„Alma Viitor“ – eine Zukunft für Almen

Die verloren geglaubte und wiedergeborene Kirchenburg

Die Kirchenburg von Almen, Blick auf den Torturm und den Glockenturm Fotos: George Dumitriu

Die Orgel aus dem Jahr 1791 wurde 1937 zuletzt von Karl Einschenk restauriert und stammt möglicherweise aus der Werkstatt von Johann Prause.

Almen: Idyllischer kann es auch im Mittelalter nicht gewesen sein.

Cristina Bradescu zeigt die Handarbeiten der Dorffrauen.

Der Zustand der Kirche sieht schlimmer aus als er ist – laut Crack-Monitoring ist das Gemäuer stabil.

Almen/Alma Vii. Der Zusatz „vii“ im Rumänischen steht für „via“, Weinberg, aber auch für den Plural von „viu“, lebendig, und bildet den Anklang des Wortes für Zukunft, „viitor“. In Almen trifft all dies aufeinander: Seinen Namen verdankt der Ort einer Legende, derzufolge ein Mädchen namens Alma in einem Weinberg verloren gegangen und just an der Stelle des heutigen Dorfes - lebendig - wiedergefunden worden sein soll. Was es mit der Zukunft auf sich hat, ist Gegenstand dieser Geschichte: Nachdem Almen, von den Siebenbürger Sachsen verlassen, langsam aber sicher zu verfallen begann, versucht eine kleine Gruppe von Leuten, dem Dorf neues Leben einzuhauchen: „Alma Viitor“. 


Almen ist eines von neun Dörfern, das der Mihai Eminescu Trust (MET) im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Dorfentwicklung“ (mehr dazu im neuen „Deutschen Jahrbuch“) unterstützt. Sanfter Tourismus soll wirtschaftlichen Aufschwung für die Dorfbewohner bringen. Im Zentrum der Aktivitäten des Vereins „Alma Viitor“stehen sieben Leute aus dem Dorf, fünf Frauen und zwei Männer, die sich auf Anregung des MET im Tourismus engagieren. Basis ist das Kulturerbe, das die Sachsen hinterlassen haben – mit der Kirchenburg als Hauptattraktion im Zentrum des Geschehens. Ringsum werden touristische Rundgänge angelegt, Wanderwege per GPS und mit Holzpfählen markiert. Zu Fuß, per Pferdewagen oder auch mit dem Mountainbike, das man allerdings stellenweise schieben muss, gelangt man nach Birthälm/Biertan, Reichesdorf/Richiș oder Wurmloch/Valea Viilor.

Almen ist nicht allzu abgelegen. 18,5 Kilometer trennen das Dorf von der nächstgrößeren Stadt Mediasch, die von zahlreichen Touristen besucht wird. Trotzdem hat man, dort angekommen, das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben. Vom Bering der Kirchenburg schweift der Blick über endlos grüne Hügel ungehindert bis zum Horizont. Idyllischer kann es auch im Mittelalter nicht gewesen sein.

„Abenteuerspielplatz“ Kirchenburg

In Almen treffen Kontraste aufeinander: alt und modern, Traditionelles und 21. Jahrhundert. Das Dorf wurde erstmals 1209 urkundlich erwähnt, die Kirche entstand ca. zwei Jahrhunderte später, bewehrt wurde sie Anfang des 16. Jahrhunderts. Im Eingangsturm erklärt eine Tafel, wie man die Alma Vii App auf dem Smartphone installiert. Man staune: es gibt hier freies WiFi!

Der Bering und die Türme wurden mit Norwegen-Liechtenstein-Island- Fonds frisch restauriert, die Kammern darin entsprechend dem Motto jedes Turms ausgestattet und möbliert. Es gibt den Uhrturm, den Torturm, den Speckturm, den Eisturm und den Getreideturm, alle zu beklettern. Rustikale Handläufe mit gewundenen Seilen vor den Leerräumen verhindern, dass man irgendwo abgleiten oder herunterfallen kann. Treppen und Wehrgänge sind bestens gesichert, für Kinder ein Eldorado zum Erforschen und Entdecken. In den Türmen darf man, im Gegensatz zu anderen Museen, sogar alles anfassen. Lässt man im Getreideturm das Korn in der Truhe durch die Finger rieseln, entdeckt man auf dem Boden derselben ein altes Foto, das die früheren Dorfbewohner bei der Ernte zeigt. Und wer findet das Skelett, das bei den archäologischen Ausgrabungen entdeckt wurde und dort ausgestellt ist? Der sogenannte „Sachsenkeller“, ein rustikal ausgestatteter Speiseraum, in dem auch größere Gruppen bewirtet werden können, bietet noch eine andere charmante Überraschung. Schon mal ins Weinfass geguckt? Auf dessen Boden leuchtet ein Foto – dreht man an der Kurbel, treten immer andere Motive ins Blickfeld. Im Geschichtenraum kann man akustischen Aufzeichnungen lauschen, auf Sächsisch, Rumänisch und Ungarisch. Die Türme können übrigens auch für Konferenzen mit 40 bis 50 Teilnehmern genutzt werden, erklärt Michaela Türk, die Projektmanagerin des MET. Warum also nicht mal zum Teambuilding nach Almen fahren?

