren und Professoren, wie Adriana Babeți, Marcel Tolcea, Robert Șerban, Mihaela Tilincă und Brândușa Armanca haben bisher die Einladung angenommen und bieten bereits die ersten Rumänisch-Lehrstunden im digitalen Format auf der Plattform an. Sie liefern dadurch einen persönlichen Blickwinkel auf die klassischen Werke der rumänischen Literatur. So spricht zum Beispiel der Temeswarer Dichter und Schriftsteller Robert Șerban über Gedichte von gestern und heute oder der Universitätsprofessor Marcel Tolcea über Mircea Eliades Roman „Maitreyi“. Die Schriftstellerin Adriana Babeți nimmt die Schüler virtuell an der Hand und lädt sie in ihr Zuhause ein. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch vor die Schreibmaschine, an der sie für den Roman „Femeia în roșu“ gearbeitet hat. Der Roman, deren Koautorin sie neben Mircea Nedelciu und Mircea Mihăieș ist, ist seit wenigen Jahren im Lehrplan für die rumänische Reifeprüfung wiederzufinden. „Man hat so viele Leben, wie viele Bücher man liest“, beginnt Adriana Babeți die virtuelle Begegnung mit den Schülern. „Diese Stunden verlaufen anders als herkömmlicher Unterricht in der Schule. Wir nehmen uns dabei vor, eine Stütze für die Schüler, aber auch für die Lehrer zu sein. Dies soll eine etwas andere Perspektive auf die Literatur bieten – die Perspektive des Autors. Dass unsere Idee sich großen Erfolgs erfreut, zeigt uns die Anzahl von Zugriffen: rund 4000 schon am ersten Tag, an dem wir ein Video hochladen“, erzählt die Projektmanagerin Oana Grimacovschi. 

Schüler helfen Schülern

„Diese App ist für mich sehr hilfreich, denn so kann ich überall und wann auch immer ‚lesen‘ und mich so für den Schulunterricht und für das Bakk vorbereiten“, sagt Maria, eine Schülerin mit Sehbehinderung an der „Iris“-Sonderschule Temeswar. Carla, eine Schülerin des „C.D. Loga“-Lyzeums, die sich für die Gestaltung der Hörbuchbibliothek freiwillig engagiert hat, erzählt: „Ich habe ‚Mara‘ von Ioan Slavici vorgelesen. Für mich war das eine lange und herausfordernde Lektüre. Ich habe gelacht und geweint, ich habe tatsächlich durch die Gestalten des Buches gelebt.“ 

Raul ist ebenfalls Schüler des Loga-Lyzeums. Seit Beginn des eLibrăria-Projekts hat er sieben literarische Werke aufgenommen, darunter Mihai Eminescus „Scrisoarea a IV-a“ und „Scrisoarea a V-a“ sowie Octavian Gogas Gedichte „Noi“ und „Rugăciunea“. Als Freiwilliger in diesem Projekt erkannte Raul erst, wie viel Glück er hat, sehen zu können. „Ich war sehr motiviert von der Tatsache, dass in Folge meiner Arbeit Schüler mit Sehbehinderung diesen literarischen Werken vielleicht zum ersten Mal begegnen. Am Ende eines Aufnahmetages war ich sehr froh, dass wir alle daran gearbeitet haben, so dass eine Klasse an der Iris-Schule uns zuhören und letztendlich damit lernen kann“, sagt der Schüler. „Für mich ist eLibrăria ein Projekt für die Seele. Diese Initiative ist mehr als nur eine digitale Bibliothek. Sie ist eine offene Tür zur Märchenwelt für diejenigen, die selbst nicht direkt in einem Buch lesen können. Die ausgewählten Werke sind wirklich interessant, aber mit viel Arbeit und noch mehr Leidenschaft entsteht Magie“, schließt sich Mara, eine weitere Schülerfreiwillige, an. „Ich gebe zu, dass ich zunächst nicht verstand, wie unsere Stimmen diese klassische Schriften attraktiver machen könnten. Mir wurde jedoch klar, dass der Enthusiasmus der Jugendlichen genau das ist, was diesen Büchern fehlt. Und wir bleiben entschlossen dabei. Wir alle kämpften mit der Intonation, den Archaismen, den seltsamen Namen und den verworrenen Phrasen und wiederholten sie, bis wir es schafften, den Text so zu reproduzieren, wie wir ihn gerne gehört hätten. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich jemanden treffe, der von eLibrăria erfahren hat, das auch weil ein Hörbuch mehr kommuniziert als nur die vom Autor gewählte Botschaft: Es übermittelt auch Teile der Gefühle der Person, die hinter der Stimme steckt“, schließt Mara. 

Die grafische Darstellung der Werke auf der Plattform ist ebenfalls die Arbeit von Schülern. Mitglieder des Kunstclubs LogArt des „Loga“-Lyzeums und Schüler der Kunstschule Temeswar haben diese erstellt. 

„In der eLibrăria-App kannst du die Werke, denen wir eine Stimme verliehen haben, entdecken. Auf der Stelle bekommen diese Romane und Gedichte einen lebendigen Touch. Lade die App herrunter! Setz die Kopfhörer auf! Angenehmes Reinhören und viel Erfolg beim Bakk!“ lautet die Zusammenstellung der freiwilligen Schüler auf der Youtube-Seite des „Sfera Timișoarei“ Vereins.

eLibrăria ist ein Projekt, das von der Verwaltung des Nationalen Kulturfonds (AFCN), dem Temescher Kreisrat und dem Temeswarer Bürgermeisteramt finanziert wird und ist in Zusammenarbeit mit dem Theoretischen Sonderlyzeum „Iris“, dem „C.D. Loga“-Lyzeum und dem Kunstlyzeum Temeswar entstanden. Partner waren auch die Buchhandlungen „Cărturești“ und „La Două Bufnițe“ sowie der „Humanitas“-Verlag und die Kunst- und Kulturräume FABER und Kunsthalle Bega. 

Die literarischen Werke von Lucian Blaga und Mircea Eliade im Audioformat sind eine Premiere in der aktuellen Kulturlandschaft. „Gemeinsam mit unseren Partnern aktualisieren wir die digitale Bibliothek ständig mit neuen rumänischen Autoren, um das ‚Lesen‘ von rumänischen Büchern unter Lyzeumsschülern zu fördern“, schließt Oana Grimacovschi.

Im Gegensatz zu kommerziellen Hörbüchern, können diese Audiobücher nicht heruntergeladen, sondern nur von der Plattform abgespielt werden. Die digitale Hörbuchbibliothek ist gratis von der Webseite elibraria.ro abrufbar. Kostenlos kann man auch die „eLibrăria“-App von Google Play und App Store herunterladen.