Kulturweltstadt Paris. Langsam füllen sich die Reihen der rotsamtenen Stühle im Byzantinischen Saal in der rumänischen Botschaft im Béhague Palast. Auf der Bühne zwei goldgerahmte Fauteuils im Schummerlicht, vor Klavier, Schlagzeug und Kontrabass. Links und rechts marmorne Säulengänge.
Auf der Leinwand in der Ecke leuchten die ersten Bilder auf: das Dakerheiligtum von Sarmisegetuza. Der Schäßburger Stundturm im Nebel. Die bunte Fassade von Arbore in Eis und Schnee. Ist es Zufall oder Schicksal, dass sich ausgerechnet in diesen turbulenten Zeiten die schöne Seite unseres Landes ihren Weg nach Europa bahnt? „Stop!“ ruft Fotograf George Dumitriu von hinten, der sich davon überzeugt hat, dass man auch in der letzten Reihe gut sehen kann. Durchs Foyer huschen emsige Gestalten und bereiten den späteren Empfang vor. Ein Räuspern im Mikrofon und das Gemurmel verebbt: Die Pariser sind bereit für „Rumänien im Welterbe der UNESCO“.
Die Veranstaltung, die von der NGO „Tous pour L’Europe“ anlässlich des 40. Jahrestages des UNESCO Welterbes organisiert worden war, beginnt mit einer Vorstellung des rumänischen Kulturerbes durch Akademiemitglied Răzvan Theodorescu, Textautor des im November 2011 im Verlag Monitor Oficial in Bukarest erschienen, dreisprachigen Bildbandes „România în Patrimoniul UNESCO“, illustriert von George Dumitriu.
Die Konferenz mit anschließender Diskussion begleitete eine Leinwandpräsentation mit ausgewählten Fotografien aus dem Buch zu den sieben Kategorien des rumänischen Welterbes: die Dakerfestungen, die Altstadt von Schäßburg/Sighişoara, die sächsischen Kirchenburgen, die bemalten Klöster der Bukowina, der Klosterkomplex Horezu, die Holzkirchen der Maramuresch und das Donaudelta.
Rumänien der Superlative
„Rumänien ist Europa in Miniatur“, leitete Theodorescu seinen Vortrag in französischer Sprache ein. In 48 Stunden könne man hier als Tourist eine Vielfalt an Monumenten antreffen, von der dakischen Festung über den griechischen Tempel zur römischen Basilika, Bauten aus Renaissance, Rokkoko, Gotik und Barock, ja sogar Art Deco und Kubismus. Das Kloster Horezu gilt als größtes in Südosteuropa, das „Haus des Volkes“, das heutige Parlamentsgebäude in Bukarest, gar als zweitgrößtes Gebäude der Welt nach dem Pentagon in Washington. Einzigartig in Europa sind die Festungen der Daker, die Wehrkirchen Siebenbürgens und die Klöster der Bukowina mit ihren prachtvollen bunten Außenfresken.
Schatzsucher,Vandalismus, Ignoranz
Doch leider, so Theodorescu, ist Rumänien auch das einzige Land, in dem das Kulturerbe selbst zu Friedenszeiten in Gefahr ist. Dabei bezieht er sich nicht nur auf Zerstörungen in der Ceauşescu-Zeit, wo über tausend Kirchen und eine Fläche so groß wie Venedig in der Altstadt von Bukarest abgerissen wurden, sondern auf Schatzsucher und illegale Steinräuber in Dakerfestungen und den Vandalismus an den verlassenen sächsischen Kirchen und ihren wertvollen Orgeln.
„In Großbritannien gibt es Agenturen, wo Reisen nach Rumänien für Schatzsucher angeboten werden“ empört sich der ehemalige Kulturminister und fügt hinzu: „Später tauchen die gestohlenen Kulturgüter oft in britischen Auktionshäusern auf.“ Erst im letzten Jahr kaufte Rumänien für teures Geld elf goldene Dakerarmbänder aus dem Ausland zurück, die von Schatzsuchern aus Sarmisegetuza entwendet worden waren.
