In Höhen und Tiefen hineinleuchten

„An den Toren zur Welt“ – ein lesenswertes Buch des emeritierten Bischofs D. Dr. Christoph Klein

Wer die neueste Veröffentlichung des emeritierten Bischofs der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien D. Dr. Christoph Klein zur Hand nimmt, hält ein äußerst wertvolles und schönes Druckwerk in Händen, das ihm beim Lesen und Durchblättern große Freude bereiten wird. Es trägt den Titel „An den Toren zur Welt“ und enthält rund 40 geistliche Reden, Grußworte und Vorträge bei verschiedenen Gelegenheiten gesellschaftlicher und politischer Art oder bei kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen, zu denen der Bischof im Laufe seiner zwanzigjährigen Dienstzeit im Amt eingeladen worden war.

Dabei war es ihm ein Anliegen, im säkularen Bereich doch immer als Theologe zu reden, die Welt in der Vielfalt ihrer Bezüge – sei es in Kunst und Literatur, in Politik und Geschichte – „sub specie aeternitatis“, im Licht der Ewigkeit, zu sehen und in Höhen und Tiefen hineinzuleuchten, die dem nur oberflächlich Denkenden meist verborgen bleiben. Es geht ihm dabei um ein möglichst weites, umfassendes Verständnis von Kultur, die als solche das gesamte geistige Leben des Menschen umschließt. Dabei kommt es, wie es im Untertitel des Buches heißt, zur „Begegnung mit der siebenbürgischen Kulturgesellschaft“.

Die Veröffentlichung dieses Buches ist ein Dankeszeichen für die Verleihung des Georg-Dehio-Kulturpreises seitens des Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland durch das Deutsche Kulturforum östliches Europa am 22. September 2011 in Berlin. Diesen Preis erhielt der Autor für sein „Engagement für den Erhalt des kulturellen Erbes der Deutschen in Siebenbürgen“.

Der Titel des Buches weist auf ein bestimmtes, weit gespanntes Verständnis von Kultur als „Gesamtheit von Sinnhorizonten“ in einer bewusst erfahrenen und verantwortlich gestalteten Welt. Vor den geöffneten Toren dieser geistigen und jeweils geschichtlich erlebten Welt gilt es Ausschau zu halten nach Möglichkeiten der Begegnung und der eigenen, bewussten Beteiligung an dem Geschehen, das sie bestimmt.

Es ist eine Vielfalt von Bezügen, in die die so umfassend verstandene Kultur führt. So gliedert der Verfasser seine Reden und Beiträge in sechs größere Abteilungen: zunächst über Kunst (Literatur und Musik), über Bildung und Erziehung, über Gesellschaft und Politik, sodann über Spezialfragen der deutschen Minderheit in Rumänien und über Fragen der kirchlichen Erinnerungskultur.

Gerade die insgesamt 13 Vorträge innerhalb der beiden letztgenannten Abteilungen zur Minderheitsproblematik und zur Erinnerungskultur sind zeitgeschichtlich von ganz großem Wert, weil hier zum Teil erstmalig Fakten dokumentiert sind, die bisher noch wenig oder gar nicht erforscht wurden. Die letzte Abteilung bildet schließlich unter der Überschrift „Zugänge“ fünf Texte zur persönlichen Biografie des Autors, die er anlässlich seines 60. und 70. Geburtstages und beim Abschied aus dem Bischofsamt abgefasst hat.

Es geht in allen Beiträgen zwar um eine bewusste Hinwendung zur „Welt“, zu Fragen des Zusammenlebens und der Kultur der Menschen in ganz weitem Sinn, um eine Bewegung nach außen im Sinne der Mission, denn die Kirche ist der Welt solchen Dienst des Zeugnisses und der Deutung schuldig. Und doch kehrt der Autor im Gespräch mit der Welt immer wieder zu seinem Ausgangspunkt, zur Kirche zurück, in die er zugleich einlädt.

