Nun liegt sie endlich vor, die langerwartete Biografie des Kantors und Organisten Franz Xaver Dressler (1898-1981), der das Musikleben Hermannstadts über ein halbes Jahrhundert entscheidend geprägt hat. Mit dieser Veröffentlichung legt Christine Stieger ihre Dissertation als ansprechend gestaltetes Buch vor. Geboren im Jahr 1979, als der über achtzigjährige Dressler Hermannstadt für immer den Rücken kehrte, hat die Autorin schon rein biografisch die nötige Distanz für ein solches Unterfangen. Die Faszination Dresslers ist auch heute noch zu spüren, nicht allein in Hermannstadt, seinem Wirkungsort von 1922 bis 1979, sondern auch in ganz Siebenbürgen. Sich einer solchen „Naturgewalt“ mit wissenschaftlicher Akribie zu nähern, war ein längst fälliges, wenn auch bestimmt schwieriges Thema. Aus zahllosen Dokumenten, Berichten von Zeitzeugen und Verwandten, aus Spuren aller Art, die Dressler hinterlassen hat, formt die junge Musikwissenschaftlerin das Bild eines schöpferischen Menschen im Spiegel der großen Umbrüche im zwanzigsten Jahrhundert.
Um es vorneweg zu sagen: Dies ist kein Lesebuch für zwischendurch. Der kritische Apparat, die Genauigkeit der Recherche in allen Bereichen, von der Politik bis zur Analyse einzelner Musikwerke, verhindern ein schnelles Lesen. Dafür belohnt die Fülle des aufgearbeiteten Materials! „Das Werkverzeichnis und die Dokumentation der Orgelkonzerte Dresslers sowie die Auflistung der Bach-Chor Aufführungen streben Vollständigkeit an...“ (S. 215) notiert Stieger bescheiden. Tatsächlich sind fast sechzig Seiten des Buches dieser einmaligen Auflistung gewidmet! Hochachtung gebührt neben der Autorin für diese enorme Arbeit auch den Betreuern der Dissertation an der Kunstuniversität Graz: Prof. Dr. Harald Haselmayr und Prof. Dr. Franz Karl Praßl.
Bei denen, die Dressler persönlich gekannt, vielleicht unter ihm musiziert haben, werden die zahlreichen Fotos und reproduzierten Plakate intensive Erinnerungen wachrufen. Das Bildmaterial verleiht dem Buch Wärme und ist gleichzeitig eine Quelle zur Dokumentation des Musiklebens vergangener Tage in Hermannstadt. Selbst die Anekdoten, die um diesen unermüdlichen Musiker kreisen, wurden von Christine Stieger gesammelt, gesichtet und zum Teil veröffentlicht.
Dressler-Fans werden sich aber bis zu diesen Abschnitten des Buches durcharbeiten müssen. Die „absolute Identifikation mit der neuen, siebenbürgischen Heimat“ (S. 198) eines in Aussig an der Elbe (heute Usti nad Labem) Geborenen bedingt, dass die umwälzenden, teils verheerenden Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts mit bedacht und analysiert werden mussten, um das Schaffen Dresslers einzuordnen. Dazu hat die Autorin eine ganze Reihe von Quellen herangezogen. Sie gewährt Einblicke in die letzten Tage der Donaumonarchie aus dem sudetendeutschen Blickwinkel in Aussig, in die Art des Orgelstudiums beim berühmten Karl Straube in Leipzig, ins gesellschaftliche Gefüge Hermannstadts und natürlich in die politischen Umwälzungen von 1933 bis zu Dresslers Lebensabend.
Welch eine Leistung, und welch ein Glück, dass die Biografie eingebettet wurde in die Beschreibung dieser Zeiten! Denn was Franz Xaver Dressler, und mit ihm seine musikalischen Mitstreiter, vor allem „die Bach-Chor-Familie“ (S.145) erlebt und erlitten haben, das ist spannungsvoller als ein Kriminalroman! Und trotzdem, dieses Wort mag ein Leitmotiv Dresslerscher Tätigkeit in Hermannstadt gewesen sein! Mit Rührung liest man, was der siebzigjährige Musiker in einem Interview 1968 bekennt: „Unser Musizieren ist eine Kraftquelle, sie ist stark aber auch zart, klar und zu Herzen gehend, vor allem aber wahr, sie weckt und erschließt den Reichtum menschlichen Wesens“ (S. 140).
Es werden alle Aspekte Dresslerscher Tätigkeit analysiert. Dabei entsteht das Bild eines komplexen Künstlers, der rastlos und scheinbar nimmermüde, allen Widrigkeiten trotzend, Musik schuf und nachschuf. Christine Stieger erfasst sämtliche Kompositionen Dresslers und geht allen Facetten seiner konzertanten und kirchenmusikalischen Tätigkeit nach. Ebenso werden der Pädagoge, der Orgelforscher und Musikwissenschaftler Dressler vorgestellt. Die Autorin hat eine umfangreiche Korrespondenz und etliche Interviews mit ehemaligen Schülern und Chormitgliedern Dresslers führen können und zitiert ihre Stellungnahmen im Wortlaut. Dies verleiht dem Buch Authentizität. Die Aura des Verehrten, des Bewunderten, Geliebten und Gefürchteten kommt in diesen statements besonders gut zum Tragen. Es war sicher ein Seiltanz für Christine Stieger, angesichts so zahlreicher überschäumend subjektiver Töne das Gleichgewicht zu wahren und sich vorschneller Wertungen zu enthalten.
Auf diese Weise ist ein Buch von hohem musikwissenschaftlichem Wert entstanden, eine Biografie, die nüchtern das beschreibt, was Gegenstand eines Romans hätte sein können: das bewegte, unglaublich intensive Leben und Wirken Franz Xaver Dresslers.