Ein einziger Kinosaal ist in Hermannstadt/Sibiu übriggeblieben: „Arta“, am Anfang des Mihai-Viteazu-Boulevards. Dorthin aber gehen Filmliebhaber selten. Hingegen sind andere Veranstaltungssäle voll, wenn Filmfestivals oder -präsentationen organisiert werden. Vom Keller der Humanitas-Buchhandlung bis hin zum großen Saal des Gewerkschaftskulturhauses.
Weil der Saal des Astra-Film-Studios – wo man wöchentlich Streifen vom gleichnamigen Hermannstädter Dokumentarfilmfestival zeigt – nur rund 50 Leute fasst, wurde am vergangenen Wochenende ein Ausstellungssaal im Franz-Binder-Museum in einen Kinosaal verwandelt. Am Donnerstagabend lief dort zweimal der mit dem Goldenen Bären preisgekrönte Streifen von Călin Peter Netzer „Poziţia copilului“ und parallel dazu auch im Astra-Studio-Saal. Weitere Vorführungen dieses Filmes gab es Samstagabend sowie Sonntag und dennoch konnten nicht alle, die es gewollt hätten, den Streifen sehen, weil sie es verpasst hatten, sich rechtzeitig einen Platz zu reservieren. Am Freitag wurde ebenda „Rocker“ und am Samstagnachmittag „Domestic“ gezeigt, d. h. zwei weitere Produktionen der jungen Generation rumänischer Regisseure. Unter technischen Bedingungen, die es im Arta-Kino nicht gibt, und dank derer man jedes Wort verstehen konnte.
Der in Berlin gewonnene Preis und das dadurch erhaltene Renommee hat die Leute auf den Streifen von Netzer neugierig gemacht und zur Vorführung gelockt, zumal am Donnerstag auch die drei Hauptdarsteller Lumini]a Gheorghiu, Bogdan Dumitrache und Ilinca Goia sich geduldig, unkompliziert und bar jedweder Starallüren den Gesprächen mit dem Publikum und Journalisten stellten.
Der Goldene Bär sei tatsächlich sehr bedeutend für den Publikumszulauf, jedoch habe der Streifen vorher schon Abnehmer gefunden und eine positive Rezeption gehabt, sagte Gheorghiu. Aber Netzers Story geht nahe und ist dank der großartigen Hauptdarstellerin den beiden anderen neuesten Werken der beiden jungen rumänischen Regisseure überlegen.
Die von Marian Crişan nachgezeichnete Geschichte des in die Jahre gekommenen Rockers – hervorragend gespielt vom Klausenburger Schauspieler Dan Chiorean – der seinen drogensüchtigen Sohn (dargestellt vom Hermannstädter Alin State) unterstützt, selbst Rocksänger zu werden und dabei soweit geht, dass er ihm Drogen beschafft, zeigt in gewisser Weise die umgekehrte Eltern-Kind-Beziehung: Dominiert in Netzers Streifen die Mutter den Sohn, so wird in „Rocker“ der Vater vom Sohn unter Kuratel gestellt. Ebenfalls eine Vater-Sohn-Beziehung und darüber hinaus das soziale Gefüge in einem Wohnblock in Bukarest schildert mit zuweilen bitterem Humor der neue Streifen von Adrian Sitaru „Domestic“. Beide Filme kann man ansehen, verpasst aber nicht viel, wenn man es nicht tut.
„Pozi]ia copilului“ widerspiegelt die heutige rumänische Gesellschaft sehr gut. Gefragt, wie der Titel des Filmes zu deuten sei, erklärte Bogdan Dumitrache, dass sowohl die Haltung von Barbu als auch jene des von ihm angefahrenen Jungen in diesem Titel angedeutet seien. Für ihn sei jede Rolle eine Art Studienzeit, denn er gerate in Situationen, die er sich sonst nicht vorstellt. Als Schauspieler nehme man aus jeder Rolle etwas für das Leben mit, nach dieser Rolle aber habe er die Beziehung zu seinen Eltern neu gewertet.
Ob sie die Beziehung zu ihren Töchtern umbewertet habe, wurde Luminiţa Gheorghiu gefragt, welche die aufopferungsvolle Mutter spielt. Ihr sei die Frage gestellt worden, ob sie auch im wirklichen Leben für ihr Kind dasselbe getan hätte wie im Film. Einen Augenblick lang habe sie nachgedacht und dann mit „ja“ geantwortet, sagte die Schauspielerin. Ihr wurde gesagt, sie habe als Cornelia alle Mütter der Welt gespielt. Das sei nicht richtig, sagte die Schauspielerin, sie habe nur diese eine Mutter dargestellt. Jede Mutter bleibt Mutter, d. h. in der Position/Stellung/Haltung des Elternteiles.