Ein Tourismus-Paket wird geschnürt

Was gehört noch zum Tourismus? Unterkünfte natürlich! Auf der Webseite experiencetransylvania.ro findet man vier Gästehäuser der Lokalbewohner, die einfache Zimmer bieten – ohne Schnickschnack und Komfort, dafür mit traditionellen Holzmöbeln vor weiß gekalkten Wänden und Flickenteppichen auf Bretterparkett. „Hier wird nur mit natürlichen Materialien gearbeitet“, verrät Michaela Türk. Thermopanefenster oder Beton sucht man vergeblich. Auf den Fernseher muss - und wird - man gerne verzichten. Zum Essen tischt die Hausfrau auf, was aus dem eigenen Hof und Garten stammt. Größere Gruppen bekochen die Frauen von „Alma Viitor“ und servieren dazu selbstgemachte Limonade. Auch einen Brot-Backofen gibt es in der Kirchenburg. „Wir backen auch ‘placinte’ mit Kraut oder Käse“, erzählt Cristina Bradescu stolz und führt uns in den kleinen Laden im Torturm der Burg, wo man hausgemachte Köstlichkeiten der Dorffrauen erstehen kann: Zacusca mit Auberginen, Pilzen oder Bohnen; Marmelade aus Sauerkirschen, Himbeeren, Aprikosen, Pflaumen, Äpfeln, Quitten. Aromatische Sirupe: Holunderblüten, Rosen, Himbeeren, Löwenzahn oder schwarze Johannisbeeren - „gut gegen Anämie“, verrät Cristina. Immer größer wird das Angebot, die Frauen probieren einfach aus, was bei den Besuchern ankommt: Kräuteröle, aromatisierte Essige, Eingekochtes und Eingelegtes. Auch gewerkt und gehandarbeitet wird fleißig: „Frau Simina arbeitet am Webstuhl, ich stricke Taschen“, erklärt Cristina. Im Regal zieht ein hübsches Paar aus Garn gehäkelter Sommerstiefel den Blick an - leider nicht die richtige Größe. „Eine von uns macht sogar Trachtenblusen“, fährt sie fort und meint, das wolle sie auch demnächst lernen, doch einfach sei es nicht. Auch Miniaturmöbel und kleine Holzschnitzereien werden feilgeboten.

Bald soll ein jährliches „Almen-Festival“ im Herbst noch mehr Besucher anlocken. „Wir werden Folklore tanzen, singen und unsere Spezialitäten zubereiten“ freut sich die junge Frau. „Und natürlich frischen Traubensaft!“
Derzeit besuchen etwa 3000 Touristen im Jahr Almen, verrät Michaela Türk. „Doch wir wollen unsere Sichtbarkeit steigern.“

Was tun mit der Kirche?

In krassem Gegensatz zu den frisch restaurierten Türmen steht die Kirche in der Mitte des Berings. Spektakuläre Risse ziehen sich über das alte Gemäuer, doch laut „Crack-Monitoring“ besteht keine Einsturzgefahr. „Im Winter ziehen sich die Risse zusammen, im Sommer erweitern sie sich, doch das ist nicht schlimm, das Ensemble als ganzes bewegt sich nicht fort“, erklärt Michaela Türk. In einem zweiten Projekt soll daher auch die Kirche restauriert werden. Gottesdienste gibt es ohnehin schon lange nicht mehr in Almen, die Verwaltung der Kirchenburg obliegt dem Verein.

„Wir wollen sie nicht entweihen, damit wir die Sachsen nicht enttäuschen“, meint die Projektmanagerin. Statt dessen soll eine zu ihrem ursprünglichen Zweck passende Verwendung gefunden werden, vielleicht als Bibliothek mit Buchhandlung. „Viele wollen hier Bücher kaufen“, untermauert sie die Idee. In der Kirche, die zwar nicht zu den spektakulärsten zählt, gibt es trotzdem hübsche Details zu entdecken: aparte Stuckelemente mit Trauben und Maiskolben zieren die Lüftungen an der Decke. Von der Orgelempore hängen Tücher mit frommen Sprüchen. Die Orgel funktioniert leider nicht mehr, 2012 fiel sie einem Einbruch zum Opfer, zumindest wurde das Diebesgut wieder sichergestellt.

Paradies für geschulte Augen

Sachsen gibt es keine mehr in Almen, erklärt Michaela Türk. Früher stellten sie 80 Prozent der Einwohner. Heute sind die meisten Rumänen, 36 Prozent der 400 Dorfbewohner, von denen viele im Ausland arbeiten, bekennen sich zur Ethnie der Roma. „Im Sommer kommen noch zwei-drei sächsische Familien, die ihre Häuser behalten haben. Die sind total begeistert von dem, was hier passiert ist!“ freut sich Michaela Türk.

Begeistert war auch eine Globetrotter-Familie aus den USA, die zuvor drei Monate in China lebte – und dann sechs Monate in Almen hängenblieb. Den Dorfkindern erteilten die Amerikaner Englischunterricht und halfen bei der Einrichtung eines Freizeitzentrums in der früheren sächsischen Schule, einem einsturzgefährdeten Gemäuer, um das sich seit 2008 ebenfalls der MET kümmert. Nun gibt es Spiele, Bücher und Computer, Kinder und Jugendliche verbringen ihre Freizeit dort. „Wir versuchen, die Kinder zu motivieren, hier zu bleiben, und zeigen ihnen Alternativen zum Ausland auf, wovon alle jungen Leute im Dorf träumen“, erklärt die Projektmanagerin.

Nicht jeder sieht das Paradies auf den ersten Blick. Nicht jeder hat die gleiche Vorstellung davon. Manchmal öffnet erst der Blick über den Tellerrand das Herz für die Schönheit der Heimat. Oder aber das Staunen derjenigen, die sich dessen bewusst sind: Ein so schöner Flecken Erde ist selten geworden in der heutigen Welt!