„Der sechste Pol der Erde ist meine Heimat“

Der innere Drang und die Leistungen der rumänischen Entdeckerin und Rekordeinhaberin Maria (Uca) Marinescu

Die Entdeckerin brachte die rumänische Fahne bis in die Antarktis und posierte mit Pinguinen, ihren Lieblingstieren, im Hintergrund. | Foto: privat

Die rumänische Leistungssportlerin, Professorin und Entdeckerin Maria (Uca) Marinescu hat vor Weihnachten bei einer Konferenz über ihre Entdeckungsreisen in der orthodoxen Kirche Hl. Demetrius (Dumitru) an der Post in der Bukarester Altstadt erzählt und Anfang Januar 2023 ihre Fotoausstellung in der Bibliothek der Rumänischen Akademie eröffnet. Im Laufe von 30 Jahren hat sie alle sieben Kontinente bereist und die fünf Pole der Welt erreicht. „Der sechste Pol der Erde ist meine Heimat, Rumänien“, lacht Uca Marinescu. 

Auf ihren Reisen stellte sie Land- und Weltrekorde auf. Ihr wichtigster: „Dass ich die meisten Freunde habe!“ Die sind echt, nicht virtuell wie in den sozialen Medien. Selbst jetzt in ihren 80ern, beide Oberschenkelknochen durch künstliche Knochen-Prothesen ersetzt, hält Uca Marinescu nicht still, sondern will sich im Frühling an ihrem „Lieblingsort auf der ganzen Welt“, der nach ihr benannten Wiese im Königstein/Piatra-Craiului-Gebirge in der Nähe der Hütte „Curmătura“ entspannen. Im Herbst steht dann eine neue Reise nach Bhutan an, ihrem Herzensland neben Rumänien, und sie will so viele Reisefreunde mitnehmen wie möglich, denn geteilte Freude ist doppelte Freude. Sie ist um die ganze Welt gereist und behauptet, nie allein gewesen zu sein, nicht einmal auf ihren solitären Expeditionen, weil sie Rumänien, ihre Heimat, im Herzen und im Sinn trägt und immer auch die nationale Fahne dabei hat. Man könne ihren über hundert Geschichten aus persönlicher Erfahrung über Menschlichkeit, Freundschaft, Spiritualität und Dankbarkeit stundenlang lauschen, ihren Enthusiasmus und ihre schöne Seele wirken lassen, die sie auf andere ausstrahlt. Über ihre Reisen erzählt die Entdeckerin mit äußerster Bescheidenheit und Dankbarkeit, denn „die Welt ist ein Geschenk“, so wie auch der Titel ihrer Fotoausstellung (s. Seite 9!) lautet. Lesen Sie  im Folgenden über die Persönlichkeit und Leistungen der Entdeckerin.  

Leistungen und Rekorde

Uca Marinescu stammt aus Gheorgheni, Kreis Harghita, und ist in Hermannstadt/Sibiu aufgewachsen. Das Lyzeum hat sie in Neumarkt/Târgu Mureș besucht und anschließend die Akademie für Leibeserziehung und Sport in Bukarest beendet. Beruflich hat Uca Marinescu Ski als Leistungssport betrieben und als Turnlehrerin und Universitätsprofessorin gewirkt. 

Auf den ersten Blick traut man der schlanken, zart wirkenden Frau mit dem leuchtenden Gesicht, an dem weder ihr Alter noch ihre Anstrengungen erkennbar sind, keine 22 Expeditionen um die ganze Welt zu. Diese hat sie allen Widrigkeiten zum Trotz nach der Wende 1989 im Laufe von 30 Jahren – allein oder zusammen mit anderen Forschern und Wanderern – unternommen. Dabei stellte Uca Marinescu 2001 die Rekorde für die rumänische Premiere der Erreichung des geografischen Nord- und Südpols auf Skiern sowie 2007 und 2008 des magnetischen Nord- und Südpols auf, beziehungsweise 2016 des Kältepols der Welt in Oymyakon, Russland. Außerdem war die emeritierte Sportmeisterin die erste Sechzigjährige und dritte Frau weltweit, die beide geografischen Pole in einem Jahr erreicht hat. 

