Seien Sie gewarnt: Sollten Sie auf die kommende Frage eine falsche Antwort geben, könnten Sie aus dem Lokal geworfen werden, wie dies seinerzeit einem Gast des Wiener Beisls „Neugröschl“ widerfahren ist. Der Mann hatte zum Abschluss einen Kaiserschmarrn mit Kompott bestellt, bekam einen Kaiserschmarrn mit einer Portion Zwetschkenröster als Beilage, behauptete irrsinnigerweise, Zwetschkenröster sei kein Kompott und wurde, nachdem er noch einmal gefragt wurde, ob Zwetschkenröster ein Kompott sei oder nicht, von Herrn Neugröschl persönlich hochgekrempelt, mit der einen Hand am Genick gepackt, mit der anderen um die Taille und zur Türe hinaus befördert. So zumindest wusste sich Friedrich Torberg, der literarische Vater der unverwüstlichen Tante Jolesch, an das Geschehene zu erinnern. Mit Neugröschl war kein Spaß erlaubt. Soll er doch nach dem Rauswurf des dreisten Gastes gedroht haben: „Es sind noch ein paar da, die sagen, Zwetschkenröster sei kein Kompott! (...) Aber ich kenn sie alle!“
Nun, den Kaiserschmarrn kennen inzwischen auch sehr viele Rumänen, die in den vergangenen Jahren Wien entdeckt haben und immer wieder in die österreichische Hauptstadt für eine Einkaufstour, einen Wochenendausflug oder einen Museums- und Christkindlmarkt-Besuch hingefahren sind. Hier sollen allerdings nicht die Museen und auch nicht die Einkaufsstraßen im Mittelpunkt stehen, sondern das kulinarische Wien, die weltberühmte Wiener Küche.
Einen solchen Streifzug durch Wien sollte man mit dem Herzstück der österreichischen Kulinarik beginnen, dem angeblich so banalen Wiener Schnitzel. Nur wer sich schon selbst im Panieren und Ausbacken versucht hat, wird aber verstehen, dass ein Wiener Schnitzel nichts für Laien ist und dass das perfekte Wiener Schnitzel dem Koch einiges an Können abverlangt. Zur Perfektion getrieben hat das eindeutig Hans Figlmüller, sein „Original Wiener Schnitzel vom Kalb mit Erdäpfel-Vogerlsalat“ finden Sie in der Wollzeile 5 und der Bäckerstraße 6 im 1. Bezirk sowie in Döbling. Gehen Sie aber nicht ohne Reservierung hin, sonst werden Sie lange in der Warteschlange stehen und sich mit lärmenden Italienern und Spaniern älterer Semester herumschubsen müssen.
Ach, und wenn Sie Ihr in Schmalz goldbraun herausgebackenes Schnitzel nicht mit Erdäpfel-Vogerlsalat genießen wollen und sich für eine andere Beilage, Reis zum Beispiel, entscheiden, wundern Sie sich nicht, wenn der Kellner die Bestellung mit einem recht angewiderten Blick entgegennimmt. Denken Sie immer an Herrn Neugröschl und versuchen Sie bloß nicht, einen Wiener Kellner mit einer derartigen Grobheit zu beleidigen. Bestellen Sie Ihr Original Wiener Schnitzel wie es sich gehört, mit Erdäpfel-Vogerlsalat. Der Kellner weiß schon warum, stellen Sie keine unnötigen Fragen.
Mögen Sie Rindfleisch und wollen mehr als „nur ein Schnitzel“, dann begeben Sie sich in den „Rindfleisch-Olymp“ des Herrn Ewald Plachutta. Der Mann trägt seit 2005 den Berufstitel „Professor“, für etwas mehr als 20 Euro serviert er Ihnen in der Wollzeile 38 einen Klassiker der Wiener Küche, an den Sie sich zweifelsohne erinnern werden, den Tafelspitz. Mehr als ein Dutzend Arten von Rindfleisch kennt die Wiener Küche und auch dafür hat sie internationale Bekanntheit erlangt. Der Tafelspitz besteht aus einem mit Suppengrün oder Brühe gekochten, ganzen Stück Knöpfl oder Schlegl, einem Schwanzstück, das in Scheiben geschnitten wird, entsprechend der Wiener Methode zur Teilung von Rindfleisch. Plachutta serviert ihn mit Apfelkren und knusprigen Bratkartoffeln, aber schon allein die abgeseihte Suppenbrühe ist vor allem im Winter ein Genuss. Wenn Sie in der Wollzeile keinen Platz mehr finden, versuchen Sie es doch in dem Hietzinger Lokal bei Schloss Schönbrunn, in Nußdorf oder im Plachutta-Gasthaus zur Oper in der Walfischgasse, das allerdings das Schnitzel in den Fokus rückt und Figlmüller herausfordert.
Figlmüller und Plachutta stehen zu Recht in jedem Wiener Reiseführer. Und deshalb sind auch viele Touristen dort, obzwar auch der Wiener selbst doch noch hingeht. Wer weg von den Touristenmassen will, dem empfehlen sich zum Beispiel das Lokal „Gustl kocht“ in der Erdbergstraße im 3. Bezirk, dann der „Gmoakeller“ am Heumarkt, ebenfalls im 3. Bezirk, oder das Gasthaus „Rebhuhn“ in der Berggase in Alsergrund. Im „Gustl kocht“ lebt das Habsburgerreich fort, es hat sich dort hinter Pörkölt, altpolnischen Rostbraten, Pierogi und Marillenpalatschinken versteckt. Der „Gmoakeller“ steht für die alt-neue Wiener Küche: Es gibt Leberknödelsuppe und Blunzen-Gröstl, Zwiebelrostbraten und ausgezogenen Apfelstrudel.
