Es ist kurz nach 10 Uhr vormittags an einem Freitag Ende September. Die Bäume auf dem Lempesch-Hügel sind noch grün und glitzern in der Spätsommersonne, über ihren Wipfeln ziehen ein paar Wolken auf dem blitzblauen Himmel vorbei. Ein warmer Tag kündigt sich an, den man unbedingt genießen sollte. Im Reiterhof „Equus Solis“ in Petersberg hat der Tag schon vor vielen Stunden begonnen. Für manche Reitschüler ist das heutige Training schon zu Ende. Die zwölfjährige Alexandra striegelt die Stute Fina. Sie kämmt ihre Mähne, kratzt ihre Hufe aus und tut alles so selbstsicher und routiniert, als würde sie es seit Jahren machen. Doch Alexandra hat erst vor anderthalb Jahren mit dem Reiten angefangen. „Hast du keine Angst vor dem Pferd?“, fragen wir. „Überhaupt nicht. Im letzten Jahr wurde ich getreten, ich bin vom Sattel gefallen und wurde sogar gebissen, aber nein, ich habe keine Angst. Denn das gehört dazu“, sagt sie ruhig. An ihrem aufrechten Gang kann man merken, dass sie Reitstunden nimmt. Reiter sind zielstrebig, begeisterungsfähig, strukturiert und ausgeglichen. Und das in viel höherem Maße als Menschen mit anderen Hobbys.
Ein wirklich guter und sicherer Reiter zu werden, dauert durchaus ein paar Jahre, doch wer mit ein bis zwei Reitstunden pro Woche dranbleibt, sollte nach etwa einem Jahr bereit für einen ersten Ausritt in Begleitung sein.
Die Schweizerin Barbara Müller, die den Reiterhof leitet, legt besonderen Wert darauf, dass Anfänger im ersten Jahr keine Zwischenfälle erleben. Fina, die Stute mit der Alexandra trainiert, begleitet Kinder schon seit über einem Jahrzehnt bei ihren ersten Reitstunden, ist besonders lieb und schenkt ihnen Vertrauen und Mut, erklärt Müller.
In unserer Kindheit hatten wir Pferdebücher regelrecht verschlungen - es ging immer um die Geschichte eines Mädchens, das ein Pferd hatte. Viele Teenager haben sich damals ein Pferd gewünscht, doch in Rumänien gab es in den 90ern nicht so viele Möglichkeiten, Reitstunden zu nehmen. Heute ist es anders, und viele Mädchen - denn in die Reitschule „Equus Solis“ kommen meistens Mädchen - können sich ihren Traum verwirklichen. Zweimal in der Woche kommen sie nach Petersberg, entweder vor oder nach dem Unterricht, und trainieren.
Die Liebe zu den Pferden in Rumänien wiederentdeckt
Bereits 24 Jahre ist es her, dass Barbara Müller mit ihrem Mann nach Rumänien kam. Christian Müller sollte 1999 hierzulande eine Fabrik im Bereich Holzindustrie aufbauen. Die ausgebildete Lehrerin hat im Unternehmen als Industriekauffrau und im Personalwesen gearbeitet. Nach zwei Jahren sollte es eigentlich zurück in die Schweiz gehen. „Aus dem Zurück wurde nichts mehr”, lacht sie. Ihr Mann schenkte ihr ein Pferd und zündete somit ihre große Leidenschaft zu Tieren und zum Reiten wieder an. Als Kind ist sie intensiv geritten und hat den Traum, eines Tages eigene Pferde zu haben, nie aufgegeben.
„In Seegen am Hallwiler See (Kanton Aargau) hatte ein ehemaliger Weltmeister im Reiten einen Reiterhof eröffnet. Ich hatte das Glück, von ihm zu lernen. Dann ist er aus dem Dorf weggezogen und ich bin jahrelang nicht mehr geritten“, erinnert sich Barbara Müller. Doch in Rumänien konnte sie die alte Liebe zum Reiten wieder finden. Nach kurzer Zeit kam auch das zweite Pferd auf den geräumigen sächsischen Bauernhof in Petersberg, wohin die Familie aus der Schweiz inzwischen aus Kronstadt umgezogen war. So entstand ein kleiner Reithof, später eine Reitschule, wo auch Kinder mit Behinderungen Pferde-Therapie machen konnten. Die zahlreichen Reitschüler übten damals noch auf den von Nachbarn angemieteten Wiesen. Seit 2016 jedoch finden Stunden für Anfänger und Fortgeschrittene im großen Reitstall in der Poarta- Câmpului-Straße, am Fuße des Lempesch statt.
26 Ponys und Pferde leben bei „Equus Solis“, einige davon gehören Kindern, die hier trainieren und werden gegen Entgeld im Stall untergebracht und gehalten.