Dieses Gespräch von innen nach außen vollzieht sich gleichsam zwischen Tür und Angel, an den Toren zur Welt, wobei – wie es im Buch an mehreren Stellen zu lesen ist – gerade das Stehen „an der Grenze“ die eigentliche fruchtbare Situation zur Erkenntnisfindung ist. So bildet das Thema „Kirche“ den geheimen roten Faden, der sich durch alle Beiträge zieht, sei das in den tiefschürfenden Besprechungen wichtiger Werke aus der zeitgenössischen deutschen Literatur siebenbürgischer Autoren (Erwin Wittstock, Eginald Schlattner, Joachim Wittstock), sei es im Nachdenken über Kultur und Bildung im heimischen und europäischen Kontext oder in seinen treffenden Beobachtungen und Erfahrungen zur Zeitgeschichte.

Dabei wird an vielen Stellen deutlich, dass es für die Kirche keineswegs um eigene Selbsterhaltung geht, sondern dass die modellhaft in die Welt hineinwirkt und gerade so für diese bedeutsam wird. Der Autor schreibt: „Als Kirche haben wir in unserer ökumenischen Arbeit hier und weltweit gelernt: Die versöhnte Verschiedenheit ist ein Modell, das für die Herausforderungen der Zukunft hilfreich ist. Das Akzeptieren der anderen und die Erwartung, dass man ebenso in seinem Anderssein angenommen wird, ist damit gemeint. Dieses Identitätsverständnis kann auch für eine europäische Identität Gültigkeit erlangen“ (S. 70).

Damit ist über den eigenen kleinen Horizont hinaus auf den großen gemeinsamen Kulturraum Europa hingewiesen: „Die Frage nach der Rolle der Kultur wurde besonders nach 1989 in der Suche nach der Identität Europas neu gestellt… Wird nicht gerade die Kultur bemüht, wenn es darum geht, den Anspruch der südost-mitteleuropäischen Staaten und Völker anzumelden, zu Europa zu gehören? Denn dass man mitten in Europa als einem gemeinsamen kulturellen Raum lebt, lässt sich anhand der Vergangenheit und des kulturellen Erbes am besten nachweisen“ (S. 86). Wenn es darum geht, dem säkularen Europa und der überfremdeten Stadt die eigene Sache zurückzugeben, meint der Verfasser: „Der Stadt eine Seele geben, kann für die Kirchen bedeuten, eine Kultur der Begegnung und des Zusammenlebens, eine Kultur der Versöhnung und eine Kultur des Helfens (der Nächstenliebe) selbst zu pflegen, in der Öffentlichkeit zu verbreiten und für alle zugänglich zu machen“ (S. 139).

Die Kirche steht vor der großen Aufgabe, das überkommene Kulturerbe zu bewahren. Dabei gehören die Kulturwerte, über die sie verfügt, ja nicht ihr allein, sie sind Teil des allgemeinen Kulturerbes der Menschheit. In der Kirche gibt es eine differenzierte Sicht der Kultur, die vor einer Verabsolutierung warnt. Der Christ „weiß bei allem Einsatz zur Bewahrung von Gütern der Kunst und Kultur, dass dieses der Vergänglichkeit angehört, dass es – wie Bonhoeffer sagt – ‚zum Vorletzten’, nicht zum Letzten gehört, ‚anvertrautes Gut’ ist, das uns letztlich nicht gehört… Wir sind gerufen, weil wir im ‚Vorletzten’ leben, die vorletzten Dinge ernst zu nehmen, sie in Ehren zu halten“ (S. 103/103).