Haben Sie sich mit einem Original Wiener Schnitzel oder mit einer Portion Tafelspitz satt gegessen und können nicht mehr? Dann gönnen Sie sich zunächst einmal einen Spaziergang, bevor Sie mit einer Mehlspeise und einer Schale Kaffee Ihren kulinarischen Rundgang fortsetzen. Wenn Sie noch immer an den Kaiserschmarrn denken und der Frage nach dem Kompott nachgehen wollen, dann empfiehlt sich „Heindl´s Schmarren- und Palatschinkenkuchl“ in der Köllnerhofgasse im 1. Bezirk. Ein bisschen heruntergekommen wirkt das Lokal, irgendwie riecht es nach den 1980er Jahren, eine merkwürdige Mischung zwischen Alpenkitsch und Neuer Deutscher Welle. Aber der Kaiserschmarrn mit Zwetschkenröster schmeckt, die Portionen sind riesig und die Auswahl groß. Es gibt den Schmarrn in allen möglichen Varianten, niemand schmeißt Sie raus, niemand spielt den Oberlehrer in Sachen Kompott. Allerdings hat sich der Autor dieser Zeilen kein einziges Mal getraut, dumme Fragen zu stellen, Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Weisheit.
Wollen Sie keinen Kaiserschmarrn? Lieber eine Sachertorte? Dann brechen Sie auf, über den Stephansplatz und die Kärntner Straße zum Café Sacher. Sie bekommen dort Ihr Stück Torte, aber Achtung, obzwar das Ambiente stimmt, obzwar der adrette und so höfliche ältere Kellner sich um Ihr Wohlergehen kümmert, die Torte schmeckt ein bisschen nach Industrieware. Nicht unbedingt schlecht, aber trotzdem ein massenhergestelltes Produkt. Mundet die Sachertorte nicht, gehen Sie zur Konkurrenz! Reihen Sie sich beim „K. u. k. Hofzuckerbäcker Demel“ am Kohlmarkt in die Warteschlange ein und probieren Sie, wenn Sie Glück haben, gemeinsam mit ernsthaft blickenden Arabern, herumzappelnden Japanern und kreischenden jungen Amerikanern die Annatorte, ein Gaumenschmaus sondergleichen, diese nach der langjährigen Leiterin des Kaffeehauses Demel benannte Schokoladentorte aus drei Biskuit-ähnlichen Bodenschichten mit einer dunklen Schokoladenbuttercreme dazwischen, Orangenlikör und einer Nougateindeckung. Allemal besser als die Sachertorte!
Dann bleibt noch der Kaffee. Es gibt natürlich die altbekannten Traditionshäuser, jene, über die Torberg und seine Kumpanen geschrieben haben. Zum Beispiel das Café Landtmann am Universitätsring oder das Prückel am Stubenring, das Diglas in der Wollzeile und selbstverständlich das weltberühmte Café Central in der Herrengasse. Das Café Herrenhof und den Griensteidl am Michaelerplatz gibt es nicht mehr. Versuchen Sie es vielleicht auch im Café Engländer in der Postgasse. Aber egal wo Sie hingehen, vergessen Sie nicht: Ob Sie eine Melange, einen Kapuziner, eine Schale Gold ohne, einen Nuß mit oder einen Kaffee verkehrt bestellen, Sie bekommen einen Milchkaffee. Wir wissen das, seit Anton Kuh es niedergeschrieben hat, 1933, in der Süddeutschen Sonntagspost, kurz bevor die Wiener Kaffeehauskultur, das Judentum und die Beisl-Atmosphäre untergingen.
Und wenn Sie den ganzen Tag herumgelaufen sind, wenn Sie am Vormittag in der Albertina waren und am Nachmittag in der Hofburg oder wenn Sie einfach vom Einkaufen müde geworden sind und sich eine Kleinigkeit zwischendurch gönnen wollen, versuchen Sie es doch an einem Würstelstand. Oder gehen Sie in den Augustinerkeller unter der Albertina und stillen Ihren Hunger mit Sacherwürstel mit Kren und einem Millirahmstrudel. Oder gedulden Sie sich bis zum Abend und gehen dann in das kleine, enge Café Hawelka in der Dorotheergasse. Ergattern Sie einen winzigen Tisch und fragen Sie bloß nicht nach der Karte. Es gibt keine und der ungarische Kellner wird Sie mit einem bösen Blick bestrafen. Bestellen Sie die Buchteln. Die berühmten, ofenfrischen, mit Powidl gefüllten Buchteln der Frau Josefine Hawelka, die heute von ihren Enkelsöhnen weiter gebacken werden. Und seien Sie sicher, dass Sie diese Buchteln zu Hause nicht backen können. Genauso wie ein reichsdeutsches Ehepaar, obwohl es das Rezept der Salzburger Nockerln auf den Punkt genau aufgeschrieben hat, diese österreichische Süßspeise nie hat zubereiten können. Denn es fehlte eine Zutat, und welche die war, kann nur bei dem anfangs erwähnten Torberg nachgelesen werden. Man muss sich also damit abfinden, und wenn man Lust auf Schnitzel und Tafelspitz hat, auf Annatorte und Buchteln, einfach nach Wien fahren.