Sonntag, 18. Juni 2017, 20 Uhr. Rumäniens Presseagenturen melden, dass die PSD-ALDE-Fraktionen für den Nachmittag einberufen wurden, der Misstrauensantrag gegen die Grindeanu-Regierung wurde unterzeichnet, eingereicht und vor den Parlamentskammern verlesen. Bereits sein Titel ist schwer zu überbieten: „Rumänien kann nicht konfisziert werden. Wir verteidigen die Demokratie und die Stimme der Rumänen.“
Liviu Dragnea, ein verurteilter Straftäter, ein Möchtegern-Diktator, der das Land mit dem Landkreis Teleorman verwechselt, und sein lächerlicher Kumpane, Călin Popescu Tăriceanu, verteidigen also die Demokratie. Wenn die beiden die Freunde der rumänischen Demokratie sind, dann braucht das Land sicherlich keine Feinde.
Auf der Homepage der Regierung Rumäniens informiert währenddessen der Generalsekretär des Kabinetts, Victor Ponta (sic!), über wichtige Angelegenheiten der Regierungsarbeit: Das Innenministerium bekämpfe die Folgen der Unwetter, andere Ministerien würden nach Plan arbeiten. Und Premier Sorin Grindeanu referiert am Sonntagabend vor der Presse, bekommt dabei dumme Fragen oder gar keine. Einer zum Beispiel, von Antena 3, erklärt die Lage ausführlich, am Ende geht seine vermeintliche Frage unter. Er braucht sie ja gar nicht zu stellen, der Mann weiß eh alles. Mitten in der schlimmsten Regierungskrise seit 2012!
Die Rumänen sind ein krisenerprobtes Volk. Politische Krisen gab es seit 1989 immer wieder. So die Bergarbeiter-Unruhen 1990, 1991 und 1999. Oder 2007, als Präsident Traian Băsescu das erste Mal enthoben wurde. Dann 2012, als derselbe zum zweiten Mal enthoben wurde. Und 2015, als es im Colectiv-Club brannte. Schließlich im Februar 2017, als Hunderttausende auf die Straße gingen. Was zurzeit geschieht, ist einerseits einmalig im posttotalitären Rumänien: Die Regierungsmehrheit stürzt ihr eigenes Kabinett, um den Premier loszuwerden. Andererseits haben wir es bloß mit dem hemmungslos ausgetragenen Machtkampf in der PSD zu tun. Es geht um Einfluss in Staat und Partei und um die Entscheidungsmacht über die Verteilung von Steuergeld. Allein diese verschafft den Einfluss, den man eben braucht, um eine Partei an der Stange zu halten. Wer sind also die Krieger in diesem Nullsummenspiel?
Liviu Dragnea, ein Provinzfürst Adrian Năstases, dem es gelang, seine Parteikonkurrenten auszuschalten: Zunächst tauschte er den glücklosen Mircea Geoană gegen den Frechling Victor Ponta aus. Dann hatte er das große Glück, dass Ponta die Wahl gegen Klaus Johannis verloren hat. Sodass er ihn dann 2015 gnadenlos aufopferte. Und der nun dachte, endlich am Ziel zu sein. Eine Bande fragwürdiger Getreuer hat er auf Gedeih und Verderb auf sich eingeschworen, sie scheint ihm die Treue zu halten. Dann Grindeanu, die perfekte Null. Der Junge, der Zigarren holt, der adrette Oberkellner. Aus dem zitternden Mann, der bei Rücknahme der Eilverordnung Nr. 13/2017 um Worte rang wie ein Erstickender um Luft, scheint jetzt aber ein Bullenbeißer geworden zu sein. Einer, dessen Chancen, morgen noch im Amt zu sein, eher gering sind, der dafür aber seine Munition bis auf die letzte Kugel schießen will. Die Neu-Auflage des Emil Bobu, Ceauşescus ergebenem Diener, begehrt nun zur allgemeinen Überraschung gegen den Chef auf.
So ist es eben, wenn bei der Mafia der Machtkampf tobt. Der Abtrünnige wird bestraft, aber ob der Boss am Leben bleibt, ist ebenfalls ungewiss. Auch die Kommunistische Partei war im Grunde eine mafiose Struktur, der Kampf gegen Abweichler, gegen parteiinterne Kritiker, gegen Ja-Sager, die keine Ja-Sager mehr bleiben wollten, ist von den Kommunisten verfeinert worden. Man lese das bei Arthur Koestler oder bei Milovan Djilas nach. Ähnlich dürfte es bei der PSD zugehen, sie bleibt die stolze Nachlassverwalterin ihrer Vorgängerpartei. Nur eine Frage kann man sich nicht verkneifen: Hätte es die Bergarbeiter noch gegeben, hätte Dragnea sie jetzt nach Bukarest geholt, um Grindeanu aus dem Victoria-Palais zu verjagen und die Demokratie zu verteidigen?
Vergleiche zwischen der PSD und der RKP oder zwischen Dragnea und Iliescu sind zweifelhaft, man muss sich dessen bewusst sein. Denn Dragnea ist nur ein Zwerg, der sich übernommen hat, und der wahrscheinlich eine so große Angst vor den heranrückenden Handschellen hat, dass er das ganze Land in Brand steckt. Dass er bislang parteiintern nicht zu Fall gebracht werden konnte, dass die Sozialdemokraten gegen ihn nicht in großer Zahl aufbegehren, dass sich in der PSD die Vernunft nicht durchsetzt, das alles zeugt nur von der großen Misere der rumänischen Parteienlandschaft.
Grindeanu dagegen ist kein tragischer Held, er ist keiner, der nun, nach der späten Einsicht, alles tun will, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Es dürfte noch ein langer Weg sein, bis er soweit wäre. Wenn überhaupt. Also sind die beiden Kontrahenten nur peinliche Clowns einer peinlichen Show; Anstand, Würde und ein wenig Gespür für den tieferen Sinn der Dinge fehlen ihnen. Bis zum Ende.
Deshalb lohnt es sich vielleicht gar nicht, der gegenwärtigen Krise so viel Interesse zu widmen. Dass Gefahren lauern, dass die außenpolitische Lage prekär ist, dass die Wirtschaft auf Signale der politischen Instabilität nervös reagiert, das alles wissen die Darsteller dieses traurigen Stücks, das Volk weiß es auch. Wen interessiert´s?
Das Volk wird sich bestimmt nicht allzu viel um den beschämenden Machtpoker kümmern, der nun gespielt wird. Allzu oft hat es Nachrichtentitel gehört wie „Die schlimmste Verfassungskrise seit Jahren“, „Machtkämpfe stürzen das Land in Chaos“, „Empörte Reaktionen aus dem Ausland“ usw. Na und? Krisen sind da, um überstanden zu werden, Machtkämpfe gehören seit je zur Tagesordnung, der Ruf des Landes war sowieso nie besonders gut. Also: Business as usual. Auf Rumänisch.