„Der Geist des zusammen, nicht gegeneinander Debattierens“

Wettbewerb „Jugend debattiert“ auf Deutsch – erstmals live in Rumänien!

Ansgar Kemmann, Gründer und Leiter von „Jugend debattiert“ bei der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung (rechts), Marcus Hundt, Leiter des Projekts „Jugend debattiert“ für Mittel-, Ost- und Südosteuropa seitens des Goethe-Instituts (links), Lisa Festing, Landeskoordinatorin des Projekts „Jugend debattiert“ in Rumänien (Mitte) – zusammen mit den Finalisten (von links nach rechts): Alexandra Roșu (Nationalkolleg „Petru Rareș”, Suceava), Sofia Boltres (Caragiale- Kolleg, Bukarest), Karina Constantin (Nationalkolleg „Johannes Honterus“, Kronstadt), Andrei Ioan Droc (Hermann-Oberth-Schule, Bukarest).
Foto: der Verfasser

Am vergangenen Wochenende haben an der Bukarester internationalen Hermann-Oberth-Schule das Halbfinale und das Finale der Landesphase im Debattieren für Jugendliche stattgefunden: „Jugend debattiert“ richtet sich an Schüler, welche Deutsch als Fremdsprache erlernen und wurde 1991 in Deutschland ins Leben gerufen. Rumänien ist erst seit drei Jahren mit dabei – bisher nur online aufgrund der Pandemierestriktionen. Beim diesjährigen Halbfinale haben sich acht Schüler aus unterschiedlichen Schulen in Suceava, Kronstadt/Brașov, Arad, Klausenburg/Cluj-Napoca und Bukarest der Herausforderung gestellt, vor einem Publikum ein vorgegebenes Thema entweder zu verteidigen oder zu bestreiten – und zwar unter den klar vorgegebenen Bestimmungen einer Debatte.

Um die Wichtigkeit der ersten Präsenz-Debatte in Rumänien zu unterstreichen, war in der Jury sogar Ansgar Kemmann, der Gründer und Leiter des Projekts „Jugend debattiert“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, anwesend. Die Jury wurde von Annette Richter-Judt, Fachberaterin für Deutsch als Fremdsprache in Hermannstadt und Temeswar seitens der Zentrale für Auslandsschulwesen (ZfA) ergänzt, sowie mit ehemaligen Alumni aus den beiden vergangenen Jahren. Das Event wurde von den zuständigen Leitern der Projektpartner begleitet: Sabine Schlattner, Fachberaterin in Bukarest, seitens der ZfA sowie Marcus Hundt, Leiter des Projekts „Jugend debattiert“ für Mittel-, Ost- und Südost-europa seitens des Goethe-Instituts.  
Im Halbfinale wurden am Samstag in zwei Debatten je zwei Teams gebildet, von je zwei Schülern sollte das Thema „Soll der Sportunterricht in Schulen ohne Bewertung stattfinden?“ mit Pro- und Kontra-Argumenten beleuchtet – wobei jedoch jeder Teilnehmer separat bewertet wurde. Die vier Finalisten haben dann am Sonntag wieder in Zweierteams das Thema „Sollen Fleischerzeugnisse in Rumänien geringer besteuert werden?“ kontrovers diskutiert.

Vorbereitung und Ablauf nach strikten Regeln

Die Schüler hatten vier Wochen Zeit, sich mit ihren Lehrern und Betreuern vorzubereiten. „Wir haben das Debattieren geübt, haben nachgeschaut, welche Argumente wir zum Thema bringen können, eine Probedebatte gehalten und wir haben uns nochmal angeschaut, wie man die Eröffnungsrede hält, wie die Schlussrede sein soll, wie so eine Debatte aufgebaut ist.  Es gibt ja verschiedene Teile einer Debatte und alles ist fest geregelt. Die Anfangsrede ist zwei Minuten lang. Jeder Teilnehmer hält eine. Also dauert dieser Teil insgesamt acht Minuten. Darauf folgen zwölf Minuten freie Rede und dann hält jeder noch für eine Minute eine Abschlussrede. Die Schüler werden alle einzeln nach vier verschiedenen Kriterien bewertet. Da wird geschaut, wie überzeugend der Schüler war, wie klar er sich ausgedrückt hat, wie gut er sich mit dem Thema auskennt und er erhält dementsprechend auch eine Punktzahl“, erklärt für die ADZ Max Kleinberg, kulturweit-Freiwilliger aus dem Team der Hermann-Oberth-Schule. „Prinzipiell kann jeder an einer Debatte teilnehmen“, fügt er hinzu. „Es gibt aber einige Kriterien. Zum Beispiel darf man nicht längere Zeit in Deutschland gelebt haben, denn man zählt dann nicht mehr als Fremdsprachler. Und es gibt auch ein Alterslimit, denn es ist im-merhin das Projekt ‚Jugend debattiert‘. Ebenfalls darf nur ein Schüler pro Schule teilnehmen.“

Der Wettbewerb ist ein Zugpferd für jede Schule

„Ich habe das Format, in dem hier debattiert wird selbst geschrieben“, erklärt Ansgar Kemmann, der 1991 den allerersten Debattierclub an einer deutschen Universität gegründet hatte. „Infolgedessen wurde ich von der Hamburgischen Bürgerschaft 1999 beauftragt, ein geeignetes Regelwerk für deren Debattierwettbewerb zu schreiben. Danach habe ich der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung vorgeschlagen, das Projekt zu fördern und sie haben es angenommen.“ Der damalige Bundespräsident hatte sich als Schirmherr vorgeschlagen, falls sich das Projekt auf ganz Deutschland erweitern lassen würde, so Kemmann.
 
