„Ihnen ist klar, hier verkehren keine Züge mehr?!“ Der Bahnhofsvorsteher zürnt den beiden Fremden, die sitzen und warten, sich zuweilen einen Tee kochen. Die Fensterscheiben der Bahnhofskasse sind schmutzig, auch die Uhr ist staubig. Trotzdem kommt der Bahnhofsvorsteher täglich in den Dienst, es ist nicht nur sein Pflichtbewusstsein, das ihn dazu bringt, sondern Liebe zum Beruf und auch die Tatsache, dass man sich nicht vorstellen kann, dass plötzlich alles vorbei ist.
1994 wurde „Europa“ uraufgeführt, doch wirkt das Stück des schottischen Dramatikers David Greig heute aktueller als damals. Um Flüchtlinge geht es, die sich auf den stillgelegten Bahnhof einer kleinen europäischen Grenzstadt einnisten – mittendrin und trotzdem „in the middle of nowhere“ – denn weiter geht es nicht: Hier fahren die Züge nur noch durch, hier werden Züge nur noch gestrichen. Um Fremdenhass geht es, der – das Rezept ist so alt wie der Fremdenhass selbst – dann ausbricht und alles zermalmt, wenn die Wirtschaft stillsteht. Denn darum geht es auch: Eine Fabrik wird geschlossen und die Arbeitslosen häufen sich in der Kleinstadt an, sehen keine Lösungen, verbreiten nur Aggression.
So gerät die Stadt aus den Gleisen, Drohungen, Straßenschlägereien oder Vergewaltigungen werden zum Alltag, das Geschehen kulminiert mit einer Brandstiftung. Niedergebrannt wird der Bahnhof, der die Stadt mit der Außenwelt verbunden hatte und zu Europa gehören ließ. Dabei kommen zwei Menschen um, die Freunde geworden sind: der Bahnhofsvorsteher Fret, dargestellt von Franz Kattesch, und der Flüchtling Sava, gespielt von Rareș Hontzu, der in seiner Heimat ebenfalls Bahnangestellter gewesen ist.
Alexandru Mihăescu glückt vor allem eines mit der Inszenierung von Greigs Stück: die Auswahl der Schauspieler für die einzelnen Rollen, so dass sie sich fast ebenbürtig in der Darstellung gegenüberstehen. Hervorheben sollte man aber doch die Leistungen von Silvia Török als Katia, die eine facettenreiche Person abgibt – Katia ist Flüchtling, Tochter, Geliebte, Prostituierte und hoffnungsvolle Reisende zugleich – und Harald Weisz als Berlin, der die Wandlung vom zermürbten Arbeitslosen zum gewalttätigen, rücksichtslosen Rechtsextremen durchmacht. Dem „Flüchtlingsduett“, das Katia und Sava darbieten, steht das „Heimatduo“ Fret-Adele, letztere sehr gelungen von Ioana Iacob gespielt – gegenüber, die den Bahnhof und die Kleinstadt nie verlassen haben. Nebenrollen wie die rechtsextreme Horse (Daniela Török) oder Morrocco, der Schmuggler, (Richard Hladnik) geben der Handlung den Pepp und treiben sie voran. Ein einziger schafft es, sich aus allem herauszuhalten: der arbeitslos gewordene Billy (Radu Brănici), der sich nicht für die Szene der Glatzköpfe interessiert und der in der Fremde Arbeit und eine neue Heimat suchen wird.
Nur selten erlebt der Zuschauer den DSTT-Saal so stark umgekrempelt wie in der Inszenierung von „Europa“ (für Bühne und Kostüme zeichnet Ioana Popescu): Gleise ziehen quer durch den Saal, daher sind auch die Sitzplätze umgemodelt worden. Der Zuschauer soll in greifbarer Nähe sein, nämlich so, dass die Handlung auch begreifbarer wird.
Eine Frage bleibt: Ist das Europa? Wenn ja, dann auf ein falsches Gleis geraten.