Als sie noch ein Kind war, schaffte sie es nur bis an den Eingang in die Höhle. Dort stand, soweit sie sich noch erinnern konnte, ein riesiges, Angst einflößendes Bärenskelett. Geschichten hatte sie viele darüber gehört, und dass es in der Höhle Bären gäbe, daran glaubte sie damals noch ganz fest.
So war es kein Wunder, als das sechsjährige Mädchen, das kaum darauf gewartet hatte, die Geheimnisse der Bärenhöhle zu entdecken, plötzlich in Tränen ausbrach, als es darum ging, den Schritt in die Dunkelheit zu wagen. Nein, die Bärenhöhle wollte sie nicht wirklich betreten. Die Jahre vergingen, sie wurde erwachsen und die Angst vor den Bären verschwand. In diesem Herbst konnte sie ihren Kindheitstraum erfüllen, der sie Jahre lang begleitet hatte: Der Bärenhöhle im Kreis Bihar/Bihor einen Besuch abzustatten.
Der Weg bis zur Höhle, die bei Chişcău in der Gemeinde Pietroasa liegt, führt in Serpentinen bergauf. Links und rechts entlang des Wegs stehen Straßenverkäufer mit Souvenirs, Karten und traditionellen Lebensmitteln, die sie den Touristen anbieten. „Möchten Sie ein von mir gebasteltes Bärchen kaufen?“ fragt ein Mädchen und schiebt dem Reisenden ein Tablett mit Bärenfigürchen vor die Nase. Es ist offensichtlich: Die kleinen Plastikbären sind nicht von den Kindern gebastelt worden, vielmehr wäre es denkbar, dass sie in China hergestellt worden sind. Trotzdem gibt es Touristen, die Gefallen an den Staubfängern finden – und sie den Kindern abkaufen.
Monster aus längst vergessenen Zeiten
Ein Gebäude mit Steinwänden, das eigentlich wie ein Restaurant aussieht, steht oben auf dem Hügel, wo der asphaltierte Weg aufhört. Durch das „Restaurant“ geht man in die Bärenhöhle hinein. 15 Lei kostet der Eintritt für Erwachsene, Kinder zahlen 10 Lei. Wer fotografieren oder filmen möchte, muss 15 bzw. 25 Lei zusätzlich hinblättern. Zehn Minuten, manchmal sogar ein wenig länger, lässt der Höhlenführer auf sich warten. Ohne Guide darf man die Bärenhöhle nicht betreten. Doch das Warten lohnt sich, denn der Höhlenführer weiß, wie man die Sehenswürdigkeit für Besucher pointiert präsentiert.
Zwar gibt es heute keine Bären mehr in der Höhle, dennoch kommt die Bezeichnung des Ortes nicht von ungefähr. Denn in der Kaverne wurden zahlreiche Bärenknochen gefunden, was darauf schließen lässt, dass hier vor mehr als 100.000 Jahren tatsächlich Höhlenbären (Ursus spelaeus) – eine ausgestorbene Bärenart der letzten Kalkzeit – gehaust haben. Die Knochen erzählen Tausende Geschichten, davon klingt eine am plausibelsten: Ein sehr starkes Erdbeben soll vor ungefähr 17.000 Jahren zur Verschüttung des Eingangs geführt haben und alle Bären, die sich damals in der Grotte befanden, kamen dabei ums Leben.
Die Höhlenbären waren viel größer als die Braunbären, die aktuell noch auf dem Gebiet Rumäniens heimisch sind. Bis zu vier Meter hoch waren die Tiere, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellten, und wogen bis zu einer Tonne. Außer Bärenknochen wurden in der Grotte auch andere Tierknochen gefunden, zum Beispiel Gebeine von Gämsen, Steinböcken, Grottenhyänen oder sogar Löwen.
Forscher zerstörten einen Mythos
Die Bärenhöhle wurde im Jahr 1975 vom Bergarbeiter Traian Curta entdeckt. Infolge einer organisierten Sprengung in der Gegend bemerkte er einen Spalt in der Steinwand, der sich schließlich als einziger Eingang in die spektakuläre Höhlenwelt etablierte. Traian Curta war der erste, der sich in den Untergrund wagte, wo er die Säugetierskelette entdeckte, von denen man zunächst nicht wusste, von welchem Tier sie stammten.
Legenden wurden geboren, dass in längst vergangenen Zeiten Kreaturen mit übermenschlichen Kräften dort gehaust hätten. Bis ein Forscherteam das Geheimnis aufdeckte und zur Erkenntnis kam, dass Bären die Höhle zu ihrem Heim gemacht hatten – eine Spezies, die von der Erdoberfläche längst verschwunden ist. Die Höhlenforscher aus Ştei und Klausenburg/Cluj-Napoca kümmerten sich darum, dass die Höhle bewahrt und in den touristischen Kreislauf aufgenommen wurde. Schließlich passierte dies nach einigenAdaptierungsarbeiten am 14. Juli 1980.
