Mit der Liebe links-rechts spielen

Tinder und die Welt der digitalen Partnersuche

Am Anfang wurde Tinder auf dem Unigelände der University of Southern California verbreitet. Jetzt wird es in fast 200 Ländern benutzt.

Ablehnung tut weh, aber bei Tinder nimmt man nicht zur Kenntnis, wenn das eigene Profil links gewischt wird.

It’s a match! Jetzt kann man erfahren, ob es zwischen zwei Tinder-Benutzern funkt oder nicht.
Fotos: Tinder

Heiratsanzeigen oder zwangslose Partnersuche, wahre Liebe oder One-Night-Stands. Ob für ein Rendezvous spät in der Nacht oder für die erhoffte Entdeckung eines Seelenverwandten, ist die digitale Partnersuche immer angesagter. Technologie sichert einen bequemeren und schnelleren Weg als die traditionelle Methode, jemanden zum Kaffee einzuladen. Und man muss auch nicht lange suchen, es gibt mehrere Orte, an denen Singles sich online versammeln: Die Gemeinschaft wird weltweit immer größer.

Eine Dating-Plattform erstmals ausprobiert habe sie bereits vor mehreren Jahren, erklärt Laura, eine 26-jährige Doktorandin. Leute trifft sie aber kaum: „Es ist schwierig und durchaus enttäuschend, weil man begreift, dass man selbst zu wenigen Leuten passt oder dass man sehr wählerisch geworden ist.“ Dating-Netzwerke scheinen ihr oberflächlich, der „Kuppelei“-Prozess basiert hauptsächlich auf Bildern. „Es erinnert uns daran, dass wir vom Instinkt gesteuerte Wesen sind, die sich auf die Suche nach erotischen Reizen und externer Validierung begeben. Ein Nachteil wäre, dass man digitales Suchverhalten entwickeln könnte“, meint Laura, die inzwischen ihrer Vorlieben bewusster geworden ist. Diese Online-Erfahrung habe ihr jedoch dazu verholfen, mit den Mitmenschen besser umzugehen. Ob man dadurch langfristige Beziehungen entwickeln kann? Das seien nur Einzelfälle, meint sie.

Auch wenn Dating-Apps den einen oder anderen enttäuschen, wächst deren Popularität ständig: Von 50 der größten Apps der Welt sind es zwei, die den Online-Dating-Markt beherrschen: Tinder und Badoo funktionieren nach demselben Prinzip, potenzielle Partner werden rechts gewischt, uninteressante Leute links. Tinder ist im Norden Europas beliebt, Badoo im Osten und Süden. Ob diese Apps nur dazu verwendet werden, um beiläufigen Geschlechtsverkehr zu erleichtern?
 

Willkommen bei der Singlebörse Tinder

Die in den USA entwickelte App Tinder gibt es seit fast vier Jahren, ungefähr 50 Millionen Nutzer in 196 Ländern haben ein Tinder-Konto, ein Fünftel davon sind täglich aktive Nutzer. Die Aktivität der Nutzer lässt sich in Zahlen folgendermaßen beschreiben: Jeden Tag wird 1,4 Milliarden mal gewischt, ein Nutzer loggt sich im Durchschnitt 11 mal pro Tag ein und verbringt auf Tinder mehr als eine Stunde. Die relevantesten Aspekte, die die Aufmerksamkeit auf einen möglichen Partner richten, sind, laut Studien, erstens das Aussehen, zweitens die geschickte Eröffnung der Unterhaltung und drittens der Humor. Männer sind weniger wählerisch: Im Durchschnitt wischen sie zur Hälfte mit dem Finger nach rechts, Frauen hingegen drei mal weniger. 45 Prozent der Nutzer sind zwischen 25 und 34 Jahre alt, es gibt mehr Männer als Frauen (Quote 60:40). Mehr als die Hälfte der Nutzer ist „single“, das bedeutet wohl, dass ein bedeutsamer Teil schon in einer Beziehung oder verheiratet ist. Vier Jahre nach der Gründung ist Tinder in 24 Sprachen verfügbar.

