Im Hermannstädter Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“ wurde zu Winterbeginn eine Ausstellung eröffnet, die einiges Aufsehen erregte. Wer war dieser Maler, von dem kaum jemand etwas gehört hatte? Dieser Frage hatte die Leiterin des Hauses vorgebeugt und die richtigen Leute eingeladen. Mihaela Nevodar, Leiterin des Harbachtalmuseums in Agnetheln, stellte die Bilder zur Verfügung, die sich heute im Besitz des Museums befinden. Der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Agnetheln in Deutschland und ihrer Leiterin Helga Lutsch ist die Initiative zu verdanken, ihren „Misch“ und seine Bilder wieder an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Und die bekannte Kunsthistorikerin Irmgard Sedler kam als Vertreterin des Siebenbürgischen Museums von Gundelsheim, um den kunsthistorischen Wert der Bilder und den Werdegang Barners zu beleuchten. Ihnen oblag es nun, Namen und Werk dieses hochtalentierten Künstlers an jenen Platz zu rücken, der ihm in der siebenbürgisch-sächsischen Kunst längst gebührt.
Seit Gerhild Rudolf Leiterin des Teutsch-Hauses ist, gehören Kunstausstellungen zum festen Programm dieser Kulturinstitution. Man erinnert sich an oder präsentiert Künstler aus Siebenbürgen, die es nicht verdienen, in der Vergessenheit zu verschwinden. Wer erinnert sich nicht begeistert an die Neuentdeckung des Architekten Fritz Balthes und die Fahrt zu seinen hinterlassenen Baudenkmälern! Die Schäßburger HOG würdigte ihrerseits die Ausstellung über ihren Landsmann und lud Gerhild Rudolf zu einem Vortrag nach Deutschland ein. Mit verspäteter Veröffentlichung von Katalogen und Kunstbüchern kann endlich eine große Lücke geschlossen werden.
Doch wer war Michael Barner eigentlich? Als ich Anfang der 60er Jahre Studentin in Bukarest war, erzählte mir mein Vater, damals Buchhalter im Birthälmer Altenheim, von einem Agnethler, der bei ihnen gelandet war und einst ein großer Maler gewesen sei. Leider war ich nur kurz zu Hause und habe nicht weiter gefragt, denn mein Vater muss viel gewusst haben. Barner starb bald darauf an einer Blinddarmentzündung im Mediascher Spital, und mein Vater bewahrte noch lange ein kleines auf Sperrplatte gemaltes buntes Häuschen als Erinnerung auf.
Michael Barner wurde 1881 als Sohn eines Schuhmachermeisters in Agnetheln geboren. Sein Vater Johann stammte aus Hundertbücheln, die Mutter Sofia aus Agnetheln. Von sieben Kindern überlebten nur drei. Michael war ein aufgewecktes und besonders begabtes Kind. Schon als 14-Jähriger schenkte er eine besonders gelungene Zeichnung seiner Mutter zum Namenstag. Seine Eltern förderten den Jungen, schickten ihn auf die ungarische Handelsschule nach Fogarasch und zur Matura nach Kronstadt. Er sollte einen Beruf erlernen, für seine künstlerischen Ambitionen hatten sie nichts übrig. Trotzdem waren sie es, die ihm „die anfänglichen Weichen für seinen Werdegang“ gestellt haben, so Irmgard Sedler. Aber sie waren keineswegs begeistert, als er schon 1900 in Budapest seine gutbezahlte Stelle aufgab und eine Malerklasse der Kunstakademie besuchte. Durch die Millenniumsfeier hatten die Kunstbestrebungen in Ungarn einen großen Aufschwung genommen, zahlreiche Malerschulen waren entstanden. Man wurde bald auf den jungen Sachsen aufmerksam, er erhielt Preise, eine Studienreise wurde ihm ermöglicht. Sein 1903 entstandenes Selbstporträt zeigt einen selbstbewussten jungen Mann, der sich seines Wertes gewiss ist. Obwohl er erst 22 Jahre alt war, zeugt das Bildnis „von einer besonderen künstlerischen Reife“.