Eine Zeitlang dachte man darüber nach, eine Spezialpolizei zum Schutz der Kulturgüter zu gründen, denn lokale Strukturen sind überfordert oder die Polizisten machen gegen Bestechung gezielt die Augen zu. Aber auch Ignoranz und falsch verstandener Nationalstolz können einen Beitrag zur Zerstörung leisten. Die Festung von Sarmizegetusa mit ihrem einzigartigen dakischen Kalenderheiligtum wäre beinahe von der UNESCO-Liste gestrichen worden, weil lokale Behörden die Entwendung von Steinen für einen Parkplatzbau gebilligt hatten. Als der Bürgermeister zur Rede gestellt wurde, empörte er sich nach dem Motto „Das ist doch unser Monument – was geht das die UNESCO an?“
Fotograf George Dumitriu ist auf seinen Dokumentationsreisen ähnlichen Problemen begegnet. Mal reibt ein zu nahe an die Wand gestelltes Gestühl an den alten Bildern, mal „ziert“ ein aufgeklebter Gebetsstundenplan die wertvollen Fresken am Klostereingang. Als er die Holzkirche von Surde{ti für den Bildband fotografieren wollte, waren die Wandmalereien mit kitschigen Stickereitüchern und modernen Heiligenbildern zugehängt.
Was sollen da die Touristen denken, die von weither anreisen, um die berühmten Fresken zu sehen? UNESCO Monument hin oder her, lokale Einwohner wollten sich das Recht, ihre Kirche zu „verschönern“, eben nicht nehmen lassen, rechtfertigte sich der Pfarrer. Den meisten Leuten ist einfach nicht klar, was es bedeutet, Weltkulturerbe zu beherbergen: Einzigartig auf der Erde und damit Aushängeschild für das jeweilige Land, impliziert es eine moralische Verantwortung, es dem Besucher authentisch zu präsentieren und für die Nachwelt zu erhalten.
Majestätisch, kraftvoll, mystisch
Im Bildband und in der Foto-Präsentation zeigt Dumitriu bewusst nichts von diesen Schattenseiten. Seinerzeit maßgeblich an den Dossiers für die Aufnahme der Monumente in das UNESCO-Kulturerbe beteiligt, will er den Menschen im In- und Ausland die Augen für die Schönheit der oft wenig bekannten historischen Schätze in Rumänien öffnen.
Während seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturfotograf litt er jedoch oft darunter, dass er sich strikt an die technischen Vorgaben der Dokumentarfotografie halten musste. „Der Bildband war dann wie ein Befreiungsschlag“, gesteht Dumitriu und fügt hinzu: „Endlich konnte ich die Monumente so fotografieren, wie ich sie sah: majestätisch, kraftvoll, mystisch. Kunstwerke, die die Spiritualität ihrer Schöpfer offenbaren.“ Ungewöhnliche Perspektiven und ein Blick für Details mit Symbolgehalt prägen seinen Stil: Die Kirche Arbore, aus deren Tür ein knorriger Baum emporzuwachsen scheint. Der Pridvor, die Vorhalle der Kirche, in Surdeşti, fotografiert durch ein herzförmiges Loch in der Balustrade. Eine völlig neue Herangehensweise, so die Kommentare mehrerer mit Fotografie vertrauter Pariser Besucher.
Mögliche Erweiterung der UNESCO-Liste
Erstaunlich rege gestaltete sich die Beteiligung des Publikums an der Diskussion mit dem Kunstgeschichtsprofessor Theodorescu. Vor allem Studenten und ausgewanderte Rumänen zeigten Interesse am Schicksal ihres Kulturerbes und den damit verbundenen Problemen. Angesprochen wurden die umstrittenen Exhumierungen von Fürsten aus dem Geschlecht Basarabs zur genetischen Untersuchung, die Theodorescu als pietätlos ablehnte, die stümperhaften früheren Renovierungen des Heiligtums in Sarmizegetusa, aber auch eine Reihe von Monumenten, die nach Meinung einiger längst in die UNESCO-Liste hätten aufgenommen werden müssen: der Skulpturenpark von Brâncuşi in Târgu Jiu, die Kirche Trei Ierarhi in Jassy/Iaşi, die Klosterkirche von Curtea de Argeş oder das Kloster von Cozia.
