Zu Eginald Schlattners Geschichtensammlung „Mein Nachbar, der König“, herausgegeben und kommentiert von Michaela Nowotnick. Schiller Verlag Hermannstadt – Bonn, 209 Seiten, 2012, ISBN 978-3-941271-42-5
Diese vom Beauftragten der Bundesrepublik für Kultur und Medien geförderte Sammlung von 6 Geschichten tragen zur Vervollständigung des Werkes dieses zurzeit bedeutendsten rumäniendeutschen Autors vor Ort, in der alten Heimat, bei.
Dies ist umso erfreulicher, weil seine drei umfangreichen Romane „Der geköpfte Hahn“ (1998), „Rote Handschuhe“ (2000) und „Das Klavier im Nebel“ (2005) nach dem Umbruch inzwischen in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurden und nun auch die Möglichkeit besteht, den frühen Schlattner vor dem Umbruch 1989 kennenzulernen.
Von den sechs Geschichten wurde eine einzige, „Gefährte Rebhuhn“, eine Satire über die erste vollkommen überforderte Generation der Ostblockfunk-tionäre im technischen Bereich veröffentlicht (1957).
Am Ende desselben Jahres wurde Schlattner verhaftet, zum Kronzeugen in einem Schriftsteller-prozess gefoltert und missbraucht und anschließend auch noch zwei Jahre lang inhaftiert, darunter einige Monate in der Psychiatrie der Geheimpolizei nach seinem Nervenzusammenbruch.
Die Erzählungen „Das Apfelbett“, „Jemand steht immer im Wege“, „Eine Zigarette“ schrieb er in den 60er Jahren nach seiner Entlassung und die Titelgeschichte, die teilweise recht stimmungsvolle Satire „Mein Nachbar, der König“, – die einzige, die nicht in Rumänien spielt, sondern in Österreich – schrieb er nach dem Umbruch 1989/90.
Das Kernstück der Samm-lung ist die 1956 mit einem Trostpreis bei einem Literaturwettbewerb der Tageszeitung „Neuer Weg“ aus Bukarest ausgezeichnete Erzählung „Gediegenes Erz“.
Sie sollte, ebenfalls schon gedruckt, im Staatsverlag für Literatur und Kunst Bukarest erscheinen, wurde dann aber wegen der Verhaftung des Autors am 28. Dezember 1957 ein-gestampft.
Sie ist die umfangreichste (69 Seiten Text, 8 Seiten Kommentar) und tiefgründigste Auseinandersetzung des jungen Autors, damals 23 Jahre, über die Möglichkeiten einer Überlebensstrategie für die Siebenbürger Sachsen im rumänischen Ostblocksozialismus.
Ihr fast schon enthusiastisches Engagement sich den neuen Zeitverläufen nicht zu verschließen, sondern anzuschließen, erweckte das Interesse sowohl der Zeitungsleute wie auch der Verlagsleute, die sie dringend für eine Veröffentlichung empfahlen. Diese Erzählung hatte damals etwas fast Prophetisches Zukunftsalternativen an sich.
Im Ausleben der eigenen Identität, der nationalen Eigenart der Siebenbürger-Sachsen im Zusammenspiel mit dem Kulturverständnis der Mehrheitsnation der Rumänen und dem der anderen nationalen Minderheiten Rumäniens unter den neuen Bedingungen nach dem 2. Weltkrieg wurde hier eine Möglichkeit erkannt, uralte demokratische Gepflogenheiten einer für das Mittelalter und die Neuzeit erstaunlich libertären Siedlungsgemeinschaft wie der der Siebenbürger Sachsen, die von den ungarischen Königen zur Verteidigung der Landesgrenzen geholt worden waren, nicht aufzugeben. Im Gegenteil, es sollte versucht werden, sie nach mehr als 800 Jahren Geschichte in der angestammten Heimat so gut wie möglich in die neuen Gegebenheiten von Rumäniens Ostblocksozialismus hinüberzuretten.
Harald Krasser, ein anerkannter Literaturwissenschaftler der Siebenbürger Sachsen, Germanistikprofessor an der Universität Klausenburg/Cluj-Napoca nannte Eginald Schlattner wegen dieser Erzählung frei nach Schiller „Unter Larven die einzig fühlende Brust“.