Nur ein Facebook-Nutzer mit Smart-phone kann ein Tinder-Konto erstellen. Man muss einfach nur noch eine kurze individuelle Beschreibung hinzufügen und um den Rest kümmert sich die App: Vom Facebook-Konto werden die Gefällt-mir-Angaben und Freundelisten sowie Profilfotos, der Vorname und das Alter übernommen. Dann beginnt das Links-Rechts-Spiel: Auf Basis solcher Informationen entscheidet sich der frische Tinder-Nutzer, ob er andere interessant findet. Eine Unterhaltung kann beginnen, wenn zwei Nutzer sich gegenseitig als interessant eingestuft haben. Was danach passiert, liegt in den Händen der Nutzer.
 

Links und rechts, aber meistens links

Die 29-jährige Andreea arbeitet in der Musikindustrie und verweilt täglich auf Tinder: „Fast alle meine Freunde haben diese App, egal ob sie in einer Beziehung sind oder nicht“, sagt sie. Vorigen Sommer hat sie sowohl Tinder als auch weitere Dating-Apps installiert, denn sie wollte auch miterleben, wie die Online-Partnersuche tickt. Bevor sie nach rechts wischt, analysiert sie in Einzelheit das Profil derjenigen, die ihr gefallen - die paar Zeilen Beschreibung, wie, wo und zu welchem Zeitpunkt die Fotos geschossen wurden. Es passiert nicht allzu oft, dass sie nach rechts wischt, aber wenn sie das macht, dann erscheint auf dem Bildschirm ihres Smart-phones in 99 Prozent der Fälle die Meldung mit kursiver Schrift „It’s a match!“.

„Dann warte ich, dass der andere schreibt, nur einmal habe ich als erste geschrieben“, erzählt die junge Frau, die es gern hat, ihre Tinder-Matches sofort zu treffen: „Ich will keine Zeit verlieren und ich bin einfach neugierig zu sehen, wie die Person tatsächlich aussieht.“ Tinder habe die Suche nach Partnern verbessert: „Wenn ich will, habe ich fast täglich eine Verabredung und das macht Spaß.“ Es sei jedoch ermüdend, mit mehreren Leuten gleichzeitig zu sprechen und es kann auch vorkommen, dass sie die Tinder-Matches untereinander verwechselt, erzählt Andreea weiter. Die Unterhaltungen dauern von fünf Minuten bis zu mehreren Tagen. Die längste wurde zwei Wochen fortgesetzt: „Als wir uns endlich gesehen haben, hat es gleich zwischen uns gefunkt und wir sind direkt nach Bulgarien für zwei Tage gefahren. Es war interessant, aber es dauerte nicht lange“.

Andreea meint, die App wurde für Partnersuche und nicht für Geschlechtsverkehr entwickelt. „Viele geben der App keine Chance, da sie denken, dass sie nur in Hinblick auf Intimverkehr benutzt wird.“ Sie glaubt, dass Leute immer entspannter ihre Partner betrügen. Andreea hat die Erfahrung gemacht, dass sich ihre „Matches“ ärgern, falls sie sagt, dass sie nicht ausgehen will, da der Gesprächspartner bereits in einer Beziehung ist. Tinder ist einfach eine Methode, Leute zu treffen. Alles kann geschehen, schlussfolgert sie.
 

