Sie sind die Trojanischen Pferde der Online-Gesellschaft. Sie schaffen Konfusion - Was kann man glauben, was nicht? - und unterminieren damit die Demokratie. Sie verbreiten sich über Social Media in Windeseile: Ein Klick auf „Share“ ist wie das Platzen einer infizierten Zelle, das Abertausende neue Viren freisetzt. Ist die Büchse der Pandora erst geöffnet – „Bubble Yum enthält Spinneneier“, „Rumänische Chemie-Raketen erzeugen Dürre in der Moldau“, „Das Logo von Procter & Gamble ist ein geheimes Teufelssymbol“ – verselbstständigt sich ihr toxischer Inhalt, wird unkontrollierbar. Die Fülle der auftauchenden Informationen lässt dem Empfänger oft keine Zeit zur Prüfung. So kehren Scherze auf einmal auf Umwegen als News zurück, verursachen Skandale, wie in einem Fall geschehen: Auf einer rumänischen Humor-Seite im Internet wurde gewitzelt, das Verteidigungsministerium hätte Hilfsgüter für die Erdbebenopfer von Haiti 2018 auf der falschen Insel ähnlichen Namens abgeworfen. Die „Nachricht“ wurde vom Fernsehen in Kolumbien übernommen, gelangte dann nach Italien und schließlich über Agerpres zurück.
Das Schlimmste aber ist: Inhalte mit Fake News wirken attraktiver als seriöse Berichte mit Zahlen und Fakten, denn sie appellieren an starke Emotionen. Am besten läuft das Geschäft mit negativen Nachrichten, das Spiel mit der Angst.
Der Mensch sucht nicht nach Wahrheit
„Der Mensch braucht keine Wahrheit, er sucht nicht nach Wahrheit“, provoziert Dumitru Borțun von der Rumänischen Vereinigung für Public Relations (ARRP), die am 27. Mai in Bukarest die Konferenz „Fake News – eine Anatomie sozialer Mystifizierung“ veranstaltete. Was der Mensch braucht, fährt der Dozent für Public Relations an der Fakultät für Kommunikation und Public Relations der Nationalen Schule für Politik und Verwaltung (SNSPA) fort, sei Sicherheit, emotionale Bindung, Selbstbestätigung, Identität, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, usw. Nach den Geschehnissen im 20. Jh. - Nazismus, Holocaust, Kommunismus, zwei Weltkriege, alle im Namen der Wahrheit – sei die Wahrheit im 21. Jh. nicht mehr attraktiv. „Ideologien haben sie entwertet. Wir befinden uns im Jahrhundert der Nach-Wahrheit (post-adevăr)“.
In den Online-Medien ist auf einmal jeder sein eigener Experte, diagnostiziert Borțun weiter. Autoritäten werden nicht mehr gebraucht. Dr. Google ersetzt den Arzt. Wir glauben an die selbstgefundene Meinung und suchen lediglich nach Bestätigung. Die findet man am besten auf Facebook, wo man sich mit jenen umgibt, die ähnlich denken. „Recht haben zählt“, insistiert Borțun, „und als bestätigt gilt, was möglichst viele andere sagen“. Dabei bewegen wir uns in den Social Media in einer selbstgeschaffenen Filterblase. Dies ist der Grund, warum Fake News so gefährlich sind!
Gegenstrategien und Schadensbegrenzung
An der Quelle kann man sie nicht bekämpfen. Keine Richtigstellung, kein Demento des Betroffenen kann das Lauffeuer einholen, kein Anwalt so schnell reagieren. Der Urheber wechselt im Zweifelsfall einfach Server oder Land, wo andere Gesetze gelten. Zudem zeigen sich die Social Media, die Fake News verbreiten, oft wenig kooperativ: Facebook musste zwar Millionen von Konten schließen – deren Politik sei aber, prinzipiell so wenig wie möglich zu tun. In zahllosen Fällen weigerte man sich, Informationen mit eindeutig schädlichem Inhalt zu entfernen, erklärt Keynote-Speaker Paul Holmes, Gründer und Vorsitzender von „The Holmes Report“, einem Fachblatt für PR-Experten, über Skype. „Facebook ist ein Unternehmen, das die stärksten Firmen glücklich machen will, aus rein wirtschaftlichen Gründen.“
Strategien müssen daher am Empfänger ansetzen - durch Unterstützen von Medienkompetenz, wissenschaftlicher Neugier und kritischem Denken, durch Eingehen von Partnerschaften zwischen PR-Leuten, Journalistennetzwerken und NGOs.