Darüber hinaus hat sie die Gipfel des Musala (2925 Meter, Bulgarien), Rysy (2501 Meter, Tatra-Gebirge), Elbrus (5642 Meter, Kaukasus-Gebirge, Russland), Malchin (4050 Meter, Tavan-Bogd-Gebirge, Mongolei), Djebel Toubkhal (4165 Meter, Atlas-Gebirge, Marokko) und das Gebirge Ben Newis (Schottland, 1994), die Dolomiten und Pyrenäen (über 3000 Meter), den Picos de Europa (2600 Meter, Spanien), den Kilimandscharo, (5895 Meter, Tansania), den Mont Blanc (4809 Meter, Schweiz), den Kosciusko (2228 Meter,  Australien), den Ossa (1617 Meter, Tasmanien), den Belukha-Berg bis zum Yarlu-Tal (Altai-Gebirge, Russland), den weltweit dritthöchsten Gipfel Kangchendschunga (8586 Meter, Himalaya-Gebirge), den heiligen Berg der Buddhisten Kailash (6714 Meter, Himalaya-Gebirge), das Hunzatal (2438 Meter, Pakistan), den Wilhelmsberg (4509 Meter, Papua-Neuguinea) und den ältesten Berg der Welt, Roraima (2810 Meter, Tepui-Gebirge, Südamerika) sowie die Gletscher in der Antarktis, auf der Svalbard-Inselgruppe, in Grönland, Tasman, Mount Cook (Neuseeland), Wragel (Alaska), im Altai-Gebirge (Mongolei) und dem Hunzatal (Pakistan) bestiegen.

Auszeichnungen

Für ihre Verdienste als Entdeckerin, welche die rumänische Fahne auf die höchsten Gipfel und in die abgelegensten Orte der Welt gebracht hat, wurde sie mit den höchsten Auszeichnungen gewürdigt. 

Sie wurde vom rumänischen Präsidenten 2000 mit dem Nationalen Verdienstorden im Ritterrang und 2002 im Rang eines Offiziers ausgezeichnet. Ebenfalls 2002 wurde Uca Marinescu zur Frau des Jahres gekürt und ein Jahr später zur emeritierten Sportmeisterin ernannt. Exzellenz-Diplome wurden ihr vom Internationalen und Rumänischen Olympischen Komitee, vom Ministerium für Jugend und Sport, von der Nationalen Akademie für Leibeserziehung und Sport und vom Oberbürgermeisteramt Bukarest verliehen. Zudem gilt die rumänische Entdeckerin als Ehrenbürgerin der Städte Punta Arenas (Chile), White Horse (Yukon, Kanada), Bizerte (Tunesien), Reußmarkt/Miercurea Sibiului, Bukarest und als Tochter der Gemeinde Orlat (Kreis Hermannstadt). Darüber hinaus ist sie Mitglied der Rumänischen  Geografiegesellschaft und Mitarbeiterin des Bukarester Museums für Naturwissenschaften „Grigore Antipa“ sowie des Forschungszentrums für Anthropologie der Rumänischen Akademie.

Innerer Drang und Lebensphilosophie

Die Leidenschaft für die Entdeckung abgelegener, von der Anwesenheit des modernen Menschen und Tourismus nicht belästigter Orte, in denen die edle Einfalt, die authentische Spiritualität und die Lebensphilosophie im Einklang mit der Natur noch erhalten geblieben sind, liegt Uca Marinescus Wanderlust zugrunde. 

Ihr Verlangen nach Reisen nennt die Entdeckerin ihren „inneren Drang“. Diesem starken, unstillbaren Drang, der sie plötzlich beherrscht und in die weite Welt treibt, kann und will Uca nicht widerstehen. Eigentlich hat sie sich an diesen Drang nach Reisen gewöhnt, er gefällt ihr sogar und prägt ihr Leben. „Der Drang ist mein Leben!“, betont die Entdeckerin, „Er führt mich immer weiter und stellt für mich eine unaufhörliche Erkundung des Menschen, des Raumes und der Zeit dar“. Für sie bedeutet das Leben die Freude des ständigen Entdeckens. 

Die wichtigste Offenbarung dabei war das menschliche Universum. Neben ihrer akribischen Suche nach der spirituellen Matrix aller Kontinente, nach den kulturellen Symbolen und Archetypen der Zivilisationen, erlebte Uca Marinescu auf ihren Reisen von der Antarktis bis nach Papua-Neuguinea, vom Südpol bis Afrika und Nepal, von Indien und Tibet bis Europa, von Amerika bis Nordafrika und Südamerika, und von Alaska bis zur Mongolei, Sibirien und dem Nordpol das schönste Geschenk dieses Planeten: die Natur.

Die Expeditionen haben Uca Marinescu die Bewertung der Komplexität der menschlichen Existenz ermöglicht und dennoch ist sie jedes Mal mit mehr Fragen als Antworten heimgekehrt...