In der Grotte bei Chişcău herrscht jahreszeitenunabhängig eine Temperatur von zehn Grad Celsius. Die Feuchtigkeit in der Luft liegt bei genau 97 Prozent. Die sogenannte Knochengalerie befindet sich gleich am Eingang in die Höhle. Der Name dieser Galerie stammt von der hohen Anzahl an Bärenknochen, die bei der Entdeckung der Höhle gefunden wurden. In dieser Galerie ist die Steinwand am dünnsten und man sieht noch den Spalt, der zur Entdeckung der Höhle geführt hat. Bärenknochen und -schädel liegen links und rechts des Pfads, dem die Besucher folgen müssen. Langsam, ohne zu drängen, denn es gibt zwar Licht, dennoch kann es ein paar Sekunden dauern, bis der Experte dieses einschaltet.
Die meisten Touristen sind schon zu Beginn so begeistert von dem Panorama, das sich ihnen eröffnet, dass sie sofort mit dem Fotosschießen beginnen, obwohl die restlichen Bereiche der Höhle sich als viel spannender entpuppen. Die Emil Racoviţă-Galerie ist der längste Teil der Bärenhöhle. Hier ist die Decke am dicksten und es wird weiterhin Forschung betrieben. Am Ende dieser Galerie befindet sich ein Bärenskelett, das Besucher genauer betrachten können. Es stammt von einem Höhlenbären, der wahrscheinlich bei dem Erdbeben vor 17.000 Jahren ums Leben gekommen ist.
Makkaroni aus Stein
In der Kerzengalerie gibt es nicht nur Knochen, sondern auch Spaghetti. Das mag wohl lustig klingen, jedoch sehen die Stalaktiten und Stalagmiten, die Boden und Decke schmücken, genau wie Makkaroni aus.
Nur die wenigsten Besucher der Bärenhöhle kennen den Unterschied zwischen Stalaktiten und Stalagmiten. Der Höhlenführer sorgt für Aufklärung: Beide sind Tropfsteinsäulen, die entweder nach oben nach unten hängen, oder von unten nach oben emporragen.
Das Tropfwasser dringt aus Spalten in die Höhle ein, bildet an der Decke Tropfen, die wegen ihres wachsenden Gewichtes von der Decke fallen. In der Zwischenzeit gibt das Wasser einen geringen Betrag an Kohlendioxid an die Höhlenluft ab. Dadurch fällt der Kalk aus und wird an der Höhlendecke abgelagert. So entstehen in der Fachsprache als Sinterröhrchen bekannte Formationen – die Vorstufe eines Stalaktiten. Stalaktiten sind deutliche schlanker als Stalagmiten und laufen nach unten dünn aus. Stalagmiten hingegen wachsen von unten nach oben. Wenn es in Hunderttausenden Jahren dazu kommt, dass sich Stalaktit und Stalagmit treffen, dann entsteht ein sogenanntes Stalagnat. Auch in der Bärenhöhle gibt es einige Stalagnate.
Die Tropfsteine, die in der Bärenhöhle anzutreffen sind, haben unterschiedliche Formen angenommen. Der Besucher darf dabei ruhig seiner Phantasie freien Lauf lassen und die Kunstwerke der Natur interpretieren. Der Weihnachtsmann mit dem Geschenksack auf dem Rücken, Schneewittchen und die sieben Zwerge, die Heilige Jungfrau Maria oder aber der Mann mit der Kaffeetasse: Sie alle können Touristen in der Bärenhöhle antreffen. Auch ein versteinerter Bär, der von dem Erdbeben überrascht wurde, fliehen wollte und dabei in einem Spalt in der Höhlendecke steckenblieb, ist da zu sehen. Es ist natürlich kein richtiger Bär, sondern nur eine Figur aus Stein.
Die Stalaktiten und Stalagmiten, die entlang des Pfades zu sehen sind, sollte man nicht anfassen. Darauf weisen die Höhlenführer ausdrücklich hin, noch bevor die Führung beginnt. Trotzdem können sich nur die wenigsten Touristen die Geste verkneifen, die eine oder andere Formation zu berühren. Vor allem, um zu sehen, ob es Stein oder Eis ist. Denn tatsächlich hat man das Gefühl, man wäre von Eisgegenständen umgeben.
Die Führung durch die dunkle Höhlenwelt dauert zirka 45 Minuten. Es ist ein faszinierender Rundgang an einem sagenumwobenen Ort, der ganz und gar nicht Angst einflößend ist, wie das eine oder andere Kind wohl denken könnte. Auch Kinder fühlen sich in der Kaverne wohl und raten fleißig mit, wenn der Gruppenleiter zur Interpretation der Kalkformationen auffordert. Für Groß und Klein ist die Bärenhöhle bei Chişcău einen Besuch wert. Sie gehört auf jeden Fall in das Top-25-Ranking der Sehenswürdigkeiten in Rumänien, die man mindestens ein Mal im Leben besichtigt haben muss.