Vor Kurzem war ich mal wieder im Stadtzentrum von Bukarest unterwegs. Nach einer längeren Gewöhnungsphase an den hiesigen Verkehr, ist eine solche Fahrt für mich keine Herausforderung mehr. Alles verlief wie immer, nur der Rückweg gestaltete sich schwieriger. Die bekannte Calea Griviţei war an der Kreuzung zum Bulevardul Dacia in Richtung Nordbahnhof/Gara de Nord gesperrt worden. Das hat an und für sich nichts zu bedeuten, da überall und immer wieder verschiedene Arbeiten durchgeführt werden müssen, die eine Sperrung erfordern. Nur stand ich nun da, vor einer ein Meter hohen, aus Beton gegossenen Absperrung. Donnerwetter, dachte ich mir, da hat man ja volle Arbeit geleistet, bestimmt war hier ein Kran im Einsatz gewesen, um diese „Betonmauer“ an die richtige Stelle zu bringen. Aus Erfahrung, dachte ich mir, haben die Zuständigen hier nicht nur eine Plastikabsperrung aufgestellt, die im Nu zur Seite geschoben werden kann, sonder gleich was „Gescheites“ hingestellt. Und in der Tat, die Absperrung war so platziert, dass man nur über den Gegenverkehr in die Calea Griviţei einbiegen konnte oder, wie andere experimentierende Fahrer, über den hohen Bordstein auf den Fußgängerweg fuhr und so elegant die Absperrung umfuhr. Diese Variante kam für mich aber nicht in Frage.
Ich suchte ein Umleitungsschild, sah aber keines, und überlegte, wie das wohl aussehen könnte. Mir fiel ein, dass ich einmal ein Stück Pappe an einem vertrockneten Ast hängend gesehen hatte, der aus einem offenen Gulliloch herausragte. Darauf stand in Handschrift „OCOLIRE“. Diesmal war solch ein Schild nirgends zu sehen. Der glückliche Zufall wollte es, dass gerade kein Fahrzeug aus der Gegenrichtung das „Schlupfloch“ blockierte und so nutzte ich die Gelegenheit und fuhr mit weiteren Pkw doch noch in die Calea Grivi]ei. Keine Polizei weit und breit, wunderbar. Die Freude währte leider nicht lange, da sich plötzlich eine totale Blockade des Verkehrs zeigte. Es blieb uns Cleveren nur noch die eine Chance, über eine Einbahnstraße dem Chaos zu entrinnen, leider war die korrekte Fahrtrichtung ungünstig für uns. Unser „Anführer“, ein schwarzer BMW mit verdunkelten Scheiben, entschied sich dennoch in die Einbahnstraße falschrum einzufahren, es sollte ja auch nur ein kurzes Stück sein, bis eine andere Kreuzung erreicht wurde, ab der man dann legal weiterfahren durfte. Und da niemand gerne im Stau steht, folgten wir ihm brav. Auch diesmal keine Polizei weit und breit. Auf einmal stockte der Verkehr, man sah nur noch Pkw von allen Seiten, alle wollten in die besagte Kreuzung. Nun war unser Durchhaltevermögen gefragt, da wir uns ja noch immer in der leider für uns „falschliegenden“ Einbahnstraße befanden.
Am Straßenrand sah ich einen laut redenden Mann, der sich das völlige Durcheinander ansah. Neugierig wie der Mensch halt ist und in der Hoffnung einen guten Tipp von ihm zu bekommen, fuhr ich die Fahrerscheibe herunter und fragte höflich: „Poftim?“ (bitte?). Aus unglaublich großen Augen starrte er mich an, als ob das gehörte Wort fremd für ihn wäre. Nochmals wiederholte er für mich sein „Anliegen“, was eigentlich nicht schlecht gemeint war. Er machte nämlich alle darauf aufmerksam, dass wir in einer Einbahnstraße in verkehrter Richtung stehen und falls die Polizei uns sieht, würden wir unseren Führerschein los sein. Der Fahrer hinter mir, wahrscheinlich aufs höchste vom Verkehrschaos gereizt, mischte sich auf einmal ein mit einem lauten „Măi, tu n-ai ce face? Ia ţine-ţi gura şi mişcă-te în casă.“ (Hey, hast du nichts zu tun? Halt deine Schnauze und marsch ins Haus). Im gleichen Augenblick kam Bewegung in die Blechlawine, ein weiteres Glück, sonst hätte ich einer handfesten Streiterei beigewohnt. Wir erreichten die rettende Kreuzung und ich fühlte mich glücklich, endlich nun in einer Straße zu sein, in der legal weitergefahren werden konnte, wenn ja wenn.... Wieder bewegte sich nichts mehr. Neben mir sah ich eine alte Dacia Nova, an dessen Steuer ein älterer Herr saß. Mit großer Mühe hatte er den Parkplatz am Straßenrand verlassen können und wollte, wahrscheinlich wie üblich, in die mit lauter Falschfahrern blockierte Einbahnstraße fahren. Nun saß er dort fest, weder ging es vorwärts noch rückwärts. Immer wieder überlegte ich, was denn wohl der Grund dieser Totallähmung des Verkehrs ist, gab es etwa eine Halloween-Party in der Nähe und jeder wollte da hin? Hätte ja sein können, da der letzte Oktobertag schön langsam zu Ende ging.
Mir fiel ein, dass eigentlich die Umwelt geschont werden sollte und ich stellte den Motor ab. Es gingen auch die Scheinwerfer und die Bremsbeleuchtung aus und es war schon dunkel. Es war auf einmal ruhig im Auto. Ein komisches Gefühl kroch in mir hoch, da ich selber innerlich nicht zur Ruhe kam. Den Autofahrern hinter mir passte meine Entscheidung ganz und gar nicht, sofort fingen sie zu hupen an und ich musste den Motor wieder zünden und einen weiteren freigewordenen Meter vorfahren. Ich traute mich nun nicht mehr, an die Umwelt zu denken, und wartete geduldig mit schnurrendem Motor im Leerlauf auf das weitere „Land gewinnen“. Auf einmal sah ich im Rückspiegel ein neonfarbenes Etwas, das sich an den stehenden Autos vorbeizuquetschen schien und hastig näher kam. Kaum zu glauben, die Rettung nahte in Gestalt eines Verkehrspolizisten. Er zog in Eile an uns Stehenden vorbei und – weg war er. Bestimmt werden wir nun seine Trillerpfeife hören, dachte ich und atmete erleichtert auf. Meine Ahnung täuschte mich nicht, denn in kurzer Zeit kam Bewegung in den Verkehr. Dann erblickte ich auch den wild herumwinkenden Polizisten, der sichtlich bemüht war, der Lage Herr zu werden, auch ohne Trillerpfeife. In Eile fuhren wir an ihm vorbei und die meisten Fahrer konnten sich kaum noch an die empfohlene Richtgeschwindigkeit innerhalb der Ortschaft halten. Jeder sah nur noch seine eigene Autobahn vor sich, auf der er ungehindert mit „was das Zeug hält“ dem Ziel entgegenfahren konnte, ohne lästige Bremser. Ich war heilfroh, nun bald daheim zu sein, keinen wichtigen Termin dadurch verpasst zu haben und den Führerschein noch zu besitzen.