So ist sie den Spuren einiger in Zeit und Raum zurückgebliebener Zivilisationen gefolgt, die ihre einfache Lebensweise und Naturverbundenheit bis heute erhalten haben, die starken Widerstand gegen die moderne Zivilisation und Globalisierung leisten oder jenen Völkern, die sich zwar an die moderne Welt angepasst haben, aber ihre traditionelle Besonderheit mit großer Mühe zu bewahren suchen. 

Die Entdeckerin hat dabei festgestellt, dass „uns“ nichts von diesen menschlichen Gemeinschaften unterscheidet, außer der Lebensstil. „Jeder hat das gottgegebene Recht, seiner eigenen Lebensphilosophie zu folgen“, unterstreicht sie stets. Ihre persönliche Lebensphilosophie ist einfach: „Du sollst deine Mitmenschen lieben, respektieren und niemandem etwas zuleide tun, nicht einmal einer Blume“, aber die wird leider nicht von allen geteilt, bedauert sie. Die Entdeckerin erkennt eine egoistische Neigung ihrer Zeitgenossen, ihre Mitmenschen und die Natur nicht mehr zu respektieren oder ihnen zu helfen, die sie tief enttäuscht und betrübt. „Obwohl ich mich mit der Schönheit der besuchten Orte und dem Glauben der Leute beladen habe, beziehungsweise sehr glücklich und dankbar für alle meine Erfahrungen bin, weine ich leider immer, wenn ich nach Rumänien, das Land, das ich am meisten liebe,  zurückkehre. Ich bedauere den erbärmlichen Zustand, in dem sich dieses Land befindet, das ich vor einigen Jahren auf einer Karte aus dem 13. Jahrhundert im Himalaya-Gebirge unter dem Namen Dacia gefunden habe“. Jene Karte hat sie zwar dem Bukarester Museum für Landkarten und alte Bücher gespendet, aber sie ist seither verloren gegangen. Trotzdem kehrt Uca jedes Mal mit Dokumentationsstoff und besonderen Fotos von ihren Reisen zurück. Diese bestätigen ihr verstecktes Talent als Hobby-Fotografin und verewigen nicht nur Orte und Leute, sondern auch ihre Gefühle, die sie ihren Landsleuten mitteilen will. 

Die wichtigste Lehre ihrer Weltreisen bleibt schließlich die Nächstenliebe und der unerschütterliche Glaube an die Freundschaft, die einzige Waffe der Menschheit gegen Gewalt, Hass, Entfremdung und Umweltzerstörung.


Entdeckungsreisen

1990 – quer durch China von Osten nach Westen, Tibet (allein)
1993 – 1996 – Indien, Sikkim, Nepal (allein)
1994 – Russland und Kaukasus-Täler (mit rum. Bergsteigern)
1996 – Wanderungen durch die Gebirge Kaukasus, Dolomiten, Pyrenäen und die Schottischen Berge und quer durch Kanada von Osten nach Westen bis zur Yukon-Region am Arktischen Ozean (allein)
1997-1998 – Patagonien, Feuerland, Antarktis anlässlich der Hundertjahrfeier der Belgica-Expedition des Forschers Emil Racoviță, dann quer durch Südamerika, Osterinsel (größtenteils allein) 
1999 – quer durch Afrika von Süden nach Norden (allein)
2000 – auf den Spuren der Wikinger nach Island und Grönland (allein)
2001 – geografischer Nord- und Südpol auf Skiern (internationale Entdeckergruppe)
2003 – Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Tasmanien und Ozeanien (allein)
2004 – Alaska, Teilnahme an den Olympischen Spielen der Eskimos (allein)
2005 – Mongolei, Sibirien (teilweise allein)
2006 – Irland, Tunesien, Marokko, Sahara-Wüste, Peru, Bolivien, Amazonas-Dschungel (allein)
2007 – magnetischer Nordpol und Norden Kanadas (allein)
2008 – Mont-Blanc-Gipfel, Schweiz, Sibirien, Nord-Osten Russlands 
2008/2009 – magnetischer Südpol im Osten der Antarktis
2009 – Bhutan und Myanmar
2010 – rund um die Welt an 24 Orte, die sie bis dahin noch nicht besucht hatte
2011 – Salz- und Seidenstraße durch China, Mongolei, Kasachstan
2012–2013 - Himalaya-Gebirge
2014 – Antarktis, Mongolei, Altai-Gebirge in Sibirien
2015 – Sikkim (Indien)
2016 – Oymyakon (Sibirien), der Kältepol und fünfte Pol der Erde, Hunzatal (Pakistan), Himalaya
2017 – Roraima, der älteste Berg der Welt im Tepui-Gebirge (Südamerika)