Elise Mitchell, Vorsitzende der „International Communications Consultancy Organization“ (ICCO), die über 3000 Firmen berät, empfiehlt Geschädigten vier Strategien:
1. Vorbereitet sein auf einen möglichen Angriff
2. Schnelles Handeln und Identifizierung der Quelle – Beispiel: Fake News über die Cafe-Kette Starbucks „enthüllten“, diese würde an einem bestimmten Tag jedem illegalen Einwanderer einen Kaffee spendieren und heimlich mit den Einwanderungsbehörden kooperieren. Starbucks postete daraufhin die Frage: „Wo habt ihr diese Sache zum ersten Mal gesehen?“ und gelangte durch unzählige Hinweise schnell an die Quelle.
3. Verbündete um Hilfe bitten: Kunden und Geschäftspartner informieren und sie um Verbreitung der Richtigstellung ersuchen.
4. Mit der Geschichte an die Öffentlichkeit gehen. Und weil Fakten nicht immer durchschlagende Wirkung haben, solle man ruhig die gleichen Mittel anwenden, wie die Urheber von Fake News, meint Mitchell: Emotionen und visuelle Inhalte verwenden.
„Videos bekommen so viel mehr Klicks als Texte!“ Eine gute Strategie sei auch, Fake News für sich zu nutzen, wie an einem Beispiel eines Skandals, der unter dem Namen „Pizzagate“ bekannt wurde, deutlich wird. Darin wurde behauptet, der Betreiber einer Pizzeria wäre mit Hillary Clinton in Kinderpornografie verwickelt. Von einem Tag auf den anderen sah sich dieser mit Morddrohungen konfrontiert, Kunden blieben weg, dem Geschäft drohte der Bankrott. Er wandte sich an die lokale Presse und bat Freunde und Geschäftspartner in dem Artikel gezielt um Hilfe. Bereits am ersten Tag kamen über 400 Unterstützer in die Pizzeria.
Fake News-Angriffe gegen Rumänien
Wer ist überhaupt betroffen von Fake News? Zum Teil sind es Firmen, deren Produkte von der Konkurrenz diskreditiert werden sollen. Zum anderen dienen Fake News zum Datensammeln. Auch Werbung bedient sich solcher Methoden. Wer kennt nicht Slogans wie „Wollen Sie abnehmen, dann essen Sie – oder essen Sie niemals - dieses Lebensmittel“? Beim Klick auf die angebliche Info-Seite ist davon keine Rede mehr, man landet auf dem Bestellformular für ein kommerzielles Produkt. Massive Fake News-Attacken gibt es gegen die EU, aber auch gegen das rumänische Verteidigungsministerium, wie dessen Sprecher Constantin Spînu berichtet. Durch Trolling und die Verbreitung bestimmter Inhalte – über angebliche Unfälle beim Transport und bei Übungen mit Militärtechnik, über militärische Aktionen und die Präsenz ausländischer Soldaten in Rumänien – soll das Vertrauen der Bevölkerung und der eigenen Soldaten unterminiert werden.
Spînu nennt konkrete Beispiele: Auf Romania TV wurde am 16. November 2017 ein Film gezeigt, der einen angeblichen Skandal mit der Explosion uranhaltiger Raketen in Jegălia aufdecken sollte. Der Film zeigte eine Detonation mit „Atompilz“. Befragte „Zeugen“ erzählten: seither würden Schafe mit zwei Köpfen geboren; Umweltexperten würden sich weigern, die Radioaktivität zu messen; das alles sei „viel zu hoch aufgehängt“, um dagegen anzugehen. Tatsächlich handelte es sich bei der gezeigten Explosion um eine Vernichtungsaktion klassischer Waffen, die einen ähnlichen Rauchpilz erzeugt. Das Ministerium kontaktierte den Sender, der sich kooperativ zeigte. Man fand heraus, der Film war von einem lokalen Amateur aufgenommen worden.
In einem anderen Fall wurde auf Antena 1 (30.4.2018, „Chefi la cuțite“) behauptet, ein schwerverletzter Soldat sei in Afghanistan von der Armee aufgegeben worden. „Dies hatte schwerwiegende Konsequenzen“, sagt Spînu. „Unsere Soldaten glaubten es - das ist schlimm für den Corpsgeist.“ Es stellte sich heraus, der genannte Name existierte, doch die Person war kein Mitglied der Armee.
In einem weiteren Fall sollte in der Republik Moldau Stimmung gegen Rumänien gemacht werden. „Rumänen stehlen den Regen der moldauischen Bauern“, titelte die Schlagzeile. In dem gut vorbereiteten und glaubhaft wirkenden Bericht, reich an technischen Daten, mit Aussagen mehrerer „Zeugen“ und „Opfer“, darunter einem existenten General, technischen Angaben und Nennung von realen Chemikalien-Produzenten wurde behauptet, Rumänien würde durch Entsendung von Chemie-Raketen dort Dürreperioden erzeugen. Bei den gezeigten Flügen handelte es sich um Einsätze zu ganz anderem Zweck, mit Einverständnis des Nachbarlandes. Als Reaktion postet das Verteidigungsministerium eine Richtigstellung auf seiner Facebook-Seite. Freilich erzielt diese nicht die selbe Verbreitung, räumt Spînu ein. Ansonsten setzt man auf Transparenz, Kommunikation, Instruierung eigener Leute.