Bahamas, der Kämpfer
Im Stall besuchen wir Concetta, Carla, Chanel Z, King Julien und Fina. Am imposantesten ist Krabat, der schwarze Hengst, der fast zwei Meter hoch ist. Die meisten sind rumänische Sportpferde, Ponys, Zangersheider- und Westfalen-Pferde. Dem 17-jährigen Oldenburger Bahamas geht es noch nicht gut. Mit ihm hat Barbara Müller mehrere Turniere gewonnen und sie ist sehr stolz auf ihn. Besonders deshalb, weil er ein Kämpfer ist. „Er ist ein sehr starkes Pferd, denn er hat den Tod besiegt. Er war sehr krank, sein Bein war gebrochen, jetzt geht es langsam wieder bergauf, er muss sich noch erholen“, erklärt sie. Sie streichelt und küsst das Pferd liebevoll. Doch dann bemerkt sie, dass Bahamas nicht auf das linke Bein treten kann. Sichtlich besorgt ruft sie sofort den Tierarzt aus Odorhellen an, mit dem sie zusammenarbeitet. Das Pferd braucht Bewegung und medizinische Behandlung. Sie kümmert sich um ihn, bis ihn Antonia Truetsch, eine 21-jährige Reitlehrerin übernimmt und ihn ein bisschen spazieren führt. Um alle Pferde wird sehr gut gesorgt. „Für mich ist es wichtig, dass die Pferde jeden Tag nach draußen an die frische Luft können, deswegen hat jedes im Stall eine eigene Terrasse und reitet täglich aus“.
„Hier ist liniște“
In Siebenbürgen fühlt sich die Schweizerin inzwischen wie zu Hause. Die Stadt mit ihrem Verkehr und dem Lärm fand sie zu anstrengend, sie mag es lieber auf dem Land, nahe an der Natur. Hier sind ihre beiden Kinder Sorin und Alina aufgewachsen, hier kennt sie die Dorfbewohner und hier hat sie Rumänisch gelernt, um sich mit ihnen zu verständigen. „Hier ist lini{te“, meint sie lächelnd. Ihr Sohn lebt inzwischen in der Schweiz, aber ihre Tochter ist auf dem Pferdehof geblieben und arbeitet hier. Sie hat die Leidenschaft für Pferde von ihrer Mutter geerbt. Und es ist fast unmöglich, kein Pferdenarr zu werden, wenn man Barbara Müller reden hört: „Es ist so, als ob die Pferde einem die Probleme davon pusten. Ich kann mir nicht vorstellen irgend etwas anderes zu machen”.
Die große Leidenschaft für Pferde hat sie auch den jungen Reitschülern mitgegeben. Auch wenn eine Reitstunde nur 50 Minuten dauert, verbringen die Kinder oft den ganzen Nachmittag auf dem Reiterhof und spielen miteinander. „Reiten ist etwas, das ihnen einen Sinn gibt, etwas, das sie zusammenhält. Sie haben etwas, was sie wirklich interessiert. Das hält sie fern von der AFI-Mall“, scherzt Müller. Um den Gemeinschaftssinn der Kinder zu stärken, veranstaltet sie jeden Sommer Trainigscamps und Reitlager. Die Kinder sind immer in ihrem Haus untergebracht. Freundschaften wurden geschlossen und es entstanden Erinnerungen für ein Leben. „Diesen Sommer gab es vier Reitlager, die Kinder fragen aber immer, wann wieder ein neues Lager organisiert wird. Sie lieben es, Zeit miteinander und mit den Pferden zu verbringen“.
„Das Pferd ist kein Fahrrad“
Reitschüler trainieren anfangs immer wieder mit demselben Pferd, damit eine Beziehung aufgebaut wird. Später dürfen sie auch andere Pferde reiten und lernen sich neuen Herausforderungen zu stellen. „Das Pferd ist kein Fahrrad. Pferde haben ihre Launen und wenn der Reiter nicht genau weiß, was er zu tun hat, gehen die Pferde nicht weiter. Sie sind clever und haben Tricks. Sobald aber die Schüler die Übungen korrekt machen, macht das Pferd mit.“
An diesem Vormittag wird für einen Springwettbewerb trainiert, der am ersten Oktoberwochenende in Tartlau stattfinden wird. Während ihre Mutter die Gymnastikreihen aufstellt, reitet Alina Müller das Pferd in der großen Reithalle ein. Sie machen sich bereit, es folgen mehrere Sprünge. Auf Schweizerdeutsch gibt Barbara Müller kurz einige Tipps, das Training geht weiter. „Equus Solis“ ist mit Kinderteams bei fast allen Pferdespring-Wettbewerben im Land dabei, auch Alina oder Barbara Müller beteiligen sich. Wa-rum eigentlich der Name „Equus Solis“?, fragen wir neugierig, bevor wir uns verabschieden. „Weil es die beiden Dinge sind, die ich am schönsten auf der Welt finde: Pferde und Sonne“.