Mein Freund eröffnete mir neulich, dass er sich ab jetzt ehrenamtlich für eine Kinderküche in unserer Heimatstadt engagieren möchte. Er promoviert gerade in Jura und geht leidenschaftlich gern klettern – eine große soziale Ader für benachteiligte Kinder hätte ich spontan jedoch nicht zu seinen Wesenszügen gezählt, hätte man mich gefragt. Das darf man jetzt nicht falsch verstehen, denn er ist wirklich ein sehr umgänglicher Typ, der selbst die unfreundlichsten und stursten Menschen zu besänftigen vermag. Aber kleine Kinder?
Als wir miteinander sprachen, fragte ich ihn geradeheraus: „Machst du das jetzt eigentlich, weil du plötzlich kleine Kinder magst oder weil es gut im Lebenslauf aussieht?“ Ein wenig verlegen antwortete er mir: „Ich würde schon sehr gerne etwas mit Kindern machen. Allerdings ist mir natürlich auch bewusst, dass sich ein Ehrenamt sicher nicht negativ auf meinen Lebenslauf auswirken wird.
Seit ich aus der Schule raus bin – nein, eigentlich schon, seit ich das erste Mal eine Schule betreten habe – ging es fast nur noch um eins: Qualifikation. Gute Noten für ein gutes Abiturzeugnis. Ein gutes Abiturzeugnis für den Wunschstudiengang. Wieder gute Noten für ein gutes Bachelor-Zeugnis...und so weiter und so fort.
All diese Informationen findet man dann, hübsch komprimiert, im Lebenslauf wieder. Nur das gute Noten mittlerweile eben nicht mehr auszureichen scheinen. Zusatzqualifikationen, Soft Skills, also zwischenmenschliche Kompetenz, und auch sonstige, möglichst schmeichelhafte Eigenschaften sind da gefragt.
Der künftige Arbeitgeber, sei es nur für einen Studentenjob oder den ersten Arbeitsplatz nach dem Studium, will genau einschätzen können, wie dieser Kandidat ihm gegenüber tickt. Und wenn man die bohrenden Fragen nach dem „Warum man dies oder jenes gemacht habe“ schon ein paar Mal erlebt hat, kann man sich immer besser in diejenigen hineinversetzen, die ihre Nebenjobs, Praktika und sogar Freizeitaktivitäten passend für ihren Lebenslauf auswählen.
Brüche im Lebenslauf?
Ein Auslandsaufenthalt scheint da mittlerweile schon zum Standard dazuzugehören, besser wären natürlich zwei oder drei. Dabei gilt das Motto: je exotischer desto besser. Hauptsache aus der breiten Masse herausstechen! Auch in meinem Freundeskreis kann man solche Anflüge beobachten: Praktika in indischen Waisenhäusern, bei einem Finanzinstitut für Mikrokredite in Ghana, bei den Vereinten Nationen in New York oder eine Befragung der Bauern in Indonesien. Dagegen mutet das Praktikum eines guten Freundes von mir bei einer Consulting-Firma in Barcelona schon fast langweilig an.
Auch mein Praktikum hier in Bukarest bei der ADZ sieht gegen diese ungewöhnlichen Tätigkeiten in Übersee wohl eher unspektakulär aus. Und dennoch: Bei meinen unzähligen Bewerbungsgesprächen wurde ich auf meinen anstehenden Auslandsaufenthalt in Rumänien angesprochen. Der Chef der Kommunikations-Controlling Firma, bei der ich ab März übrigens einen Praktikumsplatz habe, möge solche „Brüche“ in Lebensläufen, sagte er anerkennend.
Sind „Brüche“ im Lebenslauf nun also das Geheimrezept, um potenzielle Arbeitgeber zu begeistern? Und was genau sind diese „Brüche“ überhaupt?
Im Manager-Magazin las ich einmal ein Porträt über Timotheus Höttges, den Finanzvorstand der Deutschen Telekom. Er war in keinen guten Familienverhältnissen aufgewachsen, scheint aber genau dies für seinen beruflichen Erfolg verantwortlich zu machen. Höttges gab zu, Bewerber nach ihrem familiären Hintergrund zu fragen und vorzugweise jene auszuwählen, bei denen es „Brüche“ gab – diese würden die Kandidaten viel widerstandsfähiger machen.
Auch wenn dieses Beispiel sicher sehr extrem ist, so zeigt es doch, dass ein perfekter, geradliniger Lebenslauf mittlerweile nicht mehr gefragt zu sein scheint. Doch worauf der potenzielle Arbeitgeber nun genau Wert legt, ist ein großes Rätsel. Spreche ich mit meinen Freunden und Kommilitonen darüber, kann man die Fragezeichen über unseren Köpfen förmlich spüren, es herrscht allgemeine Ratlosigkeit.
Womit man wieder am Ausgangspunkt wäre: Am besten, man macht möglichst spektakuläre Sachen an möglichst ungewöhnlichen Orten oder bei möglichst anerkannten Unternehmen. Oder eben ein Ehrenamt, denn soziale Kompetenz zu zeigen, kann schließlich nie schaden! Nichts wird mehr dem Zufall überlassen. Sammeln wir Erfahrungen nur noch für den Lebenslauf und machen nichts mehr ohne Hintergedanken?
Lieber mal ‘ne Auszeit
Dabei weiß keiner, was diese ominösen potenziellen Arbeitgeber wirklich wollen. Warum also nicht einfach das machen, was einem Spaß macht? Warum nicht Experimente wagen?
Als ich mit meinen deutschen Mitbewohnern hier in Bukarest, übrigens allesamt Praktikanten, über das Thema sprach, kam zum Vorschein, dass sie das ganz genauso sehen. „Weißt du, ich habe damals so viel gemacht, wovon ich dachte, dass es später mal super für meinen Lebenslauf wäre“, meinte meine Zimmernachbarin, die für acht Wochen bei der Deutschen Botschaft arbeitet. „Während der Schulzeit habe ich beispielsweise viel an europäischen Tagungen teilgenommen. Aber letztendlich musste ich feststellen, dass manche das gar nicht zu interessieren scheint. Seitdem habe ich es aufgegeben, Dinge nur für meinen Lebenslauf zu machen!“
Alle anderen stimmten zu. Statt krampfhaft zu versuchen, den Lebenslauf durch immer bessere und vermeintlich interessantere Aktivitäten zu optimieren, kann es sicher nicht schaden, sich einmal eine Auszeit zu gönnen. Statt von der Schule direkt ins Studium und dann direkt in den Job zu gehen, könnte man beispielsweise reisen – egal wohin und wie lange.
Nach meinem Abitur war ich ein Jahr lang in Australien und Neuseeland unterwegs. Auch wenn viele dies als „einjährigen Urlaub“ oder „vergeudete Zeit“ abgestempelt haben, möchte ich diese Erfahrung dennoch nicht missen. Zwar wird sie mich berufstechnisch sicher nicht weiterbringen, doch für mich persönlich war diese Zeit trotzdem wichtig. In dem Jahr konnte ich mir immerhin darüber klar werden, was genau ich studieren möchte, womit ich überstürzte Entscheidungen schließlich ganz gut vermeiden konnte.
Daher plädiere ich dafür, nicht immer den „perfekten“ Lebenslauf (wie auch immer der aussehen mag) im Blick zu haben und stattdessen etwas zu machen, wofür man wirklich brennt. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht in den Lebenslauf passt!