Auch BNR-Sprecher Dan Suciu entlarvt ein markantes Beispiel für Manipulation durch Fake News: Der Angriff auf den Bankenindex ROBOR soll laut diesem von einem fachkundigen Senator geplant worden sein, der wohl im Interesse eines Auftraggebers handelte. Die gezielt wiederholte und stark vereinfachte Fehlinformation zur Diskreditierung des ROBOR hätte schließlich dazu geführt, dass der Staat den Index ändern musste.
Wie EU und Länder dagegen vorgehen
Über Fake-News-Angriffe auf die EU berichten Angela Cristea (Vertreterin der EU-Kommission in Rumänien) und Alina Bârgăoanu (Dekan der Fakultät für PR, SNSPA). Das Ziel der Angreifer: unsere Demokratie. Die Täter: vor allem Russland. Doch Details über Angriffe anderer Staaten sind nicht öffentlich, präzisiert Cristea.
„Unser Dilemma“, fährt sie fort, „reagieren wir auf jeden Angriff oder nicht?“ Bislang hatte man Angriffe unter der Gürtellinie ignoriert. Möglicherweise ein Fehler, räumt sie ein: „Der Bürger denkt, da könnte was dran sein.“ Ein weiterer Fehler war, Richtigstellungen mit Fakten und Daten vorzunehmen, um zu überzeugen. „Doch das hilft nicht, denn Fake News appellieren an Emotionen - und das müssen wir auch.“ Die Emotion sei geradezu das Wichtigste in jeder Kampagne.
Das Ausmaß des Problems ist nicht zu verachten: Über 5000 Fake News-Attacken gegen die EU wuren auf der Webseite der EU-Kommission veröffentlicht. „Zu Rumänien gibt es ein kleines Projekt, ‚Lügendetektor‘ (detector de minciuni), das Fake News über Parteien und Politiker aufdeckt“, informiert Cristea. Doch alle Probleme können nicht von EU-Institutionen gelöst werden, man könne allenfalls informieren und vernetzen. Um Fake News wirklich zu begegnen, müsse man bereits in Schulen Aufklärung betreiben, denn von dieser Generation würden Social Media am meisten genutzt.
Bârgăoanu stellt die Strukturen der EU zum Umgang mit Online-Desinformation vor. Seit März 2015 gibt es eine Task Force zum Thema. Im November 2017 wurde eine hochkarätige Expertengruppe zur öffentlichen Beratung über Fake News gegründet, die im Dialog mit den Mitgliedstaaten steht. Im März 2018 veröffentlichte diese ihre ersten Ergebnisse (Code of Practice on Disinformation). In diesem Jahr beträgt das Budget der EU zur Bekämpfung von Fake News drei Millionen Euro.
Drei Instrumente gibt es auf EU-Niveau: Das Schnellwarnsystem RAS (Rapid Alert System), die Plattform SOMA für die Beobachtung und Analyse von Social Media und die AVMSD (Revised Audiovisual Media Services Directive), die im November 2018 angenommen wurde, um Medien zu bestimmten Maßnahmen zu verpflichten.
Exemplarisch wurden auch Maßnahmen auf Länderebene erwähnt: Deutschland hat 2017 ein Gesetz angenommen, das Netzwerke ab zwei Millionen Mitgliedern verpflichtet, Hassreden und illegalen Content innerhalb von 24 Stunden nach Aufforderung zu entfernen. Der Verstoß wird nach Strafgesetzbuch geahndet. In Frankreich gibt es seit 2018 ein Gesetz gegen digitale Wahlmanipulation. Im Visier stehen falsche, massiv verbreitete Infos während des Wahlkampfs, die den Frieden stören oder die Wahlergebnisse beeinflussen können. In Italien gibt es eine Plattform zum Melden von Fake News. In Dänemark wurde eine Task Force zwischen der Regierung und den Nachrichtendiensten gebildet.
Über Rumänien heißt es in der Expertise der EU, die Medienlandschaft sei sehr polarisiert; es gäbe keine Solidarität unter den Journalisten; Medien-Trusts handelten im eigenen Interesse. Die Regelung der Online-Medien sei ein unmöglicher Traum. Doch die Macht der Gesetze ist ohnehin begrenzt, wenn es um die Eindämmung von Fake News geht. Tatsächlich kann jeder einzelne einen kleinen Beitrag leisten: Indem man sich bewusst macht, jedes „Share“ ist nicht nur eine persönliche Datensammlung oder Meinungsbekundung auf der eigenen Timeline, sondern eine Form der Multiplikation und Dissemination, und jedes Like eine Bestätigung („statistischer Beweis“) für die ebenso denkenden „Freunde“ in der eigenen Kommunikations-Filterblase.