Inzwischen hatte er in seinem Freund Johann Brenner einen Mäzen gefunden, der ihn unterstützte und ihm eine ausgedehnte Studienreise ermöglichte. Über Budapest und München gelangte er nach Brüssel und Amsterdam, wo er in den Museen die großen Künstler der Welt bewunderte. Er schrieb an seinen Freund, er fühle sich wie „auf dem Gipfel eines großen Gebirges, auf dem man anlangt, um einen umfassenden weiten Ausblick“ genießen zu können. In dieser Zeitspanne, so Irmgard Sedler, entdeckt er, besonders in den Amsterdamer Galerien und danach in Frankreich, die Farbwelt der Fauves und verschrieb sich der Farbe. Eines seiner Bilder erinnert an den frühen Mondrian. Sein nächstes Ziel war Rom, wo ihm der aus Siebenbürgen stammende Maler Robert Wellmann weiterhalf. In der Scola Libera perfektionierte er sich im Aktzeichnen. Die Linie wurde ihm zu „Sprache und Emotion, Energie und Rhythmus“. Die Verbindung zu seinen ungarischen Malerkollegen brach nie ab, in Paris ist er zeitweilig bei einem ungarischen Kollegen untergebracht.
Um 1907 erfolgte die „Wende zum Plein-air“, seine Landschaftsbilder huldigen vor allem der Farbe, es ist sein „Weg zur Farbe als neues und eigentlich empfundenes Ausdrucksmittel“. Seine neuen Bestrebungen lassen ihn die Porträtkunst vergessen, die Farbe beherrscht ab nun seine Landschaftsbilder. Anhand eines seiner Bilder aus dem Harbachtalmuseum werden „Visionen in gleißendem Gelb und Rot“ dargestellt; das bunt gespiegelte Licht des Meeres, Möwen und Wolkenspiele am klaren Himmel berücken den Zuschauer.
Seine erste Ausstellung 1906 in Hermannstadt und eine weitere 1912 machten ihn nun auch in Siebenbürgen bekannt. Einheimische Maler und die Presse feierten ihn folgendermaßen: „Alle seine Bilder sind vielversprechend, sind Kraftproben, die berauschen...“ Doch dann geht es abwärts. Eine Blutkrankheit macht alle Zukunftspläne zunichte. Er kehrt in die „gute Kleinbürgerlichkeit“ seiner Heimatstadt zurück, zu der er ein Leben lang ein gespaltenes Verhältnis hatte. Aufenthalte in Nervenanstalten bringen keine Rettung mehr, seine „Kontakte zur Malerszene im Land und nach Europa“ werden unterbrochen, seine Künstlerlaufbahn neigt sich dem Ende zu. Doch jetzt entdecken ihn seine Landsleute, die ihm seinerzeit zu spießbürgerlich vorkamen. Er wird als „Heimatmaler wahrgenommen“. Um zu überleben, malt er Bilder auf Bestellung, bis zuletzt für ein Stück Brot und etwas Speck. Was er malt, sind die gewünschten Themen: Szenen aus dem siebenbürgischen Alltag und vor allem Bilder von Agnetheln, immer wieder die Kirchenburg und zahlreiche Blumensträuße aller Art. Die Agnethler lieben seine Bilder, bald hängen sie in allen Häusern.
Und wer auswanderte, nahm sich seinen Barner Misch mit nach Deutschland. So kam es, dass die Agnethler HOG nach einiger Zeit den Versuch wagte, einen Barner-Kalender zu veröffentlichen und, mit großem Erfolg, zu veräußern. Viele Agnethler meldeten sich als Barner-Besitzer, als eine Gemäldeausstellung geplant wurde. Schon hat die HOG eine Liste mit rund 23o Bildern zusammengestellt, aber es sind noch mehr da. Im März 2015 wird es soweit sein: Dann werden alle Bilder aus dem Privatbesitz in einer Ausstellung zu sehen sein, und ein umfangreicher Katalog wird bereitstehen.
Inzwischen hat man noch andere Facetten seines Werkes entdeckt. Dieser eigenartige Künstler war sehr vielseitig. Er beherrschte nicht nur ausgezeichnet alle Landessprachen, sondern schrieb auch klangschöne Gedichte in mehreren Sprachen, die an die Wortspielerei Oskar Pastiors erinnern. Doch auch die Musik lag ihm im Blut, er vertonte manche seiner Verse und sogar einige von Heinrich von Wlislocki übersetzten Gedichte aus der Zigeunersprache.
Er kannte dieses Wandervolk ganz gut, denn er war ein Jahr lang mit Zigeunern unterwegs gewesen. Nun will man seinen dichterischen und musikalischen Nachlass erforschen und bekannt machen, namhafte Fachleute haben ihre Mitarbeit zugesagt. Zum Glück hat sich auch ein Teil seines Briefwechsels erhalten und wird Aufschluss geben über ein Leben und Wirken, das noch viel Unbekanntes in sich birgt. Die Agnethler HOG hat sich dieser Aufgabe gestellt und es wird einiges Aufsehen erregen, wenn die Ausstellung im nächsten Jahr groß aufgemacht wird. Man kann sich auf Überraschungen gefasst machen.