Die Aufnahme des Brâncuşi-Komplexes, so Theodorescu, hatte er während seiner Zeit als Kulturminister bereits voranzutreiben versucht. Sie sei damals gescheitert an der fachlich umstrittenen Renovierung der „Unendlichen Säule“ und der Tatsache, dass der symbolische Zusammenhang des Komplexes durch Neubauten aus der Ceauşescu-Zeit zerstört worden sei. Über einen Abriss der Blocks ließe der aktuelle Bürgermeister nicht mit sich reden, sodass derzeit nicht der richtige Zeitpunkt sei für einen erneuten Vorstoß.
Die Kirche in Jassy hingegen sei von der UNESCO unwiderruflich abgelehnt worden, weil sie im Laufe der Zeit zu viele Veränderungen erfahren hätte, vom Original sei nicht mehr genug erhalten. Sowohl Curtea de Argeş als auch Cozia hingegen zeichnen sich durch wichtige Bilder aus, die eine Aufnahme rechtfertigen könnten. In Argeş ist es unter anderem eine spektakuläre Darstellung der schwangeren heiligen Maria – in Rumänien von der orthodoxen Kirche verboten, doch häufig anzutreffen in Mazedonien, was auf die Beteiligung mazedonischer Künstler hindeutet – und die Kopie eines älteren Kirchenmotivs aus Konstantinopel, bei dessen Restauration wiederum die Malerei aus Arge{ als Vorbild hergenommen worden war. In der allgemeinen Perzeption seien jedoch die Klöster von Arge{ und Cozia bei Weitem nicht so bekannt wie die der Bukowina oder Horezu, weshalb weniger Druck für eine Aufnahme bestünde.
Wie den Bürger sensibilisieren
Diskutiert wurde auch die Frage, wie man das Bewusstsein der Bürger zur Bewahrung ihres Kulturerbes mehr sensibilisieren könne. Laut Theodorescu seien die lokalen Administrationen nicht in der Lage, ihre Monumente unabhängig von der Politik zu schützen. Eine nationale Strategie sei daher unumgänglich.
Eine Einbindung lokaler Einwohner als inoffizielle Wächter, wie dies zum Teil in anderen Ländern geschieht – in Jordanien zum Beispiel mit lokalen Task Forces – wäre jedoch seiner Meinung nach in Rumänien eher unpopulär. Zu sehr würde die Kollaboration mit der Polizei an alte Zeiten erinnern, zu anfällig wären lokale Strukturen für Korruptionsversuche aus dem eigenen Umfeld. Vielleicht helfe es ja, die Täter in Handschellen im Fernsehen vorzuführen, um auf breiter Basis das Bewusstsein zu schaffen, dass Zerstörung von Kulturgut kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat ist, schloss der Vortragende pathetisch.
Bonsoir Voroneţ,bienvenue Rogoz
Während die Veranstaltung mit einem Konzert der aus der Republik Moldau stammenden Musikgruppe „Christofor Aldea-Teodorovici & Jazz Band“ ausklang, konnten sich die Zuschauer der suggestiven Schönheit der Denkmäler in der Foto-Präsentation hingeben: das Jüngste Gericht von Voroneţ auf strahlendblauem Grund, die mystische Holzkirche von Rogoz, die strahlendweiße Festungsmauer von Tartlau, die paradiesische Weite des Donaudeltas... Für einen ganzen Abend erwähnt niemand politische Turbulenzen, statt dessen Staunen auf den Gesichtern über 37 auf diesem Planeten einzigartige Stätten: das UNESCO-Welterbe in Rumänien.