„Die App ist genau so wirkunsvoll wie der Nutzer“

Der 26-jährige Mihai ist ein selbstbewusst und entspannt wirkender Mann, der im IT-Bereich arbeitet. Vor ungefähr einem halben Jahr habe er über Tinder auf der Webseite einer Publikation gelesen. „Ich war Single und dachte mir, warum nicht? Ich wollte sehen, ob die App wirklich nützlich ist“, erinnert sich Mihai. Seitdem hat er sich mit 30 - 40 Prozent seiner Matches verabredet. Er beteiligt sich nie an mehr als drei gleichzeitigen Gesprächen auf Tinder. Automatisch nach links wischt er bei Frauen, die Fotos mit ihrem Geliebten als Profil haben. „Wollen sie denn anderen mitteilen, dass sie in einer Beziehung sind? Wieso sind sie dann auf Tinder?“, fragt er sich. Tinder benutzte Mihai alle zwei Tage, in der letzten Zeit immer weniger. „So wie jedes andere Instrument ist es genau so wirkungsvoll, wie die Person, die es benutzt. Wenn man ständig nach rechts wischt, dann wird man bestimmt nicht nur befriedigende Treffen oder Diskussionen haben“, meint er.

Seitdem Mihai Tinder benutzt, hat er bemerkt, dass er kontaktfreudiger als vorher ist. Mit der App ist er außerdem zufrieden, schlechte Erfahrungen hat er keine gemacht: „Von meinem Standpunkt aus hat die App ihr Ziel erreicht im Moment, in dem ein Gespräch zwischen zwei Leuten beginnt. Ab diesem Augenblick hängt der Rest von den Gesprächsteilnehmern ab. Es geht um das, was sie sich wünschen“.
 

„Nicht jeder Match will ein One Night Stand, auch wenn Tinder eine App für Geschlechtsverkehr ist“
Auch Gabriela (26) benutzt Tinder seit einem Jahr. Die Erzieherin hatte sich vor Kurzem von ihrem Freund getrennt, wollte neue Leute kennenlernen. Wenn sie sich mit ihren Tinder-Matches unterhält, ist es, als ob man in einem Club sei, wo es viele nette Kerle gebe: „Du wartest ab, um zu sehen, welcher interessanter ist“. Die ersten, die nach links gewischt werden, sind meistens Männer mit enger Kleidung, Fotos mit der Ehefrau oder der Geliebten, mit dem Kind, oder Fotos, in denen sie betrunken sind. Als Beispiel zeigt Gabriela ein Foto von einem 29-jährigen Mann mit langen blonden Haaren: Er trägt ein weißes T-Shirt und hat zwei schwarze Kreise auf den Brustwarzen, hinter ihm hängt an der Wand ein leerer Rahmen, der wie eine Aura über seinen Kopf aussieht. Er ist umgeben von Musikinstrumenten, posiert als Rocker-Jesus. Der wird gerade links gewischt.

Viel aufgeschlossener und selbstbewusster sei sie geworden, seitdem sie Tinder benutzt, sagt Gabriela. Mit der App ist sie sehr zufrieden, denn sie hat bisher nur „coole Typen“ kennengelernt. Sie hatte sogar eine Beziehung mit einem Mann, die ein paar Monate lang dauerte. „Ich glaube Tinder-Benutzer sind viel aufgeschlossener als andere Leute. Wir alle wissen, was wir von der Person hinter einem Match wollen: Sex. Seitdem ich Tinder benutze, bin ich mit Männern ausgegangen, die besser aussahen als ich“, erklärt sie.

Auch wenn Tinder eine App für Sex sei, glaubt Gabriela nicht, dass jeder Match nur ein One Night Stand wolle. „Ich glaube, es gibt viele Menschen, die hoffen, auch eine Beziehung mit einem Tinder-Match zu haben“, sagt sie.

Grünes Herz oder rotes Kreuz antippen? Ob als Dating-App oder als Instrument für die Suche nach sexuellen Abenteuern, gewinnt Tinder ständig an Boden, denn die Online-Partnersuche stellt ein großes Reservoir von Möglichkeit und Wahl zur Verfügung. Die kommerzielle App hat nur das Ziel das Kennenlernen von Menschen in der näheren Umgebung für die Nutzer zu erleichtern. Sean Rad, Mitbegründer und Geschäftsführer von Tinder erklärte in einem Interview: „Wir lösen nicht menschliche Probleme. Wir versuchen, die bestehenden Gewohnheiten der Menschen zu nehmen und sie effizienter zu gestalten“.

*Alle Namen wurden geändert