„Seit 2004 habe ich auch den Aufbau in Mittel- und Südosteuropa mit begleitet, ursprünglich mit Polen und Tschechien. Im Januar 2020 hatten wir dann die erste Lehrerfortbildung in Bukarest. Ich wäre auch zum Finale im Mai gekommen, es ging aber nicht wegen der Pandemie. So freue ich mich umso mehr, heute hier zu sein.“

Wie soll das Projekt nun weiter gehen? „Ich hoffe zunächst, dass die Schulen, die Deutsch als Fremdsprache anbieten, sehen, welche Chancen dieses Programm bietet“, erklärt er weiter. „Nicht letzten Endes ist es auch eine gute Vorbereitung für das deutsche Sprachdiplom.“ Für jede Art von Austausch sei es nützlich, für die rumänisch-deutschen Beziehungen, oder als Bestärkung junger Leute, „europäische Demokraten“ zu sein. „Wir müssen nicht weit schauen, um zu sehen, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.“ Zum anderen sei der Wettbewerb für die teilnehmenden Schulen eine gute Chance, eine attraktive Veranstaltung anzubieten, „wo auch  Eltern zuschauen können, wo die Schüler zeigen können, was sie sich erarbeitet haben und die Presse darüber berichtet“, kurzum, ein Event, auf das die Schulleiter genauso stolz sein können wie die Sieger.

Übung in Demokratie

Marcus Hundt, Leiter des Projekts für Mittel-, Ost- und Südosteuropa seitens des Goethe-Institut erklärt: „Bei ‚Jugend debattiert‘ setzen sich Jugendliche mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander, reflektieren über das Ganze, müssen manchmal Positionen einnehmen, die sie persönlich gar nicht vertreten. Das ist etwas wirklich Wichtiges für eine Demokratie, für eine Gesellschaft.“

Derselben Meinung ist auch die Fachberaterin in Bukarest (ZfA), Sabine Schlattner, welche das Projekt sieben Jahre lang in Polen begleitet hat. Die Schüler „lernen eine gewisse demokratische Erziehung dadurch, sie lernen, ihre Meinung frei zu äußern, was – wie wir in anderen Ländern sehen – gerade schwierig ist.“ Bei der Debatte ginge es nicht nur ums Gewinnen, sondern um „diesen Geist des zusammen, nicht gegeneinander Debattierens. Der Geist von ‚Jugend debattiert‘ ist kein verbissener Wettbewerbsgeist, sondern ein Verbindungsglied, eine Öffnung nach außen,“ fügt sie an.

Nicht nur für den Gewinner ein Gewinn

Der Gewinner des diesjährigen Finales ist Andrei Droc, Schüler der elften Klasse an der Hermann- Oberth-Schule. „Ich wollte unbedingt lernen, wie man diese Fähigkeit erwirbt, vor einem Publikum frei sprechen zu können“, erklärt er für die ADZ. „Ich hätte aber nicht geglaubt, dass ich so weit komme. Es ist jedenfalls eine Überraschung“ fügt er lächelnd hinzu. „Debattieren ist wie eine Matheaufgabe: Jedes Mal, wenn die Kontra-Seite mit einem Argument kam, musste ich genau nachdenken, welche Teile dieses Arguments ich ändern könnte, um die Perspektive zu ändern, damit das Argument ungültig wird, obwohl oftmals das Argument objektiv gesehen ziemlich gut war.“

Sofia Maria Boltres aus dem Caragiale-Kolleg, 10. Klasse, ergänzt: „‚Jugend debattiert‘ hat meine Deutschkenntnisse sehr, sehr stark beeinflusst. Ich kann mich jetzt viel besser und viel leichter ausdrücken. Zusätzlich habe ich bemerkt, dass mein kritisches Denken sich verbessert hat. Jeden Tag stelle ich meine Idee in der Struktur auf, die ich hier gelernt habe – ich benutze alles bereits heute. Das System ist wichtig und ich habe es mir angeeignet .“

Zukunftsperspektiven für die Debattierenden

„In einer Fremdsprache zu debattieren, erfordert besonderen Mut“, erklärt Lisa Festing, Landeskoordinatorin von „Jugend debattiert“. Auch wenn Andrei sich für Informatik vorbereitet und die Zweitbeste, Karina Constantin („Johannes Honterus“ Nationalkolleg, Kronstadt), später ein eigenes Unternehmen gründen möchte, gestehen beide, wie auch alle anderen teilnehmenden Schüler, dass sie den Debattierwettbewerb und die erworbenen Kenntnisse als durchaus wichtig für ihr derzeitiges und auch zukünftiges Leben einschätzen und sie würden gerne auch weiterhin an Debatten teilnehmen.

„Es war ein sehr tolles Erlebnis, aus dem ich so viel gelernt habe“, schwärmt Sofia Maria Boltres. „Ich bin viel weiter gekommen als ich ursprünglich gedacht habe.“

Im September werden die beiden Finalisten, Andrei und Karina, in Budapest zum Internationalen Finale von Mittel-, Ost- und Südosteuropa antreten. Beide freuen sich schon darauf, mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern zusammenzuarbeiten und neue Freundschaften zu knüpfen. Wir drücken beiden die Daumen!