Diese Erzählung ging damals am weitesten mit ihrem Aufruf zum Mitmachen auch der Siebenbürger-Sachsen in den neuen Nachkriegsbedingungen, in denen sie vor gar nicht mal so langer Zeit noch in Kollektivschuldhaft genommen worden waren.
Der Hauptheld der Erzäh-lung, der junge Siebenbürger-Sachse, der nun auch studieren konnte, kehrt in den Sommer-ferien in sein Elternhaus zurück.
Er findet seine zahlreiche vaterlose Familie, Mutter und außer ihm noch vier Kinder, darunter drei Erwachsene, in einem bedrückenden Alltags-trott, noch stark verängstigt von den Nachkriegswirren und Diskriminierungen.
Über Gespräche mit der Lehrerin seiner noch schulpflichtigen Schwester gelangt auch er zu der Überzeugung, dass gerade die Siebenbürger Sachsen mit ihren demokratischen Bauern- und Bürgertraditionen – die fast keine Leibeigenschaft kannten und sich ständig gegen die Vereinnahmung durch den ungarischen Adel wehren mussten – den Schritt in die neuen gesellschaftlichen Bedingungen durchaus tun könnten und auch tun sollten.
Teilweise sind hier die Dialoge zwischen dem Ich-Erzähler und der Lehrerin etwas historisch bildungsgeschwängert, aber doch aufschlussreich und zum Glück durch Handlungen unterbrochen und aufgelockert.
Die allgemein verbindliche Kunstauffassung von der nationalen Form und dem sozialen Inhalt – dem der neuen Gesellschaft natürlich – ermöglicht es dann dem Autor, seiner ihn inspirierenden Lehrerin seinen und ihren Freundeskreis für einen Kulturabend im Kulturhaus des Ortes zu gewinnen.
Unter wohlwollendem Bei-wohnen der Rumänen mit ihrem Kulturhausdirektor findet er dann nach einer gründlichen Vorbereitung statt.
Den Höhepunkt der Veranstaltung bildet das gemeinsame inbrünstige Singen des Siebenbürgenliedes „Siebenbürgen Land des Segens, Land der Fülle und der Kraft“, gewissermaßen der Hymne aller Nationen Siebenbürgens nicht nur der der Siebenbürger-Sachsen, wie die Grundaus-sage intoniert „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band“.
Es ist übrigens die einzige europäische „Nationalhymne“ (Autor ist Max Moltke), die nicht einer Nation allein, sondern einem Bund verbrüderter Nationen desselben Landes zugeeignet wurde.
Noch Ceau{escu in seiner kurzen liberalen nationalen Phase (1965-1971) gestattete einen gewissen nationalen Identitätsspielraum, bevor er seine Politik zusehend restalinisierte und die Minderheiten zu „homogenisieren“, das heißt gleichzuschalten versuchte.
Welch schrecklicher Rückfall in den Stalinismus, besonders in den vollkommen unerträglichen 80er Jahren, der Kampf gegen den sogenannten „Ethnozentrismus der Minderheiten“ (hauptsächlich waren damit die Rumänienungarn gemeint, aber auch die Rumäniendeutschen wurden davon betroffen) kann man schon aus dem Verbot der Ortsnamen in den Sprachen der Minderheiten erkennen. Dabei waren viele dieser Ortschaften ursprünglich von den Minderheiten gegründet worden.
Den Rumäniendeutschen in der Ceauşescudiktatur – besonders nach seiner restalinisierenden Kulturrevolution von Juli 1971 – Ethnozentrismus vorzuwerfen, ist so unfair, wie sich durch Selbstverbrennung aufopfernden Tibetern Ethno-zentrismus gegenüber Zentralchina vorzuwerfen, oder den Dänen Schleswig-Holsteins ihre Identitätsbemühungen in ihrem Südschleswigischen Wählerverband als ethnozentrisch anzukreiden.
Was in Demokratien heute selbstverständlich ist, muss in Diktaturen unter großen Opfern mühsam errungen werden.
Mit diesem Buch gelingt, dank der großen Begabung Schlattners und dem wissenschaftlichen Engagement Michaela Nowotnicks, ein überzeugender Beweis dafür.