Gnade für falsche Revolutionäre

Justizbehörde sieht von einer Strafverfolgung ab

Wie sollte es auch anders kommen? Niemand, vor allem nicht der Staat selbst mit seinen überforderten Justizbehörden, möchte sich mit dem heißen Eisen Revolution ernsthaft befassen. Die schon gleich nach der Wende und in 25 Jahren periodisch geforderte Aufarbeitung der wirren und widersprüchlichen Revolutionsgeschehnisse wurde wie auch die Aufarbeitung der kommunistischen Epoche, wie andere Sachen hierzulande, gründlich versäumt, aufgeschoben und letztlich fallengelassen. Gleichfalls lasch beschäftigte man sich seither auch mit den Tausenden Helden der Revolution, den Revolutionären, von denen die Mehrzahl durch ihre Revolutionärszeugnisse zu allerhand Privilegien und gar nicht geringen Monatsrenten gekommen sind. Mehrere Vereine von Revolutionären aus dem Land, vor allem die aus Temeswar, der Stadt der ersten Volkserhebung im Dezember 1989, in erster Linie der Verein „ALTAR 1989 Timişoara“, fordern schon seit Jahren eine genaue Überprüfung der Revolutionärsakten, die Überführung der Betrüger und falschen Revolutionäre, die Abschaffung der unverdienten Privilegien und die Bestrafung dieser Pseudohelden.

Die Eingaben im Parlament, die Beschwerden und Anklagen in der Justiz führten letzten Endes zu nichts: Nach einer formellen, oberflächlichen Überprüfung kündigte das Justizministerium kürzlich an, dass es keine Strafverfolgung gegen die falschen Revolutionäre geben wird. Zwei Strafakten wurden wohl 2012 und 2013 von der Staatsanwaltschaft des Obersten Kassations- und Justizhofes angelegt, bei der älteren Akte ringt man noch um eine Lösung, die jüngere Akte von 2013 wurde gar wegen fehlendem Beweismaterial geschlossen und die betreffenden Taten wurden für verjährt erklärt.
Laut Virgil Hosu, Vorsitzender des Temeswarer Vereins der Revolutionskämpfer, ist eine derartige Lösung weder verständlich noch akzeptabel: „Damit bleiben Betrug und Fälschung, Falschaussagen, auch Korruption unbestraft! Diese Profiteure, die durch Fälschungen zu den begehrten Revolutinärszeugnissen gekommen sind, monatliche Renten von bis zu 2000 Lei auf widerrechtliche Art und Weise kassierten und auch weiterhin kassieren werden, sollen nun, von der Staatsanwaltschaft unbehelligt, weiterhin ihre Privilegien genießen.“ Wie verhält es sich jedoch mit dem enormen Sachschaden, der dem stets knapp bei Kasse stehenden rumänischen Staat in 25 Jahren durch diese unverschämten „Sonderrenten“ entstanden ist?

Die Mitschuldigen wären eigentlich ohne große Anstrengungen in den Sonderkommissionen für die Überprüfung der Akten, aber auch bei den Vorsitzenden einiger Revolutionärsvereine und letztlich beim Staatssekretariat für die Angelegenheiten der Revolutionäre sowie in der entsprechenden Parlamentskommission zu finden. Die Temeswarer Revolutionäre werfen die Flinte noch nicht ins Korn: Staatssekretär für die Angelegenheiten der Revolutionäre ist derzeit Adrian Sanda, ein Temeswarer, und so hoffen einige Temeswarer Vereine noch immer auf eine Untersuchung, die die umstrittene Frage der Revolutionärszeugnisse klären wird. Laut Vertreter von „ALTAR 1989“ wurden Revolutionärszeugnisse bisher landesweit nur in den Großstädten Bukarest, Temeswar und Hermannstadt/Sibiu aberkannt. In der Begastadt wurden von den 878 Zeugnissen bisher 478 wegen Urkundenfälschungen aberkannt. Wenn bisher alle Fälle von Verletzten und Nachkommen der Revolutionsopfer geklärt werden konnten, so ist die Situation der zahlreichen „Kämpfer mit besonderen Verdiensten“ mittlerweile völlig unübersichtlich geworden. Laut Vorsitzendem Hosu wäre eine Untersuchung durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft eigentlich leicht durchzuführen, wenn der politische Wille vorhanden wäre.

Bekanntlich meldete das zuständige Staatssekretariat 2006 die Existenz von landesweit 6000 Revolutionären. In den folgenden Jahren geriet die Situation ganz außer Kontrolle, diese Zahl wuchs auf 23.000 an. In den 13 sogenannten Märtyrerstädten (derzeit gibt es drei weitere Anträge von Anwärter-Städten) sind zurzeit 15.823 Revolutionäre registriert. In den restlichen Städten sind zusätzliche 12.063 Personen als Revolutionäre eingetragen. In Bukarest gibt es z. B. 6496 Revolutionäre, in Temeswar 1790, in Kronstadt/Braşov 1389, in Hermannstadt 687, in Arad 486, im Kreis Buzău 576, im Kreis Mureş 343 und im Kreis Brăila 214.