Während des Urlaubs versuchen wir immer, einen neuen Ort oder eine neue Kultur kennenzulernen. Man erkundet in der Regel zuerst seinen Geburtsort und die Umgebung, begibt sich dann auf kurze Ausflüge, Citybreaks oder unternimmt Reisen im In- und Ausland. Wie wäre es, wenn man auch auf eine Zeitreise gehen könnte? Auf eine Reise in die Vergangenheit lädt das Museum „Micul Paris“ (Kleines Paris) in Bukarest ein.
Im Herzen der Bukarester Altstadt verbirgt sich ein kleines, aber feines Museum. Der Eingang zum relativ neuen Privatmuseum „Kleines Paris“ in der Lipscani-Straße Nr. 41 liegt eigentlich in einer leicht übersehbaren Allee. Ein paar Schritte weiter – und verpasst! Endlich angekommen, steigt man die Treppe des Gebäudes hinauf, das einst den Philanthropen Ioan und Elena Dalles gehört hat, und tritt im ersten Stockwerk sofort in ein anderes Zeitalter.
Führungen mit einem vornehmen Gentleman
Im Entrée kann man Hut und Mantel ablegen und wird von einem altmodischen Gentleman namens Eugen Ciocan empfangen. Dieser ist Absolvent der Fakultät für Filmregie an der Universität für Theater- und Filmkunst „I.L. Caragiale“ in Bukarest, Gründer des Museums und Meisterfotograf. Ursprünglich hatte er hier ein kleines Fotostudio eingerichtet und mit antiquarischen Gegenständen aus seiner Sammlung dekoriert. Ciocan stammt offensichtlich aus einer vornehmen Familie, spricht Französisch mit Muttersprachakzent und weiß alte Gegenstände, Kleidungs- und Möbelstücke zu schätzen. Im Laufe von 20 Jahren hat er genügend Stücke für die Eröffnung eines kleinen Museums gesammelt. So ist das Museum „Kleines Paris“ 2017-2018 entstanden. Das Vier-Zimmer-Appartement hat er sorgfältig restauriert, geschmackvoll eingerichtet und dekoriert, um eine bürgerliche Wohnung so nachzubilden, wie sie um die Jahrhundertwende 1900 ausgesehen hätte, als die Hauptstadt Rumäniens aufgrund der vielen Neubauten und der Einfuhr von französischer Mode den Kosenamen „Kleines Paris“ trug.
Das Museum ist wie eine Zeitkapsel. Einmalig ist die Tatsache, dass man sich in unmittelbarer Nähe der Ausstellungsstücke befindet und diese sogar berühren kann, da sie nicht in Glaskästen stehen. Obwohl dies für die Erhaltung der alten Gegenstände nicht empfohlen wird, setzen sich einige sogar Vintage-Hüte auf den Kopf und lassen sich damit fotografieren. Der Inhaber des Museums muss während seiner Führungen auch da-rauf aufpassen, dass die Exponate von den Besuchern nicht getragen werden oder verschwinden. An Antiquitätenliebhaber hat er dennoch gedacht, zumal er dort, wo einst wahrscheinlich die Küche gewesen war, einen Museumsladen eröffnet hat.
Ost und West prallen aufeinander
Das Museum hat einen verhältnismäßig umfangreichen Bestand von über 1000 Exponaten, die in einer besonderen Szenografie ausgestellt sind, welche den Räumen eine entsprechende Atmosphäre verleiht. Mehrere historisch zutreffende Stile koexistieren friedlich und fließen ineinander.
Im rechten Flügel des Museums liegen nebeneinander zwei stilistisch entgegengesetzte Salons. Der türkische und der französische Salon sind von einer Wand und widersprüchlicher Ästhetik voneinander getrennt, aber im selben Raum. Szenografisch gesehen vertritt dieses Sinnbild die stilistische Realität des 19. Jahrhunderts in der rumänischen Hauptstadt am Tore des Orients, wo die morgen- und abendländische Mode aufeinandertrafen und koexistierten. Man erwartet, dass jederzeit französischsprachige elegante Damen und Herren sowie Bojaren mit großen, runden Ischlik-Hüten und Prinzessinnen mit kostbaren byzantinischen langen Kleidern aus den Salons stürmen.
Der türkische Salon ist der orientalischen Teekultur, der Unterhaltung und dem Ausruhen gewidmet. Ein handgeschnitztes Schachbrett und die Wasserpfeife dürfen nicht fehlen. Auf dem Sofa wartet eine Laute, dass ein geschickter Instrumentalist ihre Saiten zu den Rhythmen eines Liebesliedes streichelt. An der Decke und den Wänden hängt eine kleine Sammlung von türkischen metallenen und Glasmosaiklampen, die den Raum mit einem angenehmen, gedimmten, warmen Licht erfüllen.
Der französische Salon daneben ist ganz im Gegenteil vom hellem Tageslicht erfüllt, scheint dank der optischen Illusionen der Wandmalerei sehr hoch und breit zu sein. Die Familie, die hier gewohnt hätte, würde Besucher bestimmt zu einem Tee und Nachtisch auf einer neoklassischen Terrasse, zu einem Lesenachmittag oder zu einem Ball im Licht der Kronleuchter aus Kristall eingeladen haben.
