Leben aus der Konserve

Eines Abends auf dem Dorf besuchte ich meine Nachbarin in der Sommerküche. Da saß ihre 85-jährige Großmutter vor dem Fernseher und guckte Teenagern fasziniert bei etwas zu, was sie bei der eigenen Urenkelin niemals dulden würde. Ibi zog mich am Arm: „Pssst, reden wir drüben, die Oma schaut ihre Lieblingsserie”.

Ja, und da war sie wieder, die Frage aller Fragen! Was um Himmels Willen bewegt Menschen, ihr halbes Leben vor einem Kästchen zu verbringen, um – hmmm – anderen zuzusehen, wie sie leben? Egal ob Dorf oder Stadt, abends flimmert es blau hinter fast jedem Fenster. Der Brauch des Fernsehens hat Ausmaße angenommen, die durch das Bedürfnis nach Information oder Entspannung nicht mehr zu erklären sind. Von der Arbeit heimkommen und schnell das Leben aus der Konserve einschalten, das ist bei vielen ganz normal. „Nein, um sechs Uhr kann ich nicht!”... da ist Dallas oder Denver oder wie die Nachfolger dieser Uraltserien heute heißen mögen.

Als ich früher einmal im Jahr meine Großeltern in Österreich besuchte, spielte sich meist folgende Szene ab. Oma: „Fred, komm, gleich fängt Lindenstraße an!” Opa: „Gleich, Hasi, wir unterhalten uns gerade.” Oma: „Freeeed! Es fängt an!” Opa schlurft rüber, ich bleibe allein zurück und lese. Da ruft mir Oma entäuscht zu: „Willst du nicht auch mit uns schauen, wo du doch so selten da bist?”

Wenn die Vorabendserie anfängt, kommt das eigene Leben zum Stillstand. Ist ja auch viel bequemer, leben zu lassen. Ähnlich ist es mit dem Sport. Warum sich selbst bewegen, wenn man Sport auch gucken kann? Sogar Kochshows erfreuen sich großer Beliebtheit, obwohl danach kein Sternemenü aus der Flimmerkiste fällt. Macht Zuschauen schon satt?

Vielleicht gibts demnächst Programme zum Schlafen, Biertrinken, Wäschewaschen oder Gassigehen, das wär jedenfalls noch eine Marktlücke. Oder wir erfinden die Fernsehbrille zum Aufsetzen, damit man sich auch unterwegs jederzeit ein Stück Konservenleben herunterladen kann, wenn das eigene langweilig zu werden droht.

Wie sehr man jedoch für andere zum Alien wird, wenn man sich bewusst der Sucht des Fernsehens enthält, machte mir folgende Konversation eines befreundeten Paares deutlich. Sie: „Du, die Nina hat den perfekten Mann gefunden – die beiden passen total gut zusammen!” Er: „Ach, ja? Hat er auch keinen Fernseher?”