In Anlehnung an das Buch von Ina Seidel „Das unverwesliche Erbe“ sagt der Verfasser auf S. 121: „An die ‚Unverweslichkeit’ des Erbes, das auch im Kulturgut eines Volkes besteht, müssen wir glauben, um es erhalten zu können. ‚Glaube schafft Zukunft’ – diese wichtige theologische Maxime (von Gerhard Ebeling) gilt auch im Bezug auf die Zukunft irdischer, vergänglicher, aber darum doch ‚verweslicher’ Werte und Güter. Um die Erhaltung dieses ‚unverweslichen Erbes’ geht es denen, die es zu bewahren trachten, auch wenn sie wissen, dass dieses Erbe vielleicht eines Tages an andere Erben übergeben wird. Denn es geht um des Erbes willen nicht um die Erben, sondern um das Erbe.“

Freilich ist die evangelische Kirche in Rumänien im Zuge des großen historischen Umbruches nach 1989 in eine völlig neue Lage gekommen. Der Autor schreibt: „Die einschneidende Veränderung des Gesichtes unserer Kirche durch den Massenexodus nach der Wende … und den so nie dagewesenen Umbruch unserer kirchlichen Situation von einer ‚intakten Volkskirche’ zur Minderheits- und Diasporakirche verstehen wir als Herausforderung, vor die Gott uns in Gericht und Gnade stellt.

Es ist der Aufruf, uns durch Buße zu verändern, die Versäumnisse und Verfehlungen der Vergangenheit zu bekennen und den Wandel von der Vergebung her als eine von Gott gegebene Chance zu akzeptieren. Das wird es möglich machen, unseren Auftrag als protestantische, lutherische Minderheitskirche in Rumänien in den gewandelten Verhältnissen mit Zuversicht auf eine unbekannte, aber von Gott verheißene Zukunft im Gehorsam gegen das Evangelium Jesu Christi auch heute wahrzunehmen und weiterzuführen“ (S. 240).

Die Kirche wird, indem sie ihre neue Lage annimmt, besonders im ökumenischen Gespräch und in der Begegnung und der Gesellschaft in ihrem Umfeld zu einer „Kirche für andere“ (S. 204), die trotz ihrer bedrohlichen Schrumpfung durch die Auswanderung innerhalb ihres Lebensraumes eine positive Bedeutung hat, einfach weil sie ein „Gewicht“ hat. Der Verfasser formuliert: „Mehrheiten leben von ihrer Zahl, die Minderheiten von ihrem Gewicht… Christen werden nicht gezählt, sondern gewogen“ und die Erfahrungen der letzten 20 Jahre weisen darauf, dass auch von einer kleinen Minderheit erstaunliche Wirkungen ausgehen können (S. 265).

Im Geleitwort, das der Hermannstädter Bürgermeister und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Klaus Johannis, zu diesem Buch geschrieben hat und das auf die Laudatio zurückgeht, die er anlässlich der Verleihung des Kulturpreises an Altbischof Christoph Klein im September 2011 in Berlin gehalten hat, heißt es: „D. Dr. Christoph Klein hat die vielseitigen Chancen, die wir selbst als kleine deutsche Minderheit in Rumänien unter neuen politischen Vorzeichen haben, richtig erkannt. Er stellte die Weichen dafür, dass die evangelische Kirche diese Möglichkeiten wahrnehmen kann. Er selbst hat die neuen, oftmals schweren Herausforderungen angenommen und dadurch wesentlich zum Erhalt des Kulturerbes der Siebenbürger Sachsen beigetragen.“

Das Buch ist hervorragend ausgestattet. Eine Überraschung sind die über 70 zum Teil sogar farbigen Bilder, die viele Situationen, bei denen die Reden gehalten wurden, sowie zahlreiche dabei begegnete Persönlichkeiten festhalten. Wodurch vieles für den Leser lebendig wird. So kann dieses Buch jedem, der es zur Hand nimmt zu einem überaus anregenden Erlebnis werden.

Christoph Klein: „An den Toren zur Welt. Geistliche Reden in der Begegnung mit der siebenbürgischen Kulturgesellschaft“. Schiller Verlag Hermannstadt – Bonn, ISBN 978-3-941271-71-5