Mode und Lebenskunst
Geht man in den linken Flügel des Museums, so betritt man einen Raum, der ausschließlich der Mode im Bereich Kleidung gewidmet ist. Sanfte seidene Alltagskleider in zarten Pastelltönen, Flappergirl-Kleider, elegante Abendkleider mit fein genähten Perlenmustern, reizende Hüte in überraschenden Formen für verschiedene Gelegenheiten aus der Sammlung der bildenden Künstlerin Raluca Alexandru-Partenie, Spitzenhandschuhe, -sonnenschirme und -fächer hängen um das Boudoir. Die Prunkstücke dieser Ausstellung mögen die beiden Hochzeitsoutfits aus den 30er Jahren sein, wobei das ärmellose, mittellange Brautkleid zu jener Zeit als unsittlich und skandalös gewirkt haben soll. Das benachbarte Zimmer soll einen Einblick in die frühere Lebenskunst geben. Auf erstem Blick scheint es zwar ein wenig überfüllt, aber bei näherer Inspektion entdeckt man eine bestimmte Einteilung in verschiedene thematische Gebiete und die dazugehörenden Gegenstände. Somit enthält ein einziger Raum eine Wohnzimmerecke, eine Schlafzimmerecke, eine als Schreibzimmer mit Schreibgegenständen und Schreibmaschine ausgestattete Ecke, einen Arbeitstisch, wo genäht und gestrickt wurde, ein Wählscheibentelefon usw. Überraschenderweise ist auch eine Bauernecke mit Volkskunst vorhanden, weil auch Bauern und Händler eine Alltagserscheinung in der Leipziger Straße (Str. Lipscani), einem früheren Markt- und Handelsplatz, und Teil der Straßenlandschaft in der Bukarester Altstadt vor einem Jahrhundert waren.
Letztlich kann man sich ein mit kobaltblauen und weißen Wandfliesen, einem Waschbecken mit fein geschnitzten Beinen und einem mit goldfarbenen pflanzlichen Motiven und Schleifen dekorierten Spiegel ausgestattetes Badezimmer ansehen, wo ein Herrenbademantel und Pflegegeräte ausgestellt sind.
Teepause oder romantisches Essen?
Noch kaum an diese frühere Welt und die Anschauung der Vorfahren gewöhnt, möchte man die schöne Wohnung vielleicht noch nicht verlassen. Leuten mit einer nostalgischen, feinfühligen Seele bietet das Museum nicht nur einen Geschenkladen, sondern für eine Extra-Summe auch die Verlängerung des Besuches auf eine Teepause in der angenehmen Atmosphäre seiner Räume, wobei der Tee und ein Imbiss in besonderem Porzellangeschirr mit silbernem Besteck aus dem Museumsbestand serviert werden.
Liebes- und Ehepaare können auch ein romantisches Festessen bei Kerzenlicht im Vorhinein bestellen. Dabei wird für das Paar das gesamte Museum nach 19 Uhr reserviert und man kann zwischen drei Menüvarianten bestehend aus Vorspeise, Hauptgericht, Nachtisch, Champagner und Wein wählen. Dies ist bei 990 Lei (knapp 200 Euro) etwas kostspieliger, aber für die Atmosphäre allein und die besondere Erfahrung, die man mit seiner besseren Hälfte teilen darf, lohnt es sich.
Fotos in klassischer Technik als Souvenir
Ein anderer höchst empfehlenswerter Dienst des Museums sind die künstlerischen Fotos in klassischer Technik, die mit einer historischen Kamera aufgenommen, schwarz-weiß oder sepiabraun entwickelt oder von Hand gefärbt werden.
Der Museumsinhaber und Meisterfotograf, Eugen Ciocan, betont, sein Studio sei das letzte in Europa, in dem Fotos noch manuell gefärbt werden. Er ist außerdem der Ansicht, „ein künstlerisches Foto geht über die Zeit hinaus und ist ein Anlass für schöne Träumerei“. Daher bietet er Besuchern nicht nur eine immersive Erfahrung in seinem Museum, sondern auch die Möglichkeit einer auserlesen schönen Erinnerung. Interessenten können zwischen einem Porträtfoto im Glamour-Stil des goldenen Zeitalters Hollywoods mit Kinoprojektoren oder im Stil der Belle Époque, beides mit historisch passenden Kleidern und Accessoires aus dem Ankleideraum des Museums sowie entsprechender Frisur und passendem Makeup wählen. Im Stil der Belle Époque können auch Pärchenfotos oder Familienfotos bestellt werden. Dafür muss man sowohl ein paar Stunden im Museum verbringen, als auch zwischen 290 und 790 Lei (58-158 Euro) vorsehen.
Nicht umsonst wird das Museum „Kleines Paris“ von vielen als einer der schönsten Orte in Bukarest betrachtet. In der Rangliste der Bukarester Museen belegt es den zweiten Platz, laut der weltgrößten Reiseplattform Tripadvisor. Hier finden außerdem gelegentlich Theateraufführungen, Leseabende und andere Veranstaltungen statt. Diese werden immer auf der Facebook-Seite des Museums www.facebook.com/muzeulmiculparisbucuresti angekündigt.
Das Museum kann dienstags bis sonntags, von 11 bis 19 Uhr, besucht werden. Ein Ticket für Erwachsene kostet 30 Lei. Schülern, Studierenden und Rentnern wird eine Ermäßigung gewährt.