Im Rahmen dieser vierteiligen Serie werden ausgewählte preisgekrönte Aufsätze aus der vom Bildungsministerium veranstalteten nationalen Schüler-Olympiade für „Sprache und Literatur in deutscher Muttersprache” vorgestellt, die diesen April in Oberwischau/Vi{eu de Sus stattfand. Die Aufgabenstellung für die siebte Klasse lautete: Schreibe eine Geschichte zu diesem Bild:
Friedrich flog. Er flog wie von den Geisterkräften getragen in einer Badewanne, die durch dicke Seile an einen riesigen Wasservolleyball gebunden war. Die eigenartige Struktur erinnerte an einen Heißluftballon. Der Pilot trug passenderweise einen Matrosenanzug. Um sich herum sah er nur das Meer, der Himmel war bewölkt, doch kein Wind war zu spüren. Der Stellung der Sonne nach musste es noch Morgen sein. Die Wolken ließen nämlich reichlich Licht durch, um das erkennen zu können. Friedrich ließ sich den Flug gefallen und legte sich hin. Er ließ dem Schicksal freien Lauf, denn er konnte eh nicht vieles ausrichten, wie es nun mal in solchen Träumen ist. Nach etwas Zeit schaute er wieder durch das Fernrohr – vielleicht war inzwischen etwas geschehen. Die ganze Zeit hatte er langsam, aber sicher an Höhe verloren. Das machte ihm nichts aus. Er schien zu wissen, dass er unversehrt aus diesem Erlebnis davonkommen würde.
Vor ihm begann das Wasser zu rauschen, bald brodelte etwas und große Blasen stiegen aus dem tiefen Blau; Schaum und Dampf entstanden an dieser Stelle. Friedrich machte den Eindruck, als ob er wüsste, was als nächstes passieren würde – eine kleine Felsenspitze erhob sich über den Wasserspiegel; bald war der ganze Felsen zu sehen, der immer größer wurde, einige Baumspitzen ragten auch bald aus dem Wasser hervor und wie aus dem Nichts war eine Insel erschienen – eine von ansehlicher Größe. Das Wasser wurde schnell wieder still, und es sah aus, als ob die Insel seit Ewigkeiten da gelegen wäre. Friedrich konnte gar nicht die beiden Enden des neuen Landes erkennen. Er war noch anderthalb Kilometer von der Insel entfernt und beschloss, sie zu erforschen und zu kartografieren, da er sich eine Menge Glück und Ehre daheim versprach. Er genoss noch einige Zeit die Meeresluft und die Freiheit und Sorglosigkeit des Fluges. Als er sehr bald sein Ziel erreichte, löste sich seine Badewanne auf einmal von ihren Seilen und fiel einige hundert Meter vom Festland entfernt ins Wasser, sank jedoch nicht, wie Friedrich befürchtete, sondern trug ihn elegant, die Wellen schneidend, bis an eine schöne, sonnige und sandige Stelle am Ufer, wo er gemütlich absteigen konnte. „Und nun – ans Werk!”, dachte er, sich eine Ausrüstung aus dem Gefährt nehmend. Sein kleines Gummientchen, das sich bis vorhin brav in einer Ecke der Badewanne versteckt gehalten hatte, wollte jetzt auch mit. Es quiekte bettelnd an seinen Füßen. „Nein, Entchen, so eine Expedition ist nichts für schwache Gemüter wie du!”, erklärte der Nichtgernforscher und schubste es ins Wasser. „Da kannst du schön spielen, bis ich zurück bin.” Mit diesen Worten ging er in den dichten Urwald hinein. Er machte bunte Zeichnungen manch schöner Blumen und Schmetterlinge, die er später nach sich selber benennen wollte, da er es war, der sie entdeckt hatte, überwältigte manch wilde Bestie und arbeitete sorgfältig an seiner Karte. Doch musste der Spaß bald ein Ende nehmen. Die ehemaligen blaugrauen durchsichtigen Wolken wurden zu großen, unheilverkündenden, grauschwarzen Wolken. Ein Sturm, ein Monsun, würde bald sein Unwesen treiben, und jetzt galt es, so schnell wie möglich das Boot zu erreichen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Erste Wassertropfen prasselten auf die Blätter. Friedrich beeilte sich nunmehr, rechtzeitig am sicheren Ort anzukommen. Den Wind konnte man schon durch das Laub rauschen hören, die Erde war schon halb zu Matsch geworden, als er ins Boot, also in die Badewanne, sprang. Er paddelte jetzt wie ein Besessener, wusste selber nicht wohin. Der Wind machte das Meer gefährlich, die Wellen drohten sein Gefährt umzukippen. Das Boot erklomm manneshohe Wellen, rutschte sie wieder hinunter, wie von Zauberhand getragen. Da sah der Matrose noch eine Insel, wollte sie ansteuern, sich auf ihr einen Zufluchtsort suchen, bis sich die Wogen glätten würden. Durch Wind und Sturm und Regen kämpfte sich der tapfere Kapitän seinem Ziel entgegen. Und siehe da – die erwartete Landmasse war Friedrichs liebes Entchen. In dieser Größe sah es irgendwie bedrohlich aus, womög-lich war es ihm böse, weil es nicht hatte mitkommen dürfen, weil er es ins Wasser geschubst oder beleidigt hatte. Auf einmal wurde es Friedrich bange, auf einmal wurde er müde, er fühlte sich, als ob er einschlafen würde – oder das Gegenteil?
Er öffnete seine Augen und erwachte aus dem Traum. Das Entchen aber, es war immer noch so groß wie vorher. Ach nein, das kam ja davon, dass er auf dem Boden lag und das Entchen, so groß wie immer, direkt vor seinen Augen da lag. Jetzt erinnerte er sich – er war ja in seinem Badezimmer und wegen des Volleyballs gestolpert und hatte sich seinen Kopf verletzt. Jetzt konnte er wirklich nur noch über seinen Traum lachen, der der Handlung eines seiner Bilderbücher, abgesehen von dem Entchen, dem Volleyball und dem Matrosenanzug, ähnlich verlief.